Der Atomstreit um den Iran spitzt sich zu

Kern-Kraftprobe

US-Militärschläge sind nicht ausgeschlossen

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Mizanan, ya na?“ Es gibt wohl keine andere Frage, die dieser Tage im Iran heftiger debattiert wird, in den Teestuben, in den Basaren, auf der Straße, in TV-Sendungen, Internet-Blogs und Zeitungen: „Mizanan, ya na?“ – „Werden sie zuschlagen, oder nicht?“
Sie, das sind die USA, und dass die Frage so häufig gestellt wird, hat gute Gründe: Gerade stampft tausende Kilometer von Teheran entfernt ein Flugzeugträger durch den Pazifik, Kurs West. Die USS John Stennis, eskortiert von Raketenkreuzern, Zerstörern und Versorgungsschiffen, ist auf dem Weg in den Persischen Golf, wo sie Ende Februar eintreffen soll: „Wir haben uns ein Jahr auf diesen Einsatz vorbereitet“, lässt der Kommandant die Welt via Internet schon vorab wissen: „Wir nehmen es mit jeder Herausforderung auf.“ Ein weiterer Flugzeugträgerkonvoi um die USS Eisenhower liegt bereits an der Straße von Hormuz, zurückbeordert aus dem Indischen Ozean. Damit werden sich erstmals seit Beginn des Irak-Krieges bald wieder zwei Flottenverbände im Golf befinden.

In Washington hat US-Präsident George Bush kürzlich angekündigt, die Bodentruppen in der Region aufzustocken. 21.500 Soldaten sollen in den Irak verlegt werden. Die zusätzlichen Kräfte sollen US-Einrichtungen im Land sichern, wenn bei einem Angriff gegen den Iran Aufstände von Schiiten ausbrechen, wird vermutet. Außerdem hat Bush seinen Einheiten eine neue Lizenz zum Töten erteilt: „Iranische Agenten“ sind nun offiziell zum Abschuss freigegeben. US-Zeitungen berichten zudem, dass das Pentagon bereits Kämpfer für Spezialoperationen hinter den persischen Linien rekrutiert.

Säbelrasseln. An Begründungen für all diese Maßnahmen herrscht im Umfeld der Bush-Administration kein Mangel. Das iranische Atomprogramm ist das eine: Bis 21. Februar hat das Mullah-Regime Zeit, einer UN-Resolution Folge zu leisten, die ihm den Stopp der Anreicherung von Uran vorschreibt – was der Iran strikt ablehnt. Die Lage im Irak ist das andere: Teheran soll die dortigen Aufständischen finanziell, militärisch und logistisch maßgeblich unterstützen, behaupten die Amerikaner. Beweise dafür sind sie bislang schuldig geblieben, ihre eigenen Geheimdienste widersprechen zudem dieser Einschätzung. Aber das tut der Vehemenz der Behauptung keinen Abbruch – im Gegenteil.
Das Säbelrasseln erinnert ansatzweise bereits an die Zeit vor der Invasion im Irak vor vier Jahren. Das konservative „Wall Street Journal“ gibt in einem vorvergangene Woche veröffentlichten Kommentar die Lautstärke publizistisch wieder: „Das Problem mit dem Regime ist seine Natur … Ein Feind der USA zu sein, in der Tat ein Feind aller Demokratien, liegt in seinen politischen Genen.“

Werden sie zuschlagen oder nicht? Selbst Präsident Mahmoud Ahmadinejad musste vor wenigen Tagen in einer Fernsehdiskussion eine Antwort darauf finden. „Das ist ein psychologischer Krieg“, erklärte das Staatsoberhaupt scheinbar unbeeindruckt: „Sie sagen, dass ein Kriegsschiff kommt. Soll es. Glauben sie denn, dass Iran ein kleiner Punkt auf der Landkarte ist? Was kann ein Kriegsschiff schon ausrichten?“ Die USA, zitiert ihn die halbamtliche Internetzeitung „baztab.com“ flapsig, „can’t do a damn thing“ (ungefähr: „können einen Scheiß ausrichten“).

Ganz so gelassen dürfte Ahmadinejad tatsächlich aber nicht sein: Vergangene Woche ließ er die Revolutionsgarden, seine Elitetruppe, zwei Tage lang Seemanöver durchführen – und am Donnerstag pflichtschuldig den erfolgreichen Test einer neuen Rakete melden. Ab sofort könnten alle Kriegsschiffe im Persischen Golf angegriffen werden, hieß es.

Steuert die Region auf einen neuen Krieg zu? Riskieren es die Amerikaner tatsächlich, sich nach dem Irak und Afghanistan auch noch den Iran vorzunehmen – einen Staat, der über eine stabile Regierung und eine intakte Verteidigung verfügt und zudem an der Schwelle zur Atommacht steht?
Manches deutet darauf hin, die Zeichen stehen auf Konflikt.

Schläge. „Das sind nicht nur Drohgebärden“, analysiert Walter Posch, Iran-Experte am European Union Institute for Security Studies (ISS-EU) in Paris: „Die Amerikaner haben die militärische Option immer unterstrichen. Sie bleibt auch realistisch. Und die Iraner nehmen das ernst, wollen aber nicht zurückweichen.“
Dass es im Iran zu einem Einmarsch am Boden kommen könnte, ist zwar höchst unwahrscheinlich – gezielte Schläge gegen das persische Atomprogramm wollen viele Experten aber längst nicht mehr ausschließen. Ali Asghar Soltanieh, iranischer UN-Botschafter in Wien, kündigt im Interview mit profil denn auch an, „dass wir eine Aggression nicht unbeantwortet lassen würden. Wir würden sofort mit großer Härte reagieren.“

„Die Gefahr einer ungewollten Eskalation ist extrem hoch“, meint Bruce Riedel, Nahost-Experte des renommierten amerikanischen Think Tanks Brookings Institution, zuvor 30 Jahre Mitarbeiter der CIA, gegenüber profil. „Provokationen und Reaktionen können sich aufschaukeln. Wir sind in einer sehr gefährlichen Situation.“
Sollten die Amerikaner tatsächlich gegen den Iran losschlagen, könnte die Lage am Golf rasch außer Kontrolle geraten. An Szenarios dafür mangelt es nicht. Erst vor wenigen Tagen skizzierte eine gemeinsame Studie von 17 britischen Think Tanks, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen unter dem Titel „Time to talk“ („Es ist Zeit, miteinander zu reden“) eines davon: Die islamistische Hisbollah, eine Schiitenmiliz mit besten Verbindungen nach Teheran, startet aus dem Libanon Angriffe gegen Israel. Dort, in den besetzten Gebieten, wird die radikale Hamas aktiv. In Afghanistan wenden sich die Kriegsfürsten der Nordallianz, ebenfalls mit dem Iran verbandelt, gegen die Zentralregierung in Kabul. In Westeuropa und den USA schlagen Selbstmordattentäter los. Iranische Marineeinheiten blockieren die Tankerroute durch den Persischen Golf, der Ölpreis klettert über 100 Dollar. Nach den Bombardements verstrahlt radioaktiver Fallout Teile des Iran, tausende zivile Opfer sind zu beklagen.

Ganz so geballt wird es wohl nicht kommen. Doch jedes einzelne Subszenario ist denkbar. „Eine Militäraktion könnte einen tief greifenden Effekt auf die Region haben, mit Schockwellen weit darüber hinaus“, wird in der Studie resümiert. Vor einer „Vielzahl von Risiken, unter anderem eine unvorhersagbare iranische Reaktion“, warnt eine eben veröffentlichte Analyse des Institute for National Security Studies an der Universität Tel Aviv. Kontraproduktive Konsequenzen eines Militärschlages sieht auch eine aktuelle Einschätzung des Konfliktforschungs-Think-Tanks International Crisis Group: Nicht nur, dass er „eine Reaktion seitens des Iran auslösen könnte, die außer Kontrolle gerät“ – im Land selbst würde er wohl „die internen Veränderungsprozesse verzögern und radikale Kräfte stärken“, so die Prognose.

All das wären gute Gründe für die USA, einen Gang oder zwei zurückzuschalten. Die Bereitschaft dazu ist jedoch nicht zu erkennen. Mittlerweile scheint die Regierung Bush mit ihrer martialischen Haltung selbst im eigenen Land isoliert zu sein. Sogar durchaus unverdächtige Fachleute in den USA verstehen nicht mehr ganz, was das Weiße Haus antreibt. „Es gibt eigentlich wenig Anlass für erhöhte Spannungen“, wundert sich Sherifa Zuhur, Nahost-Expertin am Institut für Strategische Studien des US Army War College – dem führenden Think Tank der US-Armee –, im Gespräch mit profil. Ähnlich Vali Nasr, Iran-Spezialist des Council on Foreign Relations: „Von der Truppenverstärkung im Irak und dem neuen Fokus auf den Iran wurden wir alle überrascht.“
Geht es darum, von den täglichen Horrormeldungen aus dem Irak abzulenken, indem die Verantwortung für das dortige Desaster dem Iran zugeschoben wird? Offenkundig ist es so. Selbst eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Lagebeurteilung sämtlicher 16 US-Geheimdienste, das „National Intelligence Estimate“, kommt zum Schluss, dass der Iran zwar im irakischen Widerstand mitmische, es aber unwahrscheinlich sei, dass er eine „bedeutende Treibkraft für die Gewalt im Irak“ darstelle.

Stabilisierung. Insgesamt, darüber herrscht unter vielen Fachleuten Einigkeit, dürfte der Einfluss Teherans auf den Irak eher stabilisierend als destabilisierend sein. Das Mullah-Regime habe „sogar eine positive Rolle gespielt“, sagt Vali Nasr: „Es unterstützt als einziges Land in der Region gemeinsam mit den USA die irakische Regierung.“ Immerhin hat der Iran in Bagdad eine Botschaft eröffnet, konservative iranische Mullahs riefen die Iraker per Fatwa auf, an den Wahlen teilzunehmen. „Die Iraner unterstützen uns im Irak weit stärker, als es der amerikanischen Öffentlichkeit bewusst ist“, gibt auch Sherifa Zuhur vom US Army War College zu bedenken: „Deshalb ist unsere neue Politik gegenüber dem Iran ein Problem.“
Unterdessen werden die gegenseitigen Vorhaltungen und Provokationen schärfer. Auf der einen Seite wollen die Amerikaner Beweise dafür haben, dass iranische Geheimdienstleute hinter der Entführung und Erschießung von fünf US-Soldaten aus einem Verbindungsbüro in der Stadt Kerbala stecken. Auf der anderen bezichtigt Teheran die USA, für die mysteriöse Verschleppung eines hochrangigen iranischen Diplomaten in Bagdad verantwortlich zu sein. Außerdem wollen die Perser ein weit verzweigtes Agentennetzwerk auf ihrem Staatsgebiet enttarnt haben, aufgezogen von Amerika und Israel.

Brachialrhetorik. Israel: Das ist derzeit eine große Unbekannte, was ein militärisches Vorgehen gegen den Iran betrifft. Sollte der Iran tatsächlich in den Besitz von Atomwaffen kommen, sei „erstmals ein feindlicher Staat technisch in der Lage, Israel einen vernichtenden Schlag zu versetzen“, warnt eine aktuelle Analyse des Institute for National Security Studies an der Universität Tel Aviv – was angesichts der brachialen Rhetorik iranischer Spitzenpolitiker, die Israel in regelmäßigen Abständen „von der Landkarte tilgen“ wollen, nicht gerade zur Beruhigung beiträgt. Die Rechte in Israel hat bereits den Begriff „atomarer Holocaust“ geprägt.
„Wir müssen Verhandlungen eine Chance geben“, fordert hingegen Meir Javedanfar, Direktor der Middle East Economic and Political Analysis Group (Meepas) in Tel Aviv im Gespräch mit profil, der es auch für „höchst unwahrscheinlich“ hält, dass der Iran Nuklearwaffen gegen Israel einsetzen würde. „Das iranische Regime wird niemanden angreifen, der ihm in seiner Existenz gefährlich werden könnte. Wenn es darum geht, Risiken zu kalkulieren, ist es eines der rationalsten der Welt.“
Was man von den USA nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre hingegen nicht unbedingt behaupten kann.

All das macht Prognosen über die weitere Entwicklung schwierig: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Teheran die Eskalation vorantreibt, um sie am Ende für einen klug inszenierten Rückzieher zu nutzen. Es bleibt denkbar, dass Washington aller Vernunft zum Trotz einen Angriff startet. Inzwischen bleibt, wie es IAEA-Generaldirektor Mohammed El Baradei am Freitag gegenüber „Spiegel online“ formulierte, „der Nahe Osten in der schlimmsten Situation, die ich je erlebt habe“.

Von Martin Staudinger, Inge Günther Jerusalem) und Sebastian Heinzel (New York)