Peter Michael Lingens

Ketzerische Fantasien

Ketzerische Fantasien

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Allseits wird gerätselt, was die SPÖ mit der halben Ablöse von Alfred Gusenbauer und der halben Kür von Werner Faymann bezweckt.
Eher noch hätte ich für möglich gehalten, dass sie Gusenbauer erst ein halbes Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode durch Faymann ersetzt, damit dieser „unbeschädigt“ in die entscheidende Wahl ziehen kann. Aber wahrscheinlich ist man zu dem Schluss gekommen, dass es nicht mehr möglich ist, so lange zuzuwarten. Wenn es wirklich ein „Schluss“ und nicht eher ein emotionaler Ausbruch gewesen ist: Zu viele wichtige Genossen dürften zugleich gefunden haben, dass sich „jedenfalls irgendwas ändern muss“. Was herausgekommen ist, scheint nicht nur mir völlig unbrauchbar: Gusenbauer ist ein „Dead Man Walking“ (Michael Völker im „Standard“); seine Aussage, er bliebe Kanzler und Spitzenkandidat, macht nicht nur ihn, sondern die gesamte SPÖ unglaubwürdig. Offenbar scheint man in der Partei so zu denken: Indem Gusenbauer noch eine Weile Kanzler bleibt und sich als Spitzenkandidat ausgibt, kann man ihm bis auf Weiteres die Niederlagen anlasten, die die nächsten Landtagswahlen zweifellos mit sich bringen, und auch wenn die „Handschrift der SP֓ bei der Steuerreform einmal mehr vom ­Finanzminister beiseitegewischt wird, hätte Gusenbauer, nicht Faymann den schwarzen Peter. Der wäre die ganze Zeit nur der sympathische, um Zusammenarbeit bemühte Parteiobmann, der diese Niederlagen Gusenbauers nicht abwenden konnte. Erst etwa ein halbes Jahr vor den Wahlen entschlösse er sich heldenhaft, selbst in den Ring zu steigen. So – zumindest scheint mir das die einzige vernünftige Erklärung – glaubt die SPÖ, Faymann doch unbeschädigt ins Rennen schicken zu können.

Wenn das so sein sollte, ist es eine grobe Fehlkalkulation: Die SPÖ hätte im Zuge ihrer „Doppelregentschaft“ noch mehr Prügel als schon bisher einzustecken und stünde am Ende als völlig ruinierte Partei da, die auch mit einem „unbeschädigten“ Faymann keinerlei Chance hätte. Ich gehe davon aus, dass sie das bald erkennt und Faymann schon demnächst zum Obmann, Kanzler und Spitzenkandidaten in einem macht. Es bleibt ihm dann zwar nichts übrig, als zu beweisen, dass er besser als Gusenbauer mit der Obstruktion von Molterer & Schüssel umgehen kann, aber darin liegt seine einzige Chance. Dass sie mit dem Risiko behaftet ist, dass man auch ihn für „nicht durchsetzungsfähig“ hält, ist unvermeidlich. Manchmal fantasiere ich, was sein könnte, wenn in der Politik etwas mehr Fantasie herrschte: wenn etwa die SPÖ ihre aktuelle Krise gemeistert hätte, indem sie nach dem Muster der USA parteiinterne Vorwahlen veranstaltet hätte, in denen drei, vier Kandidaten von Werner Faymann über Gabi Burgstaller bis Franz Voves darum gekämpft hätten, von SP-Sympathisanten zum Spitzenkandidaten gekürt zu werden.

Das hätte nicht nur die populärste Person – vielleicht tatsächlich Faymann – an die Spitze gebracht, sondern zugleich „Bürgernähe“ und „Aufbruch“ signalisiert. Ein sonderliches Risiko wäre es für niemanden gewesen, denn ein Kandidat ohne Unterstützung durch die wichtigs­ten Parteigranden hätte in solchen Vorwahlen keine Chance. Sie hätten ihn nur nicht hinter verschlossenen Türen „bestimmen“ können, sondern ein wenig „Persönlichkeitswahlrecht“ akzeptieren müssen. Wirklich so schrecklich?
Weil ich gerade beim Fantasieren bin: Warum hat die ÖVP ihr Dilemma in Tirol nicht lösen können, indem sie Fritz Dinkhauser dort zum Obmann und dann triumphal zum Landeshauptmann machte? Schließlich ist Dinkhauser sein Leben lang ein „Schwar­zer“ gewesen, auch wenn er manchmal den einen oder anderen roten Gedanken gehabt hat. Verwaltungspraxis hat er auch – es ist in keiner Weise zu befürchten, dass Tirol im Chaos versänke, wenn er an Stelle van Staas regierte. Und die ÖVP könnte „Bürgernähe“ und „Aufbruch“ signalisieren.
Wirklich so schrecklich?

Zum Schluss noch eine harmlose Fantasie. Als Bewohner der Burggasse war ich einer der Wiener, die befürchtet haben, entsetzlich unter der EM zu leiden: der Ring unpassierbar, der Heldenplatz und der Platz zwischen den Museen total verstellt. Aber dem ist nicht so: Vielmehr meine ich, dass die Fanzone den Beweis erbracht hat, dass der Verkehr keineswegs zusammenbricht, wenn Teile des Rings gesperrt und den Fußgehern vorbehalten sind. Ich machte das im Sommer zur Regel und gestaltete den Ring zwischen Babenbergerstraße und Universität zum „Korso“ um. Die Störung des Verkehrs fiele weit geringer als diesmal aus, weil ja nicht hunderttausend Fußballfans die Stadt stürmten – und Wien wäre um eine Attraktion reicher.

Gleichzeitig ließe ich am Heldenplatz ein, zwei Zelte als Kaffeehäuser stehen – das zerstörte seine Schönheit nicht und machte ihn noch wohnlicher. Vor allem aber machte ich das Meinl-Café zwischen den Museen als durchscheinende Stahl- und Glaskonstruktion zur ständigen Einrichtung.
Der Park dort war bisher reiner „Durchgang“: Niemand hat sich hingesetzt und zu Maria Theresia aufgeschaut. Jetzt schaut man ihr ins Gesicht oder genießt die Aussicht zur Hofburg, zum Museumsquartier oder den beiden Museen. Der Museums-Bezirk hat plötzlich ein Zentrum. Ich glaube, dass das vor allem dem Besuch des Kunsthis­torischen Museums bei der Jugend ähnlich guttäte wie die „Pyramide“ dem Louvre.