Kino: Diagonale

Kino: Nonstop Konsens

Nonstop Konsens

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Wenn Vorschriften, die einer macht, von denen, die er damit maßregeln zu können meint, erst missachtet, dann unbeeindruckt vom Tisch gefegt werden, ist Unerhörtes im Gang. Ein „sehr unösterreichisches Lehrstück“ nennt etwa die Filmemacherin Lisl Ponger jene Ereignisse, die zur Absage eines politisch neu verordneten österreichischen Filmfestivals und zum selbst verwalteten Wiederaufbau des erfolgreichen alten geführt haben: „Dabei sind wir noch immer ständig verwundert über uns selbst und die anhaltende Solidarität.“ Man sollte aber aus solch überraschenden Machtumkehrungen lernen, sagt Ponger, zum Beispiel dies: „dass eben alles geht, indem man’s einfach macht“.

Was alles geht (und vielleicht auch: was nicht), wird man diese Woche in Graz erleben können, wenn die Diagonale 2004, ganz gegen die Vorstellungen des zuständigen Kunststaatssekretärs Franz Morak über die Bühne geht: als Festival einer geeinten Filmbranche, die ihre Produkte einem von der Politik lancierten, nicht überzeugenden Konzept verweigert hat.

„Mehr als einen Etappenerfolg“ sieht auch Alexander Horwath, Chef des Österreichischen Filmmuseums, in der Reetablierung der Diagonale durch die Szene selbst: „Zwar ist das Festival nun in Tagen kürzer, aber es setzt in seiner Konzeption klare Zeichen – es bestätigt den erfolgreichen alten Weg.“ Diesen Weg hat zwischen 1998 und 2003 das Diagonale-Intendantenduo Christine Dollhofer und Constantin Wulff vorgegeben; dessen Platz hat heuer, in einem Jahr des Übergangs, eine siebenköpfige Programmkommission aus Film- und KunstspezialistInnen übernommen – interimistisch, denn der autonom agierende Trägerverein der Diagonale hat die Intendanz des Festivals ab 2005 unterdessen neu ausgeschrieben.

„In Windeseile“, sagt Stella Rollig, Mitglied der Kommission, habe man aus stolzen 470 Einreichungen das diesjährige Programm zusammengestellt. Dabei habe man eher „das Sperrige“ bevorzugt, sich im Zweifelsfall lieber „gegen den konventionellen Gebrauch von Formaten und Inhalten“ entschieden. Auch dies: der Weg der Diagonale seit 1998.

Über Haneke und Seidl hinaus. Vorzuführen, dass der österreichische Film viel mehr ist als die weithin publizierten Anstrengungen von Regiestars wie Michael Haneke, Barbara Albert oder Ulrich Seidl, ist Aufgabe der Diagonale. Auch 2004 wird man in Graz die bemerkenswerte Bandbreite des hiesigen Kinos studieren können; man wird thematische und formale Linien erkennen, die vom Avantgarde- zum Spielfilm führen und von der Studentenarbeit zur Prestigeproduktion. Man wird alte Klischees auf ihre Untauglichkeit hin überprüfen und etwa gegenwärtige Methoden der sanften Wirklichkeitsverfremdung im Kino studieren können.

Wenn man es mit der Realität genau nehme, formuliert Götz Spielmann, Regisseur des diesjährigen Diagonale-Eröffnungsfilms „Antares“ (siehe Interview), sei man verpflichtet, über sie hinauszugehen – und er zitiert dazu John Berger: „Alle Maler verändern die Realität, aber das liegt nicht daran, dass sie sie nicht betrachten, sondern dass sie sie so genau betrachten.“ – Es sind gerade die „kleinen“ Filme, Arbeiten, die üblicherweise kaum Abspielorte finden können, die dieses Festival erstens so unverzichtbar machen und zweitens so facettenreich: Die Diagonale im erfolgreichen Originalzustand zu erhalten ist schon deshalb ein Kernanliegen der fragilen, aber hochdifferenzierten österreichischen Filmszene.

Lange sah es so aus, als habe die Diagonale 2004, die Gegenveranstaltung zu Moraks hochbudgetiertem Planfestival, ganz ohne Geld auszukommen. Seither hat sich aber doch so etwas wie ein Budget gebildet: Im Grazer Gemeinderat setzte man sich Mitte Dezember, zwei Tage vor dem Rücktritt der von Morak designierten Intendanten Vuckovic und Fuchs, über die Stimmen von ÖVP und FPÖ hinweg – um zu beschließen, die verfügbaren 200.000 Euro der „originalen“ Diagonale zuzusprechen. Nachdem auch die Stadt Wien, das Land Steiermark, Spender und Sponsoren finanzielle Unterstützung zugesagt haben, operiert die Diagonale nun immerhin mit einem Budget von über 500.000 Euro, de facto allerdings mit weniger als der Hälfte des Vorjahres-Etats. Der Bund verweigert jede Subvention.

Das Programm, das 2004 in nur noch vier Spieltagen zwangsläufig dichter, gedrängter als je zuvor erscheint, sei auch, meint Horwath, „ein Hinweis darauf, dass es angesichts eines derart umfangreichen und substanziellen Filmschaffens eben nötig ist, der Diagonale eine ganze Woche zur Verfügung zu stellen“. Die Geschichte der Rückgewinnung der Diagonale durch die Solidarität der Filmszene ist aber weit mehr als eine isolierte, brancheninterne Episode; sie scheint sogar dazu angetan, einen Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik herbeizuführen. Das dringende Interesse namhafter europäischer Medien an dem Fall Diagonale signalisiert, dass dies auch anderswo verstanden wird. In dem Disput um das Austrofilmfestival kristallisiert sich ein Konflikt, der über das österreichische Kino hinausgeht. Der Erfolg der Filmschaffenden führt vor, dass die Machtgefälle zwischen Politik und Kunst weit weniger fest gefügt sind, als es bislang den Anschein hatte.

Kein Kompromiss. Darauf gründet sich der aktuelle Optimismus vieler Diagonale-Aktivisten, der – von außen betrachtet – ein wenig paradox anmutet: Die Zukunft eines Festivals ausgerechnet im Jahr seiner geringsten Budgetierung rosig zu sehen setzt Fantasie voraus. Oder auch Realitätssinn: Morak habe letzthin, stellt Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Koordinator der Diagonale 2004, fest, in Gesprächen mit Gesandten der Filmszene „alle Positionen und Forderungen der Branche übernommen“ – und Förderungen für 2005 bereits in Aussicht gestellt. Ein seltsamer Konsens zeichnet sich ab, eine neue Harmonie zwischen Kunst und Politik, deren Eigenart darin liegt, dass ihr kein Kompromiss zugrunde liegt, sondern ein einseitiger Triumph: Morak, dessen Angebote an die Filmbranche zurückgewiesen wurden, hat nun keine Manövriermöglichkeiten und keine Wahl mehr – die Diagonale hat sich als unabhängig erwiesen. Und er wird seine Unterstützung ohne triftigen Grund langfristig auch nicht verweigern können, schließlich hat er einen kulturpolitischen Auftrag zu erfüllen.

Wenn Lisl Ponger sagt, auf die neue Vernunft des Staatssekretärs könne man sich „nicht verlassen“, so ergänzt Ivanceanu, dass man dies sehr wohl könne, „weil ihm nichts anderes mehr übrig bleibt“. Die Diagonale, so Ivanceanu weiter, sei nach allem, was war, gegen jeden weiteren politischen Eingriffsversuch „völlig immunisiert“: Das „Druckmittel des Subventionsentzugs“ habe sich „als unwirksam erwiesen“.

385.000 Euro hat Moraks gescheitertes Abenteuer gekostet. Unklar ist nun (neben der Frage, wie man so viel Geld ergebnislos anlegt), wie viel noch übrig ist vom veranschlagten Budget – und was damit, nachdem es der Diagonale selbst ja offenbar nicht zukommen soll, geschehen wird. Im Kunststaatssekretariat gibt man sich diesbezüglich gewohnt verschlossen: Die verbliebenen Subventionsmittel, teilt Moraks Sprecherin Katharina Stourzh mit, würden natürlich der „Filmförderung“ zukommen; so werde etwa das – von Ex-Diagonale-Intendantin Dollhofer geleitete – Linzer Filmfestival „Crossing Europe“ subventioniert, das im Mai erstmals stattfinden wird. Es sei aber „noch offen“, welche Projekte darüber hinaus berücksichtigt werden können.

Für die Vorbereitung der Diagonale 2005 werde es „eine Subvention“ geben, deren Höhe sich aber, wie die Abschlussbilanz des vorzeitig gescheiterten Morak-Festivals, wohl erst „in den nächsten Wochen“ konkretisieren lassen werde. Das Einvernehmen zwischen Filmszene und Kunststaatssekretär betrachtet Stourzh als nunmehr „gut“. Steht einem reibungslosen Ablauf künftiger Austrofilmfestivals somit nichts mehr im Weg? Fragen wie diese werden, wie die präsentierten Filme selbst, Arbeitsmaterial der Diagonale 2004 sein. Mit erhitzten Debatten ist, auch in Konsenszeiten, zu rechnen.