good news: Helmut A. Gansterer

Kinder, Eltern, Lehrer

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Kürzlich sagten zwei Freunde, der eine Unternehmer, der andere Kabarettist, nichts habe sie so genervt wie meine Geschichten aus der Mittelschulzeit. Das bewog mich, fair zu sein und neben den Freunden auch fünfhunderttausend anderen Österreichern auf den Wecker zu fallen. Also es war so, dass die HTL Mödling samt Internat ziemlich teuer war. Um meine Eltern finanziell zu entlasten, nahm ich in den Ferien die ödesten Jobs an, die logisch die meiste Kohle brachten. Ich war zu allem bereit, ausgenommen die Angebote, Erbsen zu ernten und Leichen in Skandinavien zu waschen. Das eine wollte ich nicht. Es war mir zu weibisch, was man damals noch sagen durfte, ohne sexuell unkorrekt zu sein. Das andere konnte ich nicht. Noch heute geht die TV-Krimi-Erfolgswelle mit sezierenden Pathologen an mir vorbei. Da wurde ich lieber Holzfäller unter Holzfällern. Wie jeden, der keine Ahnung hatte, setzte man mich in den Südhängen ein, wo die Himbeeren und Kreuzottern wachsen.

Aus Angst kaufte ich ellbogenlange Lederhandschuhe. Ich war der einzige Holzfäller, der je so was trug, und der einzige, der „Lord Jim“ gerufen wurde. Dies kam daher, dass ich Joseph Conrad verehrte und meinen Holzfällerfreunden davon erzählte. Manchmal, in den verbotenen Gösser-Bier-Pausen, umzingelt und umzüngelt von Kreuzottern, las ich aus seinen Werken vor. Ich las in den Südhängen des Schneebergs aus Conrads „Almayers Wahn“, in den Südhängen der Rax aus seinem Hauptwerk „Das Herz der Fins­ternis“. In den Südhängen des Semmerings, im Schatten des damals noch wichtigen Silberschlössels, las ich in schönem Schwarzataler Englisch aus dem Original „The Secret Agent“. Man hat das geliebt, wie ich ohne Verklärung sagen darf. Manch grober Geselle hat geheult, als ich abberufen wurde, weil mein nächstes Schuljahr begann.

Ich halte das immer noch für eine schöne Geschichte. Sie mag durch häufige Darbietung an Detail, Schärfe und Pointe gewonnen haben, wie das so ist mit Geschichten. Aber sie erklärt ganz gut, warum ich heute gerade in jenen Wochen gerne arbeite, da alle anderen Kopfarbeiter schlappmachen. Nie arbeite ich lieber als im Juli und August.
Die Zumutung, für profil und „trend“ in den heißen Tagen zu werken statt ins Meer zu springen, ist keine. Die Belastung ist im Kontrast zu den Mittelschulsommern lächerlich. Damals war ich so müde, dass sich die Hände aufdrehten. Oft konnte ich für Stunden meine harzverklebte Kleidung nicht ausziehen. Jede Dusche wurde zum Willensakt. Wie soll da heute eine Arbeit zur Last fallen, die ich in Sommerkleidern erledige, ohne körperliche Anstrengung, abgesehen vom Zehn-Finger-Stakkato auf der Notebook-Tastatur? Jede Chefsekretärin war auf diese Tastentechnik eifersüchtig, ehe ich ihr wissenschaftlich bewies, dass sie keine Chance hatte gegen Gliedmaßen, die einst Eichen ausrissen, Buchen entlaubten und hoch gelegene Lärchen entnadelten.
Die Erinnerung an früheres Körperleid ist ein ewiger Kraftquell. Sie wird heute professionell genützt. Allerdings nur im Spitzensport. Dort nennt man sie Bleiwestentraining: spätere Leicht-Last führt zum Flug.

Im Hochsommer-Urlaub lesen auch jene, die sonst nie lesen, und die ständigen Leser lesen gründlicher. Ich nütze diese Chance für eine seriöse Botschaft an alle Eltern, die ihre Kinder richtig führen wollen, als Verbindung eigener Erfahrung und jener von FreundInnen. Ergebnis: Wir wissen nichts wirklich. Vor allem nichts wirklich genau. Nur in den folgenden vier Punkten gab es Übereinstimmung. Erstens: Versuchen Sie, so zu sein, wie Sie wollen, dass Ihr Kind wird. Es gibt nichts Prägenderes als das engste Vorbild. Zweitens: Lassen Sie höhere Belastungen Ihres Kindes zu, sofern sie von vernünftigen Lehrern verlangt werden oder vom Kind selbst. Drittens: Lassen Sie zu, dass Ihr Kind in den Ferien zur Haushaltskasse beiträgt, als wichtiges Fundament seines Selbstbewusstseins. Viertens: Lassen Sie das Kind den Beruf finden. Es begreift sein „Fenster zum All“ besser als Sie. Unterstützen Sie diesen Zugriff, notfalls durch gespielte Zuversicht. Und feiern Sie jeden Zwischensieg wie Olympia-Gold.

Das ist alles, was wir zuwege brachten. Es ist nicht nichts, aber wenig. Gott sei Dank bin ich unabhängiger Kolumnist. Ich darf mich über demokratische Ergebnisse diktatorisch hinwegsetzen. So nenne ich noch zwei Punkte, für die ich im Kreis meines Väter-Mütter-Panels keine Mehrheit fand, weil ich sie aus der Management-Welt auf die Kinder übertrug. Erstens: Stärkt die natürlichen Stärken der Kinder, verzeiht ihre natürlichen Schwächen. Grotesk, ein mathematisch-physikalisch-chemisches Genie zu ersticken, weil es zutiefst mit Latein, Luther und Leguanen nichts anfangen kann, oder umgekehrt. Das ist keine Absage an prinzipielle Generalbildung oder Lehrerachtung, wie Leser dieser Kolumne wissen. Eher die Bitte, den besonders spitzen Pfeilen großzügig den goldenen Kreis freizugeben. Wir brauchen sie auch ökonomisch, um in den Top Ten des Wohlstands und des sozialen Friedens zu bleiben.

Zweitens: Die ganze Welt akzeptiert den Österreicher Ernest Dichter als wissenschaftlichen Begründer der Motivation. Schlüssig und schön daher, wenn wir als erste Nation eine wesentliche Motivation in die Schulklassen trügen: Die Lehrer unterstreichen fortan nicht rot die Fehler, sondern grün das Richtige. Für hirnlose Grobiane ist das g’hupft wie g’hatscht. Für alle anderen nicht.