Primatsphäre: Peter Jacksons "King Kong"

Kino: Primatsphäre

Das bildgewaltige Rema-ke eines Horrorklassikers

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Wenn der Überblick verloren geht, gewinnt der Abenteurer an Bedeutung. Im Dschungel sind die Gesetze der Situation anzupassen, die alten Sicherheiten gelten hier nicht mehr. Es sei ein Dschungel out there, weiß der Volksmund, ganz allgemein gesprochen, nicht nur im Urwald, vor allem auch in unseren Großstädten: Die Unübersichtlichkeit der Welt hat eine neue Wildnis produziert, die epidemisch um sich greift und auch die so genannte Zivilisation längst erreicht hat. Die Geschichte des nach Manhattan verfrachteten, tobenden Dschungelkönigs Kong erzählt von all dem: von der Nobilität des Wilden und von der bestialischen Natur der Menschen, und sie klingt dabei – exakt 73 Jahre nach ihrer Entstehung – erstaunlich zeitgemäß.

Das liegt nicht zuletzt an den Widersprüchen ihres überdimensionierten Helden, der ein sensibler Zerstörer ist, ein Liebender, der zum Hass gezwungen wird, ein Terrorist, der in Notwehr handelt. Die Figur King Kong lädt zu Projektionen aller Art ein, in ihr ist vieles zu entdecken und nichts letztgültig festzustellen; sogar ihr Ende ist ambivalent, ohne jedes Hollywood-Wohlgefühl: Das Spektakel um King Kong endet seltsam bedrückend, mit einem Totschlag, der ein Sieg der Menschen ist, aber eine Niederlage der Moral.

Nun hat sich Peter Jackson, einer der einflussreichsten Regisseure der Gegenwart, der oft verfilmten Materie (siehe Filmografie-Kasten Seite 122) angenommen – mit bemerkenswerten Resultaten. Jackson hat sich damit, wie er sagt, einen Kindheitstraum erfüllt, aber der Schritt von seiner „Herr der Ringe“-Trilogie zu „King Kong“ scheint fast logisch – und nicht nur, weil der letzte Teil des „Lord of the Rings“ in seinem Untertitel, „The Return of the King“, fast prophetisch schon auf die Kinorückkehr des sagenhaften Gorillas verweist. Als Filmvisionär empfahl sich Jackson bereits vor dem epischen Dreiteiler nachhaltig – und schließlich weist auch die Legende von „King Kong“ jene strikt dreiteilige Struktur auf, die der Filmemacher so sehr zu mögen scheint: Ein Expeditionsteam steuert auf hoher See eine mythische, noch unentdeckte Insel an; im Dschungel stößt die Crew auf eine feindselige, prähistorische Population – und auf König Kong, dessen Interesse für die junge blonde Expeditionsteilnehmerin Ann zu seiner Gefangennahme führt; in Manhattan, wo er angekettet und ausgestellt wird, sorgt King Kong, der nur seine Ann wiederfinden will, für eine veritable Massenpanik, weitere Zerstörung und eine militärische Intervention.

Das Risiko, an diesem Stoff zu scheitern, war nicht gering: Jackson hat sich nicht an irgendeinen, sondern einen entschieden großen Film gewagt, an einen Klassiker des frühen Hollywood-Tonfilms, an ein Modell schreiberischer und inszenatorischer Ökonomie. Dennoch hat er die Chance genützt (siehe auch Filmkritik): Mit 207 Millionen Dollar Budget verfügte Jackson allerdings über deutlich luxuriösere Arbeitsbedingungen als seine Vorgänger; die Abenteurer Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack inszenierten ihren „King Kong“ 1932 für das Hollywoodstudio RKO unter dem Arbeitstitel „The Eighth Wonder of the World“ für ein Budget von 430.000 Dollar. Peter Jackson, auf dem in einem Jahr der herben Einspielrückgänge an den US-Kinokassen (siehe Kasten) nicht geringe Erwartungen lasten, behält klugerweise Struktur, Story und Setting, oft sogar den Wortlaut des Originals bei, um sich stattdessen im technischen Detail auszutoben: Sein „King Kong“ ist eine liebevolle Hommage an die Schöpfer des Mythos, zugleich aber auch eine Art Feinzeichnung, eine Konkretisierung der vergleichsweise abstrakten Darstellungen des Urstücks. Die aus der technologischen Souveränität bezogene sinnliche Wucht des aktuellen Remakes aktiviert, was anno 1933 nur angedeutet werden konnte. Schon die über dreistündige, gegenüber dem Original fast verdoppelte Laufzeit des neuen „King Kong“ demonstriert, worauf dieses Unternehmen zielt: auf den Innenausbau der äußerlich unveränderten Erzählung.

Die Geschichte des Dschungelkönigs Kong, so simpel sie klingt, ist reich an politischen und sozialen Subtexten. Sie entfesselt die Fantasie, nicht nur die der Tricktechniker: John Guillermins „Kong“-Remake, gedreht 1975, während der hohen Zeit der Ölkrise, lässt die Ära der Depression, die zu diesem Plot eigentlich gehört, hinter sich und setzt seiner Expedition neue Ziele – Ölreservoirs ungeahnter Größe nämlich. Als sich auf der Insel das ersehnte schwarze Gold aber nicht findet, sondern nur der schwarze Kong, wird umdisponiert: Er soll in New York als Show-Galionsfigur und Logo eines Ölkonzerns fungieren.

Antikapitalistisch. In der Figur des King Kong stecken das Drama der Immigration wider Willen und jenes der beschnittenen Natur. Die Zumutungen des amerikanischen Kapitalismus beantwortet Kong auf seine Weise: mit einem großstädtischen Zerstörungsschlag von unvorstellbarem Ausmaß. Regisseur Guillermin verlegt den Schauplatz der Ermordung seines Titelhelden vom Empire State Building interessanterweise auf die Twin Towers des World Trade Center, das 1975 erst wenige Jahre alt ist (genau wie auch das Empire State Building als Film-Location 1933 ein Zugeständnis an eine architektonische Novität war): Wie King Kong auf den beiden Türmen vor seinem Tod noch wütet, wie er von einem zum anderen springt und einen der Hubschrauber, die ihn angreifen, brennend gegen die Fassade des Wolkenkratzers schleudert – das alles nimmt den Terror vom 11. September 2001 um ein rundes Vierteljahrhundert vorweg. Jackson kehrt 2005, dem Original ebenso folgend wie der historischen Notwendigkeit, zum Empire State Building (und zur sozialen Verwahrlosung) zurück: Ein Kreis schließt sich.

Schon das Original bezieht, wie nun auch Jacksons Remake, einige Faszination aus seiner selbstreflexiven Anlage. Vieles in „King Kong“ dreht sich ums Kino selbst: Ein Filmteam organisiert die Abenteuerreise, geführt von einem auf exotische Schauplätze fixierten Regisseur, der seine Hauptdarstellerin auf der Straße aufliest. Noch an Bord, vor ihrer Ankunft auf der Insel, macht der manische Spielleiter Testaufnahmen von seiner romantischen Heldin: Sie soll, weist er sie prophetisch dabei an, schreien, als ginge es um ihr Leben.

Eine Szene aus Coopers und Schoedsacks „King Kong“ flimmerte übrigens nur ein einziges Mal über die Leinwand: Eine von Kong in den Abgrund geschleuderte Menschengruppe sei darin, so berichten Filmhistoriker, von gigantischen Insekten, Reptilien und Skorpionen verzehrt worden. Angeblich war über dieser apokalyptischen Vision nicht nur etlichen Zuschauern während der Testvorführung übel geworden, sondern durch den Schock auch der Spannungsbogen unterbrochen; die Filmemacher beschlossen, die Sequenz aus ihrer Arbeit zu entfernen. Sie gilt heute als verloren. Grund genug für Peter Jackson, die Szene neu zu drehen – und ihr so zu später Gerechtigkeit zu verhelfen: Sein Engagement hat sich ausgezahlt: Die Insektengrubenszene versorgt seine Inszenierung mit tatsächlich albtraumhaften Bildern.

So ist diese Geschichte, wie gehabt, mehrgleisig unterwegs, als Weihnachtskino-Blockbuster mit hohem Eskapismuswert und als antikapitalistisches, äußerst selbstkritisches Plädoyer aus dem Zentrum der US-Unterhaltungsindustrie: Jacksons „King Kong“-Variation ist nur eine weitere Bestätigung der anhaltenden Attraktion des paradoxen schwarzen Riesen. Der prominente Primat bleibt, daran ist offenbar nicht mehr zu rütteln, was er seit den frühen dreißiger Jahren darstellt: die erste Filmbestie mit Liebesfähigkeit und Interpretationsspielraum, das beste Biest im weiten, wilden Kinodschungel.

Von Stefan Grissemann