Kino: Oberhalb des Himmels

Österreichs Filmszene präsentiert sich in Cannes

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Quentin Tarantino freut sich. Nun ist dies, zugegeben, keine Seltenheit: Der Mann hat aus seiner Begeisterungsfähigkeit, aus seiner Liebe zu alten chinesischen Kampfsportfilmen und amerikanischem Früh-Siebziger-Genre-Trash eine veritable Weltkarriere gemacht. Wenn nun aber Tarantino öffentlich bekennt, in Cannes an einem Ort zu sein, der „irgendwo oberhalb des Himmels“ liege, so hat dies ausnahmsweise ganz äußerliche, leicht nachvollziehbare Gründe. Hier wagte man es, Tarantinos allerersten Film, „Reservoir Dogs“ (1992), in der heiligen Halle der Weltkinokultur, im Palais du Festival, vorzuführen, hier gewann der junge Regisseur 1995 mit „Pulp Fiction“ die Goldene Palme – und nun hat man ihn zum Präsidenten der Festival-Jury gemacht. In Cannes wird der Traum vom alten Kino, von einer Kunst, die größer als das Leben ist, kultiviert, hier sind sie alle, jedes Jahr wieder, im Himmel und unter sich: die Cinephilen, die Geschäftemacher und die Selbstdarsteller.

Österreich hat sich – das mag nicht überraschen – an dieser Kultstätte des Imaginären, unter all den versierten Blendern und Bluffern, stets wohl gefühlt. Mit der Geschichte des Festivals ist das österreichische Kino schon seit den späten vierziger Jahren verbunden: 1949 reist Regisseur Walter Kolm-Veltée, mit seiner kitschtrunkenen „Eroica“ ins offizielle Programm geladen, an die Côte d’Azur. Im folgenden Jahrzehnt wächst sich die gute Beziehung zwischen Wien und Cannes fast zur Routine aus: Das österreichische Kino, das sich in den fünfziger Jahren noch einmal, ehe es vom Fernsehen dauerhaft marginalisiert wird, zur hochprofitablen Industrie aufschwingt, gehört in jenen Tagen zum Regulärbestand des Festivalprogramms (s. auch Kasten S. 170). Im Zuge der Krise des österreichischen Films in den sechziger und siebziger Jahren erkaltet zwar auch die alte Liebe des Festivals zum Austro-Kino eine Zeit lang merklich, seit Mitte der achtziger Jahre ist die Beziehung aber wieder stabil. Vor allem Michael Hanekes – inzwischen sieben – Cannes-Auftritte haben Österreich als relevante Kraft im internationalen Gegenwartskino neu verankert.

2004, ein Jahr nach der Cannes-Weltpremiere von Hanekes „Wolfzeit“, übernimmt die nächste Generation das Steuer. Einen der neunzehn Filme, die im diesjährigen Wettbewerb um die Goldene Palme laufen, hat ein Vorarlberger gedreht: Hans Weingartner. „Die fetten Jahre sind vorbei“ – in Österreich koproduziert, aber als deutscher Beitrag im Wettbewerb von Cannes – dreht sich, im Stil einer ménage à trois, um jugendliche Rebellion und radikalen Idealismus, um die Frage, wie und ob man, den Schubkräften des Neoliberalismus zum Trotz, noch politisch wirksam werden kann.

Weingartner ist nicht der einzige Österreicher im offiziellen Programm von Cannes: Die junge Wiener Filmemacherin Jessica Hausner, deren Teenagerstudie „Lovely Rita“ 2001 Aufsehen erregte, stellt im Rahmen der Programmschiene „Un certain régard“ mit „Hotel“ ihren zweiten großen Film vor. Und ein dritter Film aus Österreich ist im Cannes-Menü 2004 zu verzeichnen: Der Klagenfurter Thomas Woschitz zeigt im Programm der „Semaine de la critique“ seine knapp halbstündige Komödie „Girls and Cars – in a Colored New World“. Um Internationalität ist auch diese Arbeit, eine Produktion des Hauses Amour fou, bemüht. Die mit lakonischem Humor arrangierte Story – der dritte und erstmals farbige Teil einer Trilogie – kreist um vier Kärntner Holzhacker, die im fernen Kanada einen alten Freund suchen.

Siegen, scheitern. Mittwochabend vergangener Woche wurde das 57. Filmfest an der Croisette gestartet – als rituelles Spiel und unveränderliche Größe. Immerhin hat man diesmal einen Film gefunden, der der Kunst, die den Festspielen ein Zentrum gibt, einigermaßen zu entsprechen weiß: Pedro Almodóvars „La mala educación“ verlieh der Eröffnungsgala neben kleinen Provokationen (Kindesmissbrauch und Mord unter Priestern) vor allem ein souverän inszeniertes, transvestitisches Melodram in grellbuntem Gaultier-Design – und einen erneut begeisterten Quentin Tarantino („a fucking masterpiece!“).

Das Festival, überschattet von Streikdrohungen und den Spekulationen um Michael Moores Fehde mit dem Disney-Konzern anlässlich der kommenden Cannes-Präsentation des Anti-Bush-Traktats „Fahrenheit 911“ im Wettbewerb, hat somit spannend begonnen; mit Emir Kusturicas leichtsinniger neuer Balkan-Farce „Life Is a Miracle“ wurden die hohen Erwartungen allerdings schon am zweiten Abend wieder gedämpft. Im hysterisierten Klima dieses Festivals liegen Triumph und Versagen nah beieinander: Nirgendwo siegt man glanzvoller, nirgendwo scheitert man härter.

Manche Siege finden aber auch schon vor Festivalstart statt: Mit „Hotel“ und „Die fetten Jahre sind vorbei“, deren Präsentation Anfang dieser Woche folgt, ist es einer kleinen, noch sehr jungen österreichischen Produktionsfirma gelungen, gleich zwei Arbeiten im Programm des bedeutendsten Filmfestivals der Welt unterzubringen. In Cannes vor den Augen von etwa 4000 Journalisten und fast doppelt so vielen Branchenvertretern aufzutreten bietet die singuläre Chance, Geschäfte und künstlerische Reputation schneller hochzufahren, als dies die meisten anderen Marketingmaßnahmen je könnten. Die coop99, vor fünf Jahren von den Filmemacherinnen Barbara Albert und Jessica Hausner, dem Kameramann Martin Gschlacht und dem Regisseur Antonin Svoboda gegründet, führt vor, wie man in Österreich auch ohne massive Budgets international wirksames Kino machen kann.

Strapazen sind dabei leider unvermeidlich. Antonin Svoboda, der für die coop99 als Produzent sowohl „Hotel“ als auch „Die fetten Jahre“ begleitet hat, wirkt dieser Tage ein wenig müde. Beide Filme, sagt er, habe man praktisch in letzter Sekunde fertig gestellt. Und das Geld ist immer noch eine Überlebensfrage. Mittlerweile, stellt Svoboda fest, „geht es sich gerade aus. Während der ersten Jahre war es oft wirklich knapp. Als Produzent hat man zwangsläufig Durststrecken, man braucht Zeit, um Filme zu entwickeln. Wir sind eben keine Maschinerie, die am Fließband Filme produziert.“ Bescheidenheit sei daher überlebensnötig. „Es geht ums Maßhalten. Wenn du nicht Substanz genug hast, wirst du geschluckt. So einfach ist das. Alles zu verspielen, nur um als Koproduzent am Poster zu stehen, zahlt sich nicht aus.“

Die coop99 ist auf Arthouse- und Erstlingsfilme spezialisiert: Das sei, so Svoboda, „die denkbar schwierigste Aufgabe, die man sich stellen kann. Es ist viel einfacher, heimgebackene Fernsehfilme zu machen, bei denen man seinen Gewinn sicher kalkulieren kann. Wir haben einen anderen Weg gewählt, einen eher selbstausbeuterischen, kosten- und zeitintensiveren Weg.“

Kunst & Moral. Als Produzent nur ein Verwalter eintreffender Filmsubventionen zu sein interessiert Svoboda nicht. Das Bekenntnis zu Kunst und Moral statt zu Profit und Industrie nimmt man nicht vielen heimischen Produzenten ohne weiteres ab, den Aktivisten von coop99 ist es zu glauben. „Es gibt in der kreativen Arbeit, wie wir sie verstehen, eben nicht nur Handwerk, sondern auch eine Haltung, eine Meinung, etwas sehr Persönliches“, hält Svoboda fest.

Jessica Hausners Filmarbeit löst solche Absichtserklärungen durchaus ein. Seit ihren Kurzfilmen „Flora“ und „Inter-View“ gehört Hausner zu den entscheidenden Protagonistinnen des neuen österreichischen Films. Mit „Hotel“, dem Drama einer jungen Rezeptionistin, der in einem luxuriösen Berghotel Gespenstisches widerfährt, geht Hausner nun überraschende Wege: Thriller- und Horrorelemente sind im heimischen Kino rar. Als Genrefilm sieht Jessica Hausner „Hotel“ nicht: Sie halte es „für viel spannender, ein Genre zu unterwandern, als es zu bedienen. In meinem Film werden Methoden des Genres benutzt, aber Konsens, Lösung und Befriedigung verweigert.“ Das Brüchige in Form und Story fasziniert die Filmemacherin: „Hotel“ handle, sagt sie, „vom Verschwinden einer Person, von Fährten und Ahnungen, die sich sukzessive in ein großes Rätsel, ein Mysterium verwandeln“.

Profi-Liga. Die weibliche Erzählperspektive prägt Hausners Kino immer schon. In „Hotel“ wagt sie, was ihre Hauptdarstellerinnen betrifft, den Sprung in die Profi-Liga: Neben der aus Ulrich Seidls „Hundstage“ bekannten jungen Schauspielerin Franziska Weiss absolviert in „Hotel“ Theaterstar Birgit Minichmayr einen ihrer seltenen Filmauftritte. So präzise kalkuliert Hausners Kino wirkt: Auf die Erzeugung spontaner, geheimnisvoller Momente will die Filmemacherin nicht verzichten. „Das Rätselhafte in meinen Filmen hat viel mit meiner Wahrnehmung der Wirklichkeit zu tun. Ich habe das Gefühl, dass die Dinge per se noch keine Bedeutung haben. Dahin will ich auch im Kino kommen: zu Dialogen, die wie zufällig gesagt wirken, zu Blicken, die scheinbar überraschend kommen.“

Die noch nicht realisierten Projekte der Filmemacherin vermitteln einen Eindruck davon, in wie viele Richtungen Hausner denkt und arbeitet: Neben einer Wilhelm-Busch-Adaption („Die fromme Helene“) plant sie gegenwärtig einen Film namens „Hallelujah“, eine „Selbstmordgeschichte mit Happyend“, wie sie lächelnd anmerkt.

Jessica Hausner mag es knapp: 80 Minuten Laufzeit hat sie „Hotel“ gegeben, aber eigentlich, meint sie, wäre die perfekte Länge für einen Film 60 Minuten. Das Problem sei nur, dass solche Formate kaum verwertbar seien. Dennoch: „Die Zeit der alten Filmsprache ist vorbei. Man muss heute Wege suchen, die mit Wagnissen verbunden sind. Man muss sich fragen: Wie kann man überhaupt noch erzählen?“ In „Hotel“ habe sie eben deshalb klassische Genreelemente verwendet „für meine Generalverunsicherung der Welt. Im klassischen Kino sind alle Ereignisse so gebaut, dass man das Gefühl kriegen muss, man werde planvoll durch eine Geschichte geführt, alles ergebe Sinn. So funktioniert unsere Welt aber nicht mehr.“

Mit dem problematischen Zustand der Welt setzt sich auch Hans Weingartner auseinander. „Die fetten Jahre sind vorbei“ wurde offenbar auch seines sozialen Themas wegen in den Wettbewerb des Festivals gesetzt – und hat dabei renommierte Namen wie Volker Schlöndorff und Oskar Roehler deklassiert. Thierry Frémaux, als künstlerischer Leiter in Cannes um Intensivkontakt mit den Filmemachern bemüht, wollte im Vorfeld, so berichtet Svoboda, unter anderem dringend wissen, wie ein so junger Filmemacher denn auf solche sozialutopischen Geschichten komme. Weingartner verhandle, meint Svoboda, „politisch und ökonomisch brisante Themen, denkt über die Wechselbeziehungen zwischen 1968 und heute nach: Wie kann uns Politik noch betreffen und betroffen machen? Weingartner hat das eigentlich unverdauliche Thema Gesellschaft und Politik auf eine Diskursebene gebracht, in der sich noch so etwas wie ein eigener Gedanke ausgeht. Im Wunsch, diesen Zwischenraum zu öffnen, nicht zugekleistert zu sein mit Meinungen und politischen Haltungen, steckt eine hochromantische Idee: Was am Ende zählt, ist, trotz allem, das Individuum.“