'Kinder unerwünscht' bei Carsten Höller

Exzentrischer Künstler im Kunsthaus Bregenz

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Dass ein Künstler als Dissertation eine „Effizienzanalyse der Parasitoiden an Getreideblattläusen“ vorlegt, klingt wie ein gut kalkulierter PR-Gag. Die Universität Kiel führt in ihrem Bibliothekskatalog tatsächlich eine Arbeit dieses Titels. Geschrieben wurde sie vom ebendort promovierten, heute als Künstler international bekannten Carsten Höller. Auf dem Gebiet der Insektenkunde forscht Höller schon lange nicht mehr. Die Faszination dafür ist ihm jedoch geblieben: An einem kühlen Spätnachmittag steht er am Dach des Kunsthauses Bregenz, das ihm ab sofort eine groß angelegte Personale widmet (siehe Kasten); er beobachtet interessiert einen Schwarm Mücken und erläutert ausführlich deren Paarungsrituale.

Höllers Entschluss, Künstler zu werden, hat sich gelohnt. Spätestens 1997, als er auf der documenta X in Kassel gemeinsam mit Künstlerkollegin Rosemarie Trockel im „Pavillon für Schweine und Menschen“ sein Publikum friedlich fressendes Nutzvieh beobachten ließ, reüssiert der 1961 in Brüssel geborene, in Deutschland aufgewachsene Künstler international. Doch schon vorher wurde man auf ihn aufmerksam: etwa, als er 1994 seinen Besuchern eine „Umkehrbrille“ aufsetzte und sie orientierungslos durch Galerieräume tappen ließ. Verstörender noch waren Höllers – freilich rein hypothetische – Attacken auf Kinder: Da montierte er etwa eine Schaukel an den Rand eines Hochhausdachs oder baute bösartige Fallen wie ein Kinderrad, das im Moment seiner Benutzung automatisch detonierte. Mediales Aufsehen erregte Höller auch 2006, als er in die riesige Turbinenhalle der Londoner Tate Modern lange Rutschen zur allgemeinen Benutzung einbaute – kein ganz neues Konzept, installierte er derartiges Spielplatzgerät doch bereits acht Jahre zuvor in den Räumen der Berliner Kunstwerke. Die Besucher reagierten dennoch begeistert und nahmen selbst lange Wartezeiten in Kauf, um die Höller’schen Kunstwerke angemessen zu konsumieren.

Schon in den frühen siebziger Jahren verwandelten Künstler wie die Gruppe Haus-Rucker-Co Museen in Spielplätze – Höller ist also nicht der Erste, der sein Publikum zur körperlichen Betätigung auffordert. Und hinter seinen aktivitätsfördernden Interventionen stecken selten ausgeklügelte Konzepte. Auf ihre simple Art entfalten sie jedoch bisweilen überraschende sinnliche Wirkung, eine gewisse Verführungskraft. Vielleicht liegt darin der Grund für Höllers Popularität in Sammlerkreisen: So schmückte etwa die Designerin Miuccia Prada ihr Bürogebäude mit einer seiner Rutschen. Auch Francesca Habsburg schätzt Höllers Kunst – sein blinkender Leuchttunnel ist derzeit in ihrer Sammlungspräsentation im Kunsthaus Graz zu sehen.

Mondän. Carsten Höllers Erscheinung mag zu seinen mondänen Fans ebenso wenig passen wie zu seiner spektakulären Kunst. Mit seinen schwarz geränderten Brillen, seinen Jeans und seinem Pullunder könnte er trotz seines Jahrgangs als Student durchgehen, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Höller ist kein großer Sprücheklopfer, der den Starkünstler gibt. Die Frage nach einem roten Faden in seinem Œuvre verneint er zu­nächst kategorisch. Zehn Minuten und mehrere Exkurse später fällt ihm doch noch ein, was seine Arbeiten über die Jahre hinweg verbinde: In ­seiner Kunst stelle er „das Leben als Selbst­versuch“ dar. Häufig wurde Höller unterstellt, seine Besucher als Versuchskaninchen zu missbrauchen, mit ihnen wie einst mit seinen Blattläusen zu experimentieren. Dies weist er jedoch strikt von sich – mit einer einfachen Begründung: „Da werden schließlich keine Daten gesammelt. Ich schaue mir nicht heimlich an, was die Leute damit machen, und zeichne das dann auf.“ So ganz kann Höller den Naturwissenschafter in sich aber nicht abschütteln. Selbst die Geburt seiner Tochter geriet ihm, wie er behauptet, zum „Selbstversuch“.

Wie passt die Vaterrolle überhaupt zu einem, der aufgrund seiner künstlerischen Vorschläge zum Kinderquälen schon einmal als „Kinderhasser-Künstler“ bezeichnet wurde? Natürlich sei er glücklich mit seiner Tochter, meint Höller. Trotzdem betont er – und es scheint ihm ernst zu sein: „Ich bin noch immer gegen die ­Reproduktion, ich finde diesen ganzen Vorgang wahnsinnig tierhaft und blind.“ Er setzt nach: „Wir reden ständig darüber, wie wir uns einschränken müssen. Aber über die Einschränkung nach dem ­chinesischen Modell, weniger Kinder zu kriegen, dar­über redet niemand.“ Schließlich seien Kinder „noch immer die größte Umweltverschmutzung“. Man müsse sich bloß vor Augen führen, wie viel Abfall der Nachwuchs pro­duziere.

Ein wenig exzentrisch ist es schon, das Weltbild des Carsten Höller. Seine oft so glamourösen, perfekt ausgearbeiteten, bisweilen aber auch recht einfach zu konsumierenden Installationen scheinen im Widerspruch zu seinen verschrobenen Ansichten zu stehen. Aber jemandem, der von den Getreideblattläusen zur Kunst gelangt ist, dürften derartige Ambivalenzen auch keine gröberen Probleme mehr bereiten.

Von Ulrike Moser