Kenia: Die Macht der Machete

Manipulierte Präsiden- tenwahl und Unruhen

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George Karanja konnte seinen elfjährigen Neffen in den Flammen noch „Onkel, Onkel!“ rufen hören – dann war es still. Karanja selbst und seine beiden Söhne waren dem Inferno gerade noch entkommen: Als sie mit erhobenen Armen aus der brennenden Kirche traten, in der sie gemeinsam mit 200 anderen Bewohnern des Dörfchens Kiambaa im Westen Kenias Zuflucht gesucht hatten, wurden sie von einem wütenden Mob mit Stöcken verprügelt. Zuvor hatten die Angreifer das Gotteshaus angezündet – auf Karanjas 90-jährigen Vater schlugen sie mit einer Machete ein. Das Schlimmste sei allerdings gewesen, fährt der 37-Jährige mit Tränen in den Augen fort, wie sie mehrere Menschen in Stücke gehackt und anschließend abgefackelt hätten – „wie Tiere“, sagt Karanja leise. Bei dem Massaker am ersten Tag des neuen Jahres kamen mindestens 30 Menschen ums Leben, darunter auch sein kleiner Neffe.

Kenia hat gewählt. Doch statt, wie allgemein erwartet, in eine neue Etappe des wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aufschwungs einzutreten, geht der ostafrikanische Staat in Flammen auf. Wie in der Kirche von Kiambaa kam es vergangene Woche in weiten Teilen des ostafrikanischen Tourismus-Eldorados zu blutigen Auseinandersetzungen, gewalttätigen Protesten und Plünderungen. Am schlimmsten tobte der Kampf vorerst im westkenianischen Siedlungsgebiet der Luo: „Was ich hier zu Gesicht bekommen habe, ist unvorstellbar und unbeschreiblich“, resümierte der Direktor des Roten Kreuzes von Kenia, Abbas Gullet. Unzählige Hütten seien angezündet und mindestens 70.000 Menschen in die Flucht geschlagen worden, so Gullet: „Ein nationales Desaster.“

Der eskalierte Zorn der Luo hat tiefe Wurzeln. Schon seit Jahrzehnten sieht sich die mit 17 Prozent zweitgrößte Bevölkerungsgruppe des Landes von der Politik und Wirtschaft in der Hauptstadt Nairobi abgeschnitten: Ihrer Meinung nach haben sich die Kikuyu – mit 22 Prozent die größte der über 40 Ethnien Kenias – in fast allen Schaltstellen der Macht breitgemacht. Auch Staatschef Mwai Kibaki habe sich fast ausschließlich mit Beratern aus seinem Kikuyu-Volk umgeben, wird dem Präsidenten vorgeworfen: Eine Dominanz, die Oppositionschef Raila Odinga, selbst ein Luo, endlich beenden sollte. „Jetzt sind wir mal mit dem Essen dran“, riefen sich Angehörige seiner Volksgruppe im Wahlkampf gegenseitig zu.

Und ihre Chancen standen gut. Denn Odinga, Spross einer alten sozialistischen Politikerfamilie, der in der DDR Ingenieurwesen studiert hatte, seinen Sohn Fidel nannte und heute in einem roten Hummer-Jeep durch die Gegend braust, lag bei allen Umfragen vorne. Der 62-Jährige saß unter dem korrupten Diktator Daniel arap Moi zehn Jahre lang im Gefängnis und kann sich alleine schon deshalb als „Präsident des Volkes“ präsentieren: Außer den Luo versprach er auch den anderen Kenianern, der berüchtigten Korruption in dem 37 Millionen Einwohner zählenden Staat endlich den Kampf anzusagen.

Straßenschlachten. Das hatte auch schon der einstige Hoffnungsträger Kibaki getan – und dabei kläglich versagt. Der 76-jährige Ökonom schafft es zwar, den von 24 katastrophalen Jahren unter dem Despoten Moi gründlich ruinierten Staat zumindest wirtschaftlich wieder auf ein solides Fundament zu stellen und durchschnittliche Wachstumsraten von fünf Prozent im Jahr zu erzielen. An das Krebsgeschwür der Korruption wagte sich Kibaki dann aber doch nicht heran: Bis zur Wahl am 27. Dezember saßen in seinem Kabinett Minister, die bis zum Hals in Betrugsaffären verwickelt waren.

Jetzt war es an Oppositionsführer Odinga, im Wahlkampf das Versprechen abzugeben, diesen Augiasstall endgültig auszumisten. Er hatte allerdings auch eine persönliche Rechnung zu begleichen: Ohne seine Unterstützung wäre Kibaki vor fünf Jahren nicht Präsident geworden. Den Posten des Premierministers, der ihm für seine Hilfe versprochen worden war, bekam er aber dennoch nicht. Kibaki wurde seinem damaligen Mitstreiter gegenüber wortbrüchig.

Bis kurz nach der Wahl sah es so aus, als ob Odinga seine Revanche dafür bekommen würde. Am ersten Tag der Stimmauszählung lag der Herausforderer noch deutlich vorn. Doch schon am zweiten Tag schrumpfte der Vorsprung zusammen, und am dritten Tag lag Kibaki plötzlich mit 230.000 Stimmen vorn. Die Wahlbeobachter aus dem In- und Ausland rieben sich die Augen: Besonders in der Hochburg der Kikuyu soll es zu massiven Manipulationen gekommen sein. Dort wurde in einem Wahlbezirk eine Beteiligung von 115 Prozent registriert, zahllose Wahlzettel sollen „korrigiert“ worden sein, wie der Chef der EU-Beobachtermission, Alexander Graf Lambsdorff, mit eigenen Augen gesehen haben will. Auch der Chef der kenianischen Wahlkommission räumte nach der Abstimmung größte Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses ein: Er sei jedoch von der regierenden Partei der Nationalen Einheit (PNU) massiv bedrängt worden, Kibaki schnellstens zum Wahlsieger auszurufen.

Die überstürzte Vereidigung des alten zum neuen Präsidenten brachte die Explosion. In den Slums von Nairobi gingen zornige Luo auf die Straße und zündeten die Bretterhütten von Kikuyu an. In Kisumu, der Provinzhauptstadt des Luo-Landes, wurden Kikuyu-Geschäfte geplündert – selbst in der weit entfernten Hafenstadt Mombasa lieferten sich Odinga-Anhänger Straßenschlachten mit der Polizei. Obwohl es in Kenia auch früher im Zusammenhang mit Wahlen immer wieder zu ethnischen Konflikten kam, habe er so etwas noch nie erlebt, sagt der kenianische Politikprofessor Abdalla Bujra: „Bisher zogen die Beteiligten immer noch rechtzeitig die Bremse.“

Völkermord. In diesem Fall scheinen die Verantwortlichen allerdings sogar noch Öl ins Feuer zu gießen. Es sei inzwischen klar, dass die Opposition schon vor den Wahlen weitreichende „ethnische Säuberungen“ geplant und sogar geprobt habe, erklärten mehrere Minister Kibakis in einer Stellungnahme. Im Gegenzug warf Odinga dem Präsidenten die Vorbereitung eines „Völkermords“ vor: „Das Blut der Toten klebt an den Händen eines gewissen Mwai Kibaki“, tobte der hitzköpfige Herausforderer.

Vergangenen Donnerstag wollte sich Odinga im Rahmen einer Großkundgebung im Zentrum Nairobis zum „Präsidenten des Volkes“ vereidigen lassen – trotz der Drohungen der Regierung, die einen derartigen Schritt als Hochverrat und Putschversuch behandeln wollte. Nur ein Großaufgebot der von israelischen Spezialisten ausgebildeten Bereitschaftspolizei verhinderte den Coup der Opposition. Zunächst wurden die Demonstrationen abgeblasen und auf später verschoben.

Der große Aufmarsch soll nun am Dienstag dieser Woche stattfinden. „Die Kenianer sind nicht bereit, sich ihre Stimmen untätig rauben zu lassen“, schwört der Volkstribun. „Der ,Eine-Million-Menschen-Marsch‘ wird die Entscheidung bringen.“

Wahlfälscher. Tatsächlich gerät der selbst ernannte Sieger Kibaki zunehmend unter Druck: Nach dem Chef der Wahlkommission fordert nun auch der kenianische Generalstaatsanwalt die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Wahlergebnisses.

Völlig unklar ist, wie der belagerte Präsident das in Aufruhr geratene Land gegen den Widerstand der Opposition in den kommenden fünf Jahren allenfalls regieren will.

Bei den Parlamentswahlen (um die sich die Wahlfälscher offensichtlich weniger gekümmert haben) hatte seine Partei, die PNU, eine empfindliche Schlappe erlitten: Mehr als zwei Drittel der 30 Minister verloren ihren Sitz im Parlament und sind deshalb auch ihren Regierungsjob los. Kibaki wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als entweder die Stimmen neu auszählen zu lassen oder – wie die EU fordert – seinen Widersacher Odinga samt dessen orangefarbener Demokratiebewegung in die Regierung aufzunehmen, vermutet ein Diplomat in Kenia: „Andernfalls droht das Touristenparadies zur Hölle zu werden.“

Von Johannes Dieterich