„Amerikas Abgründe hübsch verpackt“

Kino: Die Gezeichneten

profil traf den 'Simpsons'-Erfinder Matt Groening

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profil: Sie sehen ziemlich erledigt aus.

Groening: Pfuhh, das bin ich auch. Bevor ich gestern um Mitternacht in den Flieger gestiegen bin, habe ich noch die letzten Handgriffe an unserem Film gemacht. Und ich sage Ihnen: Es ist ein wirklich gutes Gefühl, jetzt so locker über das Ding reden zu können. Nach so vielen Jahren. Der Film – er ist fertig.

profil: Seit 1978 erscheint Ihr Cartoon „Life in Hell“ in diversen Zeitungen. Hollywood ist sicherlich auch eine Art von Hölle.

Groening: Es ist schmutzig, laut und voll des Wahnsinns. Manchmal, nach elf Stunden im Dunklen, blicke ich auf die Pizzakartons mit den angebissenen Teigstücken und dann auf meinen Co-Produzenten Al Jean. Ich fühle mich unendlich müde. Wir fahren vom Studio nach Hause und haben beide die Nase gestrichen voll von dem, was wir tun. Aber am nächsten Morgen ist der Spaß wieder da. Dann geht das Ganze von vorne los. „Life in Hell“ liebe ich deswegen noch so, weil ich bei dieser Arbeit wirklich frei und ganz auf mich allein gestellt bin.

profil: Über 400 Folgen lang haben Sie in den „Simpsons“ den amerikanischen Traum demontiert. Sie selbst sind aber ein Musterbeispiel dafür.

Groening: Ich sage mir jeden Morgen beim Aufwachen: Was für ein Glück! Du kannst tun, was dich am glücklichsten auf der Welt macht, und wirst dafür auch noch großartig bezahlt. Ich hätte sowieso immer Cartoons gezeichnet, auch wenn ich dabei verhungert wäre. So ist es mir natürlich lieber.

profil: In den „Simpsons“ überzeichnen Sie das amerikanische Proletariat, auch „White Trash“ genannt. Warum fasziniert Sie diese Schicht so?

Groening: Ich selbst stamme aus einer Mittelklassefamilie aus Oregon. Mein Vater war ein nicht besonders erfolgreicher Filmer. Er machte Surf-Filme und Werbespots. Alles im Alleingang: Er hat die Kamera geschleppt und den Ton selbst bedient. Er konnte auch gut zeichnen.

profil: Hat er Sie inspiriert, abgesehen von seinem Vornamen Homer?

Groening: Im Gegenteil: Er hat mir sogar vehement davon abgeraten, Cartoon-Zeichner zu werden. Seiner Meinung nach war ich viel zu unbegabt. Er war der fixen Überzeugung, dass ich keinen Tag von meinem zeichnerischen Talent würde leben können. Mir fällt gerade auf, dass ich das noch nie jemandem erzählt habe. Jedenfalls erklärte er mir, dass man auch den Trickfilm vergessen kann, weil man dazu so viele Leute braucht, die für einen die Drecksarbeit erledigen. Offensichtlich forderte mich sein Pessimismus zur Rebellion heraus. Ich ballte die Faust, dachte mir: Dad, meine Schlachten suche ich mir schon selber aus. Und du wirst schon sehen: Man wird mich dafür bezahlen!

profil: In Ihrer „Simpsons“-Serie konfrontieren Sie die Welt mit den schlimmsten Seiten der USA: Rassismus, Dummheit, Ungebildetheit, Fernsehsucht, Alkoholismus, religiöser Fanatismus – das ganze bunte Programm.

Groening: Ich war Journalist, so wie Sie. Und während dieser Zeit wurde mir immer bewusster, dass man mit Artikeln nichts, aber auch wirklich gar nichts bewegen kann. Das geschriebene Wort ist den Leuten völlig egal. Ich suchte also einen Weg, um diese hässlichen Seiten zu „feiern“ – oder besser: um die Leute damit zu unterhalten und zum Lachen zu bringen. Dann kamen die „Simpsons“. Ich habe die Abgründe Amerikas einfach nur hübsch verpackt. Unterhaltende Abgründe, wenn Sie so wollen.

profil: Stimmt die Legende, wonach Sie die „Simpsons“ vor einer Besprechung mit einem Produzenten während der Wartezeit in wenigen Minuten auf einem Gang erfunden haben?

Groening: Das war wirklich so.

profil: Wer war zuerst da?

Groening: Barts Zackenfrisur, allerdings viel höher und radikaler als das Endprodukt in der Serie. Der Wiedererkennungswert ist das Wichtigste bei einem Cartoon. Haben Sie Papier?

(Groening beginnt zu zeichnen.)

Groening: Sehen Sie, das ist Mickey Mouse. Und hier von der Seite. Und hier von hinten. Jeder Mensch sieht diese Ohren und weiß: Mickey Mouse. Mit Barts Frisur wollte ich denselben Effekt erzielen. So sah Barts Frisur aus! Und hier noch eine kleine Lisa.

profil: Danke herzlichst. Zeichnen Sie ruhig weiter! Irgendwo stand, dass „Die Feuersteins“ Sie sehr beeinflusst hätten.

Groening: Neiiin! Ich mag „Die Feuersteins“ nicht. Künstlerisch haben mich am meisten Dr. Seuss und die Zeichnungen von John Lennon geprägt. Dr. Seuss ist simpel, genau wie die Arbeiten von Lennon, aber gerade das macht beide so genial.

profil: Der Charme der „Simpsons“ liegt auch in den „Gastauftritten“ – von Britney Spears bis Thomas Pynchon reicht da die Palette. Pynchon lässt die Masse des Publikums wahrscheinlich kalt, aber wie haben Sie ihn, den großen Anonymitätsbesessenen, dazu gebracht?

Groening: Einer unserer Autoren hatte die Idee. Die Serie entsteht in großen Teams, die von mir und meinen Co-Produzenten kreativ überwacht werden. Ich sagte: „Ja, ja, gute Idee. Weißt du eigentlich, dass das Gott ist? Und Gott spricht keine Cartoon-Rollen.“ Zu meiner Überraschung hat Pynchon aber dann zugesagt.

profil: Haben Sie ihn leibhaftig getroffen?

Groening: Ja, er sieht wirklich gut aus. Der Verdacht, dass er sich versteckt, weil er so hässlich ist, fällt also weg. Und er ist lustig. Was mich aber am meisten fasziniert, ist, dass er Deadline-Stress hat. „In einem Jahr ist die Deadline für mein Buch“, sagte er, „das macht mich ziemlich nervös.“ Können Sie sich das vorstellen? Auch Gott hat Abgabestress! Das hat mich ziemlich erleichtert.

profil: Stehen Sie unter einem Bildungsauftrag? 95 Prozent der Kids kennen Pynchon sicher nicht einmal.

Groening: Natürlich – geschweige denn, dass sie ihn dann auch lesen. Meinen eigenen Söhnen ging’s genauso. Aber vielleicht kann man eine Art von Interesse implantieren. Unter uns: Am meisten habe ich mich über den musikalischen Gastauftritt der Ramones gefreut. Darauf war ich wirklich stolz.

profil: Auch Ihren Arbeitgeber Rupert Murdoch, „einen tyrannischen Billionär“, wie er in der Serie genannt wird, konnten Sie zu einem Gastauftritt bewegen. Schwierig?

Groening: Nein, er ist sehr nett, ein wirklicher Gentleman, und er hat Humor. Mich hat er immer besonders nett behandelt.

profil: Möglicherweise lag das auch daran, dass er viel Geld mit Ihnen verdient hat. Früher haben Sie sich oft darüber beklagt, dass Fox TV die „Simpsons“ nicht so liebt, wie es ihnen gebührte.

Groening: Das stimmt. Es gab Zeiten, da haben mir einige Leute von Fox dieses Gefühl vermittelt. Sie kennen wahrscheinlich auch die Geschichte über die Absetzung meiner Serie „Futurama“. In Hollywood gibt es die Regel: „Du liebst nur das, wofür du auch einen Kredit kriegst.“ Inzwischen hat sich das geändert. Diese Leute sind längst weitergezogen, und man achtet und respektiert uns.

profil: Präsident George W. Bush hat einmal angeregt, dass die Amerikaner sich weniger wie die Simpsons, sondern mehr wie die Waltons benehmen sollen. Waren die Waltons Ihr Hassobjekt?

Groening: Die waren in den Siebzigern im Fernsehen, da war ich schon Underground-Cartoonist. Aber ansonsten habe ich meine ganze Kindheit vor dem Fernseher verbracht. Unlängst wollte ich die Chronologie meiner Kindheit und Jugend aufschreiben und konnte das nur genau mit den jeweils angesagten Fernseh-Shows konstruieren. Das ist Amerika.

profil: Frank Schirrmacher, der Herausgeber der konservativen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, nannte die Simpsons die einzig funktionierende Kernfamilie des Fernsehens.

Groening: Die Simpsons versuchen eine glückliche Familie zu sein. Dabei müssen sie immer wieder feststellen, wie schwierig Familienleben ist. Sie hassen sich, sie quälen sich. Sie machen einander das Leben zur Hölle. Sie sind voller Neid und Gier. Aber sie lieben sich trotzdem.

Interview: Angelika Hager