Woody Allen feiert seinen 70. Geburtstag

Kino: König der Blamage

Das Porträt eines berufs-depressiven Regiestars

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Woody Allen ist ein sonderbarer Fall: Seine Filme machen, obwohl sie nicht viel kosten, an den Kinokassen wenig Gewinn. Die Qualität seiner Arbeit ist äußerst wechselhaft, auch weil er so unaufhörlich, fast besessen Filme dreht, dass kaum mehr als jeder vierte, fünfte davon künstlerisch wirklich von Interesse ist. Er hat keinen Sinn für Mode, weder am eigenen Körper noch in den Geschichten, die er erzählt. Sein Privatleben ist, vorsichtig formuliert, eine Katastrophe: ein knapp 60-Jähriger, der erst Nacktfotos seiner 21-jährigen Tochter daheim herumliegen lässt, sich dann vor Gericht gegen den Vorwurf des Kindesmissbrauchs zur Wehr setzen muss und wenig später mit seiner Adoptivtochter eine Ehe schließt, die er heute noch als „magisch“ und „irgendwie väterlich“ empfindet – eine solche Figur könnte, wenn man ihr in schlechter Literatur oder einem Fernsehmelodram begegnete, auf keinerlei Sympathien zählen.

Woody Allen gehört, obwohl theoretisch alles gegen ihn spricht, seit knapp dreißig Jahren zu den populärsten Regisseuren der Gegenwart. Am Donnerstag dieser Woche wird er siebzig, in gewohnt trübsinniger Stimmung, aber bei bester Karriere. Nichts kann die Marke Woody Allen antasten, das Alter so wenig wie Kunstkonjunkturen oder Sexskandale.

Dass er zu den großen Regie-Stilisten nie gehören wird, weiß Woody Allen übrigens selbst am besten. Damit hat er nicht das geringste Problem: Er versteht zu viel vom Kino, um die Hymnen seiner Rezensenten glauben zu können. Gegen die Arbeiten etwa des japanischen Filmemachers Akira Kurosawa, hat Allen einst betont, seien all die Produktionen, die er und die meisten seiner Kollegen herstellten, bloß lächerliche Kleinigkeiten. Und von Meisterwerken wie Ingmar Bergmans „Das siebente Siegel“ oder Fellinis „8 1/2“, zwei seiner ewigen Favoriten, könne er ohnehin nur träumen. Nun ist die Selbstkritik bei Woody Allen allerdings auch eine Pose. Die Koketterie mit dem eigenen Unvermögen ist die Basis seiner Kunst: Die Filme, die der New Yorker Ex-Gagschreiber Allen Stewart Konigsberg seit 1969 inszeniert, kann man auch als ein einziges, monumentales Selbstporträt lesen – als Porträt eines schreibenden, bindungsunfähigen Verlierers, der die Welt nur über den Umweg seiner Spezialgebiete (Sex und Psychoanalyse) verstehen kann. Kein anderer Regisseur, notiert der US-Schriftsteller und Kinokenner David Thomson, arbeite so hart daran, verloren zu wirken. Allens Narzissmus ist dabei dennoch unübersehbar: Die neurotische Eitelkeit ist das Herz seines Kinos.

Das Phänomen Allen demonstriert die Überlegenheit des äußeren Anscheins über besseres Wissen: Der jammernde kleine Mann mit den dicken Brillen, den schlecht sitzenden Cordhosen und den extratrockenen Pointen ist ein Bild, das so rückhaltlos sympathisch wirkt, dass daneben nichts mehr Platz hat. Dabei ist Woody Allen viel mehr als bloß der brillante Selbstdarsteller, der in gut der Hälfte seiner eigenen Filme die immergleiche Rolle des wie in Notwehr mit bizarren Onelinern und vortrefflichem Wortwitz um sich schlagenden Defätisten spielt. Aber weder seine Abzweigungen ins Depressive, etwa in den seinem Idol Bergman nachempfundenen Dramen „Interiors“ (1978) und „September“ (1987), noch seine immer wieder überraschenden filmischen Experimente (in „Zelig“, 1983, oder „Deconstructing Harry“, 1997) haben nennenswerte Spuren in der Allen-Rezeption hinterlassen. Schon deshalb muss er sich immer wieder selbst ins Bild rücken, obwohl er seinen eigenen Anblick nicht mag. Ein Woody-Allen-Film ohne Woody Allen galt eben bis vor Kurzem nicht einmal als halbe Sache.

Dieses alte Grundgesetz scheint nun aber seine Gültigkeit zu verlieren: Mit dem Drama „Match Point“, einer moralischen Erzählung von Liebe, Lüge, Geld und Mord, hat Allen die Welt heuer erneut frappiert. Der Film spielt nicht in New York, sondern in Londons Upperclass und kommt nicht nur ohne den Schauspieler Allen, sondern auch ganz ohne dessen vertraute, stets ein wenig nachlässige Filmsprache aus: „Match Point“ stellt tatsächlich einen Quantensprung in Woody Allens Werk dar, mit hochklassigem Schauspiel (Scarlett Johansson, Jonathan Rhys-Meyers, Emily Mortimer), einer genuin literarischen Erzählung von sozialer Relevanz und humanistischem Wert, mit lebendigen, plastischen Figuren – ein bei allem Esprit schlicht ernster Film. Mit Ingmar Bergman hat „Match Point“ glücklicherweise herzlich wenig zu tun. Die Emanzipation von seinem Über-Ich hat Allen erst jetzt wirklich vollzogen.

Mit dem Eintritt in sein achtes Lebensjahrzehnt scheint sich Woody Allen also noch einmal zu verwandeln: diesmal in einen britischen Regie-Klassizisten. Aber vielleicht ist auch das nur eine neue, noch nicht ganz durchschaubare Pointe. Den gerade in Arbeit befindlichen Film „Scoop“, den Allen wieder in London und wieder mit Scarlett Johansson dreht, beschreibt Allen jedenfalls als „komödiantisches Gegenwartsmelodram“, das um die Affäre einer amerikanischen Studentin (Johansson) mit einem britischen Aristokraten kreist. Er selbst tritt darin, anders als in „Match Point“, auch wieder selbst vor die Kamera. Er stelle, sagt Allen, in „Scoop“ einen billigen US-Entertainer dar, „was perfekt für mich ist, weil ich genau das bin“.

In Woody Allens sehr speziellem Spiel ist der Verlierer der Gewinner, ausnahmslos. Allens klug in die Kunst übersetzte Lebensinkompetenz wird ein Welterfolg bleiben, auch wenn die meisten seiner Arbeiten genau das nicht sind: Es mag nicht viel sein, was Allens Filme letztlich abwerfen, aber es ist genug, um ihrem Schöpfer, einem Meister der stilisierten Blamage und des künstlerisch wertvollen Totalversagens, ein geordnetes, bequemes Leben zu garantieren, von einem Film zum nächsten, stets geliebt von allen. The loser takes it all: Mit Verlust ist zu rechnen.