Kernfusion: Wahre Sonnenenergie

Kernfusion: Die wahre Sonnenenergie

Die technologischen Probleme seien gelöst

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Die Träume von der unerschöpflichen, billigen Energie klingen fantastisch: In zwei Liter Wasser und einem Viertelkilo Gestein steckt das Potenzial, um eine Familie ein ganzes Jahr lang mit elektrischer Energie zu versorgen. Man müsse nur den im Wasser enthaltenen schweren Wasserstoff und das im Gestein enthaltene Lithium herauslösen, in einem Fusionsreaktor in Energie umwandeln, und der Traum wird wahr.

So steht es in Prospekten diverser Forschungszentren.

Mehr noch: Was den benötigten Wasserstoff angehe, so reiche das Wasser des Genfer Sees oder gar des Attersees aus, um die Menschheit auf tausende Jahre mit Energie zu versorgen. Und das benötigte Gestein für die Gewinnung von Lithium sei auf der Welt sowieso in Hülle und Fülle vorhanden.

Neue AKWs. Die Träume von der Kernfusion, der Sonnenenergie auf Erden, sind mit steigenden Ölpreisen und weltweit wachsender Nachfrage aktueller denn je. Irak-Krieg und Anschläge in Saudi-Arabien haben der Welt vor Augen geführt, wie verwundbar die Lebensader Öl geworden ist. Plötzlich redet die Welt von neuen Kernkraftwerken. China will bis 2020 seine Kernkraft vervierfachen. Auch in den USA und in der EU sollen neue AKWs gebaut werden. Und Österreichs Verbundgeneral Hans Haider, der im „Mittagsjournal“ laut darüber nachdachte, dass Europa nicht ohne neue Kernkraftwerke auskommen werde, erntete prompt heftige Kritik der AKW-Gegner.

Umso mehr wälzen Experten Pläne einer gefahrlosen Kernenergie, bei der auch die Entsorgung der radioaktiven Abfälle in vertretbare Bahnen lenkbar wäre: die Kernfusion, an der Wissenschafter seit 50 Jahren arbeiten. Lange Zeit schienen die damit verbundenen technologischen Probleme nahezu unlösbar. Doch jetzt sagen die damit befassten Forscher, die Probleme seien weit gehend gelöst. „Wir sind überzeugt, dass so eine Anlage funktioniert“, sagt Harald Weber vom Atominstitut der österreichischen Universitäten, Mitglied des zwischen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und EURATOM, dem Kernforschungsarm der EU, gebildeten Lenkungsausschusses (siehe auch Interview).

Die Probleme, die es gebe, seien weniger technologischer als politischer Natur.

Denn seit anderthalb Jahren ist sich die internationale Gemeinschaft darin einig, dass die seit langem geplante Großversuchsanlage ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor, lateinisch heißt „iter“ auch der Weg) gebaut werden soll. Der Standort- und Baubeschluss für das im Endausbau auf Kosten von 4,5 Milliarden Euro und etwa nochmals 4,5 Milliarden Betriebskosten für 20 Jahre geschätzte Projekt hätte längst fallen und der Bau spätestens heuer beginnen sollen. Bei einer geplanten Bauzeit von zehn Jahren sollte die Kernfusions-Versuchsanlage im Jahr 2014 in Betrieb gehen.

Doch seit Monaten steht alles still, weil sich die beteiligten Nationen bisher nicht über den Standort des Werks einigen konnten. Von den ursprünglich vier ins Auge gefassten möglichen Standorten sind Clarington (Kanada) und Vandellos (Spanien) vorzeitig ausgeschieden. Jetzt stehen noch zwei mögliche Standorte zur Auswahl, um die hinter den Kulissen eifrig gerangelt und gefeilscht wird: Cadarache in Südfrankreich und Rokkasho-mura am Nordende der japanischen Hauptinsel Honshu.

Von den nunmehr an dem Projekt beteiligten sechs Proponenten (EU samt Schweiz, USA, Russland, Japan, Südkorea und China) favorisieren die USA, Südkorea und Japan den japanischen, die EU, Russland und China den französischen Standort. Insgeheim wird vermutet, die USA wollten sich mit ihrer Entscheidung für die Haltung Frankreichs vor dem IrakKrieg revanchieren. Die Amerikaner verkündeten ihre Präferenz für den japanischen Standort, noch bevor das Evaluierungsverfahren für die einzelnen Standorte abgeschlossen war. Schließlich geht es dabei nicht nur um einen Forschungsstandort, sondern auch um einen beträchtlichen wirtschaftlichen Impact.

Unterdessen versucht jeder der beiden Kontrahenten, durch Nachbesserungen des Angebots das Pendel der Entscheidung auf seine Seite zu ziehen. Sowohl Japan wie auch Frankreich hatten angeboten, jeweils 48 Prozent der Errichtungskosten zu übernehmen. Außerdem könnte man den zusätzlich zum Versuchsmeiler geplanten Neutronenbeschleuniger (IFMIF) dem jeweils leer ausgegangenen Kontrahenten überlassen. In dieser Anlage sollen während der Betriebszeit von ITER Materialien auf ihre Widerstandsfähigkeit und Reaktortauglichkeit untersucht und verbessert werden.

Opfer dieses politischen Hickhacks sind die Forscher, die seit Monaten nicht wissen, wie sie dran sind und ob der Reaktor überhaupt gebaut wird. In ihrem Frust greifen sie nach jedem Strohhalm, der einen Lichtblick verheißt. So heißt es derzeit gerüchteweise, eine Entscheidung könne am 18. Juni im Rahmen eines Meetings der Internationalen Atomenergieorganisation IAEA in Wien fallen. Tatsächlich könnte ITER dort Thema sein.

Technologie-Fortschritte. Das Entscheidende sind freilich die Fortschritte, die in den vergangenen Jahren in der Fusionsforschung gemacht wurden. Von Anfang an gab es drei zentrale Problembereiche, um eine Kernfusion in Gang zu bringen, sie dauerhaft in Gang zu halten und daraus Energie zu gewinnen: die zum Start des Prozesses erforderliche, enorme Zündtemperatur von 100 Millionen Grad, die Beherrschbarkeit des Plasmas und die Entwicklung von Materialien, welche hohe Temperatur sowie den Dauerbeschuss durch Neutronen aushalten.

Bei der Kernfusion, wie sie in der Großversuchsanlage ITER ablaufen soll, werden leichte Wasserstoffatomkerne zu schweren Atomkernen verschmolzen. Präziser: Dies geschieht mit den Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium. Während der Atomkern des einfachen Wasserstoffs nur aus einem Proton besteht, besitzt der Deuteriumkern neben einem Proton noch ein Neutron. Und der Tritiumkern besitzt neben dem Proton noch zwei Neutronen.

Die hohe Temperatur, die notwendig ist, um den Fusionsprozess anzustoßen und das Plasma zu erzeugen, wird durch eine ganze Palette von Methoden erreicht. So etwa durch das Einstrahlen elektromagnetischer Wellen, welche die Teilchen beschleunigen, oder durch den Beschuss mittels Neutralteilchen, welche möglichst viel Energie auf die Teilchen übertragen. Durch die zunehmende Aufladung mit Energie erhitzen sich die Teilchen bis zu jener Temperatur von 100 Millionen Grad, bei welcher der Fusionsprozess in Gang kommt.

Plasma im Vakuum. Da es kein Gefäß gibt, das eine derartige Temperatur aushält, muss das nunmehr entstandene Plasma von jeder Berührung mit der Wand des Reaktorbehälters fern gehalten werden. Das wird erreicht, indem das Plasma mithilfe komplexer Magnetfelder im Vakuum in Schwebe gehalten wird. Bis zu diesem Punkt ist dies schon gelungen, am eindrucksvollsten in der im Vergleich zum geplanten ITER kleinen Versuchsanlage Joint European Torus (JET) im englischen Culham. Allerdings werden die Magnetfelder dort noch recht altmodisch mithilfe von Kupferdrahtwicklungen erzeugt. Bei ITER werden die komplexen Magnetfelder durch supraleitende Hochleistungsmagneten generiert, eine Technologie, an deren Entwicklung Forscher des Wiener Atominstituts der österreichischen Universitäten maßgeblich beteiligt sind.

Bei ITER hat der ganze Vorgang eine andere Dimension. Kernstück des Reaktors ist der Torus, dessen Form man sich am besten wie einen seitlich leicht zusammengedrückten Schwimmreifen vorstellt. Höhendurchmesser dieses „Schlauchs“: 12,4 Meter, also wie ein zweistöckiges Haus; Breitendurchmesser: vier Meter. Dieser ringförmige Raum, in dem zu Betriebszeiten das Vakuum und die komplexen Magnetfelder erzeugt werden, ist innen mit Kacheln ausgekleidet, die wie beim Spaceshuttle eine Art Hitzeschild bilden. Denn trotz Vakuums und Abstands zum ultraheißen Plasma müssen diese Kacheln Temperaturen bis zu 2000 Grad aushalten.

Doch die Temperatur ist das viel geringere Problem als der Neutronenbeschuss. Bei der Kernfusion werden beständig Neutronen aus dem Plasma hinausgeschleudert. Diese dringen durch die Hitzekacheln an der ersten Wand ins dahinter liegende so genannte Blanket. Dort erzeugen die Neutronen die eigentliche Wärmeenergie, die über einen Kühlkreislauf abgeleitet und dann konventionell über Wärmetauscher, Dampfturbine und Generator in elektrischen Strom umgewandelt wird.

Die Neutronen erfüllen im Blanket aber noch eine zweite wichtige Funktion: Sie spalten aus dem dort eingespeisten Lithium das Wasserstoffisotop Tritium ab und liefern damit neuen Brennstoff für den Reaktor. Aber – und das ist das dabei auftretende Problem – die Neutronen „aktivieren“ das von ihnen durchdrungene Material, das heißt, dieses wird radioaktiv und bildet daher atomaren Müll, der ähnlich wie bei konventionellen Kernkraftwerken zwischengelagert werden muss. Zwar ist dieser nukleare Abfall in seiner Radioaktivität nicht mit ausgebrannten atomaren Brennstäben vergleichbar, aber er ist ein Problem.

Ein weiteres Problem ist, dass der beständige Neutronenbeschuss das Material, also auch Konstruktionsteile des Reaktors, schädigt. Daher wird fieberhaft an neuen Materialien geforscht und gearbeitet, so auch in Österreich. Die Planseewerke in Reutte, Tirol, entwickeln dafür spezielle Werkstoffe und ganze Komponenten (siehe Kasten rechts). Das Ziel dieser Forschungen ist es, nicht nur langlebige Werkstoffe zu entwickeln, sondern auch solche, die nach ihrer Verwendung nur noch etwa 25 Jahre gelagert werden müssen, bevor man sie wieder verwerten kann.

Als entscheidendes Plus des Fusionsreaktors sehen Experten aber die Sicherheit: Weil der Reaktor nicht durchgehen kann, ist ein Tschernobyl nicht möglich. Sobald die Fusion schief läuft, bricht der Prozess in sich zusammen, und der Reaktor schaltet sich ab. Und wenn es der Materialforschung gelänge, die Probleme der radioaktiv verseuchten Bauteile befriedigend zu lösen, hätte man eine Energie aus unerschöpflichen Rohstoffen, die noch dazu sicher und halbwegs sauber ist.

Doch dorthin ist noch ein weiter Weg. Selbst wenn demnächst der Baubeschluss fällt und noch heuer mit dem Bau von ITER begonnen wird – der Versuchsreaktor wird frühestens im Jahr 2014 in Betrieb gehen. Dann dauert es nochmals 20 bis 30 Jahre, bis der ersehnte Fusionsstrom, die wahre Sonnenenergie, aus der Steckdose kommt.