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Kino: Der Herr der Klinge

Der Herr der Klinge

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Seit Monaten schon wetterleuchtete es. Da sei, hieß es, ein heißes Thema im Fadenkreuz, Antisemitismus im Spiel, viel Blut und ein allseits bekannter Märtyrer: Jesus Christus. Das Leitmedium Kino hat sich der fabelhaften Heils- und Erlösungsgeschichte schon immer gern angenommen. Sie ist in Wahrheit das älteste Filmsujet überhaupt. Nicht „Great Train Robbery“ war der erste Spielfilm der Kinogeschichte, sondern „The Passion Play“ (1897/98) von den vergessenen Filmpionieren Richard G. Hollaman und Albert G. Eavers. Danach wurde der Bibelfilm zum Genre. Sonntagsmalerische Dekors, Faltenwürfe, Palmwedel, Sandalen, gefaltete Hände, Demut, offene Wunden. Und plötzlich sollte der allseits bewegende Stoff nun ein heißes Eisen sein?

Jüdische Organisationen in den USA protestierten, verlangten gar Schnitte und warnten, der Film könne zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger führen. Marvin Hier, Rabbiner des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, monierte: „Jeder Jude in diesem Film, mit Ausnahme der Jünger Jesu, wird als grausam dargestellt. Sie haben dunkle Augen und Bärte – wie Rasputin.“ Und Abraham Foxman von der Anti Defamation League sprach von einer „üblen“ Form der Hetze.

„Während die Gewaltdarstellung alle anderen Eindrücke in den Hintergrund dränge, fehle es dem Film an Würde“, hieß es dagegen lapidar in der „New York Times“, nachdem der Film am 25. Februar in den amerikanischen Kinos gestartet war und kommenden Donnerstag auch in Österreich anläuft: „Die Passion Christi“ von Mel Gibson.

Es trat ein, was die heftigen Dispute erwarten ließen: Gibsons erst belächeltes, dann bemäkeltes Opus wurde ein Kassenhit. Schon am ersten Tag spielte es 25 Millionen Dollar ein (bei Produktionskosten von 28 Millionen). Mittlerweile hält „Die Passion Christi“ allein in den USA bei über 230 Millionen Dollar. „Der Herr der Ringe“, die andere Erlösungssaga, hat trotz Oscar-Salbung dagegen keine Chance. Aufmerksamkeitsfördernd wirkten nicht zuletzt auch die Nachricht vom tödlichen Herzanfall einer Frau während der Kreuzigungsszene oder Zuschaueräußerungen wie „Ich fühle mich ganz schwach“. Endlich war einem Film gelungen, was andere mit noch so viel Blut seit Jahren erfolglos versuchen: die Seelen so richtig in Wallung zu bringen. Christus statt im Tränental auf dem Hügel des Horrors?

Gibson, Produzent, Regisseur, Co-Autor und biblisch beseelter Ganztagschrist, weist einschlägige Absichten entrüstet von sich: Er habe einem inneren Drang folgen müssen und kein kommerzielles Kalkül verfolgt. In Wahrheit bietet seine „Passion“, was es in diesem Genre bislang noch nicht gab: eine Art Reality-Version der Heilsgeschichte – und ist damit ganz auf der ästhetischen Höhe unserer Zeit.

Hatten Jesus-Filme sonst immer ins Gemütsstübchen abgehoben und den Stoff als Trivialgut entschärft, so gelang dem Italiener Pier Paolo Pasolini mit seinem „1. Evangelium“ 1964 eine erste ernsthafte Auseinandersetzung, indem er Jesus aus dem Herrgottswinkel holte und nicht auf Palmwedeln, sondern auf dem Boden der Wirklichkeit agieren ließ. Der Film erzählte von der Sehnsucht nach Erlösung und von der Sehnsucht nach dem Vollzug dieser Erlösung. Pasolinis franziskanisch geprägter Christus musste ans Kreuz, um Veränderungen überhaupt möglich zu machen: das Kreuz als Zeichen des Triumphs.

Marterpfahl. Bei Gibson ist das Kreuz ein „authentischer“ Marterpfahl, seine Version eine rüde Gewaltorgie, die aber, so erklärte der Beseelte im US-Sender ABC, „nötig“ sei, um die „enorme Größe des Opfers“ begreiflich zu machen. Nachvollziehbar wird diese Absicht allerdings nicht. „Es handelt sich“, so „Die Zeit“, „um ein kalifornisches Splatter-Movie.“

Gibson beginnt mit der Verhaftung Jesu im Garten Gethsemane. Danach geht die Post ab. Hohepriester Kaiphas krakeelt gegen Jesus, der Plebs ist lüstern, die römischen Soldaten sind grausam, und Pontius Pilatus gibt den Affen Zucker. Dann wird penibel gefoltert, was das Zeug hält, Blut fließt maßlos, Wunden klaffen grauslig, und am klobigen Kreuz wird betulich genagelt.

Es ist kaum zu vermuten, dass Gibson Joris-Karl Huysmans (1848–1907) kennt, der den Sadismus für einen „Bastard des Katholizismus“ hielt. „Die Macht des Sadismus“, schrieb er, „sein Reiz liegt also allein in dem verbotenen Genuss, dass man die Huldigungen und Gebete, die man Gott schuldig ist, an Satan richtet.“ Satan kommt in Gibsons Film tatsächlich vor.

Natürlich meinte Huysmans, der sich mit der literarischen Dekadenz auseinander setzte, die Vorschriften des Katholizismus umzukehren und die von der Kirche verurteilten Sünden zu begehen. Für Gibson ein Sakrileg. Doch seine obsessive Wut, die im detailtrunkenen Ausbreiten der Folter und Quälereien geradezu halluzinatorische Ausmaße annimmt, kommt auf verquere Weise Huysmans’ Verdikt nahe. Vermutlich ging es Gibson, ganz simpel, um zeitgemäße Drastik.

Das Kino, dieses ideale Einmachglas für Zeitgeist, konserviert die Moden und Lebensgefühle von Epochen und reagiert folglich auch auf Terrorismus und Krieg. Kein Medium gibt dem Hochdruck der Gewalt so schnell und flexibel nach. Ob in Fantasy-, Martial-Arts- oder Kriegsfilmen, neuen Western oder Thrillern – bevorzugt wird das Grand Guignol mit krachenden Knochen, Blut und Tränen, grellen Effekten und schrillen Tönen. Die Passionsgeschichte zu derartigem Kraftfutter zu verarbeiten, sie in einem ästhetischen Bestiarium anzusiedeln entspricht also durchaus dem allgemeinen Trend. Und Mel Gibson war immer auf der Höhe der Zeit.

Mit „Mad Max“, einer Kreuzung von „Ben Hur“ und Formel 1, begann 1979 seine internationale Karriere. Sein Rollenprofil entwickelte sich zu einer eigentümlichen Mischung aus blauäugiger Sanftheit und Jähzorn. In Filmen wie „Kopfgeld“ (ein Vater setzt das Leben seines entführten Jungen aufs Spiel, weil er nicht zahlen will), „Signs – Zeichen“ (Aliens bedrohen einen Farmer) oder „Wir waren Helden“ (Gibson als unbeugsamer Vietnam-Soldat) spielt er auf dieser Crossover-Klaviatur wie kaum ein anderer Kollege.

„Es steckt eine Menge Zorn und Feindseligkeit unter Mels Oberfläche“, meinte der Regisseur Richard Donner, der mit Gibson die erfolgreiche „Lethal Weapon“-Serie initiierte. In Klaus Emmerichs „Der Patriot“ (2000) spielte Gibson einen Pazifisten, der zum Schutz seiner sieben Kinder zum Schlächter wird. In seinem bluttriefenden Historienepos „Braveheart“ (das mit fünf Oscars ausgezeichnet wurde) probte er 1995 bereits jene Märtyrerrolle, die er in seiner „Passion“ nun dem Schauspieler Jim Caviezel übertrug.

Die Querelen um den Jesus-Film haben noch andere Gründe, die mit Gibsons Background zusammenhängen. Mels Vater Hutton (85), ein christlicher Fundamentalist, gehört zu jenen Verblendeten, die den Holocaust leugnen und das Zweite Vatikanische Konzil ablehnen. Darüber schrieb er 1978 sogar ein Pamphlet mit dem Titel „Ist der Papst katholisch?“.

Auswanderer. Die Gibsons waren von den USA nach Australien übersiedelt, als Mel, das sechste von elf Kindern, zwölf Jahre alt war. Angeblich hatte Hutton die USA verlassen, um die Söhne vor dem Kriegsdienst in Vietnam zu bewahren. Mel Gibson behauptet, Arbeitslosigkeit habe den Vater zu dem Schritt genötigt.

Seit 1980 ist Mel verheiratet und inzwischen Vater von sieben Kindern, stockkatholisch, Befürworter der Todesstrafe, Gegner der Abtreibung und der Homosexualität. In der März-Ausgabe von „Reader’s Digest“ bekannte er: „Mein Vater lehrte mich meinen Glauben, und ich glaube, was er lehrte. Mein Vater hat mir nicht eine einzige Lüge erzählt.“

Und „lügen“ wollte er bei seinem Passionsspiel keinesfalls. Deshalb bestand er darauf, die Dialoge in Aramäisch und Altlatein zu drehen. Als das Projekt (von seiner eigenen Icon Firma produziert), von den großen Hollywood-Studios abgelehnt, endlich einen Verleih fand, forderte dieser zumindest Untertitel. Gibson weigerte sich und gab erst nach, als man ihm einen US-Kinostart mit 4000 Kopien garantierte.

Die Evangelikalen frohlockten: „Das wird unser christlicher Super Bowl!“ Kirchengemeinden in den Großstädten, die den Film einen Tag vor dem offiziellen Start sehen durften, erwiesen sich als kraftvolle Multiplikatoren im Vorfeld. Jüdischen Organisationen gelang es immerhin, jene Szene entfernen zu lassen, in der die jüdische Volksmenge brüllt: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“

Auch Katholiken zeigten sich befremdet über den „Okkultismus im christlichen Gewand“. Denn Gibson verwurstet nicht nur die Evangelien, sondern auch reichlich obskure Quellen. Kritik entzündet sich deshalb auch an Gibsons Behauptung, er halte sich streng an die Tatsachen. Nur: an welche?

Selbst Theologen sind skeptisch, wenn es um die historische Authentizität der Bibel geht. Zahlreich sind zwar die Schriften, die Jesus erwähnen, aber eine gesicherte Existenz können sie kaum belegen. Vielen Historikern stößt vor allem auf, dass kein nichtchristlicher Chronist von ihm weiß. Als Gegenbeleg wird gern der jüdische Historiker Flavius Josephus (37 bis etwa 105 n. Chr.) ins Feld geführt, der Jesus an zwei Stellen erwähnt, was allerdings auf christliche Nachbearbeitung zurückgeführt wird.

Der Gläubige jedenfalls hält sich an die Evangelien. Aus diesem Material jedoch einen „Tatsachenfilm“ machen zu wollen erscheint absurd. Genau das aber war Gibsons Absicht. Sein Wunden-Opus erinnert in seinem „Rekonstruktions“-Wahn kurioserweise an einen Kriegsfilm, dessen Kinostart lange verzögert wurde, weil er offenbar zu nahe an der Realität war: Ridley Scotts „Black Hawk Down“ (2001).

Das Pseudo-Doku-Drama über das Debakel der US-Truppen in Somalia lieferte jedoch keinerlei authentische Hintergründe, sondern nur hochartistisch fabrizierten Action-Voyeurismus. Exakt diesem Prinzip folgt auch Gibson. Von der Heilsbotschaft, Jesus sei aus Liebe zu uns und für unsere Sünden gestorben, bleibt bei Gibson unter dem ganzen Blut nichts mehr übrig.

Christlich bewegte Stoffe haben derzeit am Unterhaltungssektor Hochkonjunktur. Der Historienfilm „Luther“ wurde in Deutschland zu einem großen Kinoerfolg und fand sogar in den USA einen Verleiher.

Noch bemerkenswerter allerdings ist der Erfolg eines US-Thrillers: „Sakrileg“ von Dan Brown. Rund sechs Millionen Mal wurde der Bestseller verkauft, in dem es um eine hochbrisante Enthüllung geht: Jesus war mit Maria Magdalena verheiratet. Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor, die fliehen musste und das Merowinger-Geschlecht begründete. Dieser delikaten Spur geht Mel Gibson in seiner „Passion Christi“ allerdings nicht nach.