Aufstand der Pfarrer

„Das ist echt gefährlich“

Kirche. Priester gegen Papst und Schönborn: Ist die Kirchenspaltung noch abzuwenden?

Drucken

Schriftgröße

Am Ende hat Helmut Schüller den bösen Geist beschworen. Schüller, Pfarrer der kleinen Gemeinde Probstdorf am Ostrand von Wien, ehemaliger Wiener Generalvikar, Ex-Caritas-Direktor und Medienprofi, wusste um die Wucht der Worte Bescheid, als er das Sieben-Punkte-Programm der „Pfarrer-Initiative“ mit „Aufruf zum Ungehorsam“ betitelte und nicht etwa mit „Aufruf zu mehr Eigeninitiative“, wie der emeritierte Wiener Weihbischof Helmut Krätzl es gemacht hätte. Neben seiner Medienwirksamkeit kommt der Begriff „Ungehorsam“ kirchenintern einer psychologischen Bombe gleich: Er schürt tiefe ­Urängste in einer Organisation, deren 2000-jährige Geschichte durch teils traumatische Abspaltungen gekennzeichnet war. Dass Bischöfe hauptsächlich „Brückenbauer und Garant der Einheit“ zu sein haben, dass der Papst, mit absoluter Machtbefugnis ausgestattet, „unfehlbar“ ist, dass Priester bei ihrer Weihe „Gehorsam“ geloben müssen, all das sind präventive Maßnahmen gegen die ­latente Gefahr von „Ungehorsam“ und – in weiterer Folge – Schismen. Denn „die eine Kirche hat es nie gegeben“, sagt der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber: „Die zentrifugalen Kräfte im religiösen Bereich sind groß und Einheiten sowieso sehr ­fragil.“

„Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle mit einer Stimme redet, und lasst keine Spaltung unter euch sein, sondern haltet aneinander fest in einem Sinn und in einer Meinung.“ Das Zitat könnte von Kardinal Christoph Schönborn stammen. Es ist freilich dem ersten Korinther-Brief des Apostels Paulus entnommen.
Schüllers Zauberwort hat seine Wirkung getan, und zwar weit über Österreich hinaus: Ein mexikanischer Pfarrer, der in einer brasilianischen Zeitung vom österreichischen Aufruf zum Ungehorsam gelesen hatte, meldete sich bei Schüller, weil die Dinge in Mexiko nicht viel anders lägen.

Auch Anfragen aus Sri Lanka, Irland und vielen anderen Weltgegenden trafen ein. Kardinal Christoph Schönborn soll beim katholischen Weltjugendtreffen in Madrid vorvergangene Woche von zahlreichen Kollegen aus verschiedenen Ländern auf die Affäre angesprochen worden sein. Helmut Schüller: „Wir vernetzen uns zunehmend international.“ Obwohl niemand der Beteiligten offen eine Abspaltung anstrebt, steht sie nach Meinung vieler im Raum. Denn die Positionen der beiden Konfliktparteien gelten als nicht verhandelbar. Und keine der ­beiden Seiten sieht sich in der Lage, ihre Haltung aufzuweichen. Der am 19. Juni ­veröffentlichte „Aufruf zum Ungehorsam“ beinhaltet auch keinerlei Forderungen, sondern teilt nur mit, dass die mittlerweile rund 400 die Initiative unterstützenden Priester ihren „seit Jahrzehnten praktizierten, stillen Ungehorsam gegen Rom nun in einen ehrlichen, offenen Ungehorsam umwandeln“ (Schüller). Und er fordert andere Priester auf, es ihnen gleichzutun. Nach Hochrechnungen des Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner teilen bis zu 80 Prozent der rund 4000 Geistlichen Österreichs im Kern die Anliegen der Initiative.

Die Pfarrer-Initiative spricht somit nur offen aus, was sie seit ­Langem – im Wissen und unter Duldung der Bischöfe – ohnehin praktiziert: Sie lässt Laien predigen, sie verabreicht die Kommunion etwa auch an geschiedene Wiederverheiratete, sie tritt für die Zulassung von Frauen zum Priesteramt ein und für die Rücknahme des Pflichtzölibats, was die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt ermöglichen würde. „Weichere“ Punkte wie die Laienpredigt wären auf Ebene von Ortskirchen verhandelbar, harte Brocken wie Pflichtzölibat und weibliche Priester sind Kompetenzen der Universalkirche, also Roms, und können daher von den Bischöfen auf diözesaner Ebene gar nicht angegangen werden. Die Verwirklichung dieser Anliegen gilt allgemein als „Illusion“. Vonseiten der österreichischen Bischöfe kann nur die Rücknahme der Pfarrer-Initiative gefordert und im Gegenzug allenfalls wieder einmal „Gesprächsbereitschaft“ angeboten werden. Kardinal Christoph Schönborn sah sich in einem ersten Treffen mit Schüller und drei weiteren Priestern aus dem Vorstand der Pfarrer-Initiative gezwungen, Disziplinarmaßnahmen anzudrohen und die Frage zu stellen, ob Schüller und Co nicht der Meinung seien, von selbst aus der Kirche austreten zu sollen.

Die Pfarrer-Initiative auf der anderen Seite sieht ebenfalls keinerlei Verhandlungsspielraum. Helmut Schüller: „Wir haben nur den letzten Hebel betätigt, um einmal Bewegung zu erzeugen. Das erregt Aufmerksamkeit, weil unser Aufruf voll in die Wahrheit hineinzielt, was man in der Kirche überhaupt nicht gewohnt ist. Die Bischöfe hatten mit dem stillen Ungehorsam kein Problem, aber jetzt wird mit Spaltung und gefährdeter Einheit moralisiert.“ Einzelne Punkte des Aufrufs getrennt zu behandeln komme nicht infrage. „Wir gehen nicht mit Einzelforderungen in einen Bazar, und wir vertrauen auch irgendwelchen Gesprächszusagen nicht mehr. Das hatten wir jahrzehntelang. Wir haben gar nicht das Recht, das Paket aufzuschnüren, denn es sind Anliegen des Kirchenvolks. Und nicht mit uns muss geredet werden, sondern mit dem Kirchenvolk.“

Wer denke, man könne das Wort „Ungehorsam“ aus dem Aufruf entfernen und damit „irgendwelche Textretuschierungen vornehmen“, der unterschätze das Problem massiv, so Schüller weiter. Es würde lediglich „die Rückverwandlung des offenen Ungehorsams in den stillen“ bedeuten. Auch handle es sich nicht um eine bloße Pfarrer-Initiative, sondern um jahrzehntealte, mehrheitsfähige und berechtigte Anliegen des Kirchenvolks. Nicht möglich sei die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Anliegen. Schüller: „Wenn manches angeblich leichter geht, warum ist es dann bisher nicht leichter gegangen?“ Niemand in der Initiative denke über einen Kirchenaustritt nach. „Andersrum müssen sich die Bischöfe überlegen, ob wir noch drinnen sind.“ Der Aufruf zum Ungehorsam sei ein Vorstoß des elfköpfigen Vorstands der Pfarrer-Initia­tive, daher könnten etwaige Disziplinarmaßnahmen zunächst nur gegen die Vorstandsmitglieder gesetzt werden. Schüller: „Ich nehme an, die anderen Unterstützer würden Sanktionen gegen uns nicht widerspruchslos hinnehmen. Die haben sich schon auf Konflikt und Konfrontation eingestellt.“

Mittlerweile liegen bei den österreichischen Bischöfen die Nerven blank. profil bat alle zehn amtierenden Diözesanbischöfe um ihre persönliche Meinung zu den Anliegen der Pfarrer-Initiative und um ihre Einschätzung der weiteren Entwicklung in diesem Konflikt. Geantwortet hat nur der Grazer Bischof Egon Kapellari in seiner Funktion als Medienbischof. Doch auch er wollte nicht viel sagen: Fragen wie jene nach dem Zölibat oder weiblichen Priestern seien „Themen, die uns langfristig aufgegeben bleiben. Wegen ihrer Komplexität können sie mit kurzen Antworten nicht adäquat beantwortet werden.“ Was den Aufruf zum Ungehorsam selbst betrifft, stelle Kapellari sich „als Bischof klar und entschieden dagegen. Ein nüchterner Blick auf das Ganze von Kirche und Gesellschaft lässt keinen Notstand erkennen, der einen Sonderweg der Kirche in Österreich außerhalb der Weltkirche auch nur rational rechtfertigen würde. Die Verbindung mit der Weltkirche und dem Papst gehört zu unserer unaufgebbaren Identität.“ Die Forderungen der Pfarrer-Initiative würden zwar vielen Menschen als plausibel erscheinen, „gefährden aber auf schwerwiegende Weise die Identität und Einheit der katholischen Kirche“.

Der „Aufruf zum Ungehorsam“ sei ein „Kampftitel, der die gemeinsame Gestalt der Weltkirche“ gefährde, so Kapellari. Von Stillstand könne keine Rede sein, man müsse auch sehen, „was unter den heutigen epochalen Bedingungen in der katholischen Kirche Österreichs an Gutem gelingt“. Bezüglich der weiteren Entwicklung des Konflikts und einer drohenden Spaltung könne er „mangels wahrsagerischer Fähigkeiten“ nichts sagen.

Der emeritierte Wiener Weihbischof Helmut Krätzl und der Salzburger Weihbischof Andreas Laun haben gegenüber profil Stellung bezogen. Krätzl findet die Reformanliegen der Pfarrer-Initiative „sicher diskussionswürdig“. Er selbst hätte aber nicht zum Ungehorsam, sondern „zu mehr Selbstinitiative“ aufgerufen. Weibliche Priester seien „von Rom aus nicht spruchreif“, doch über den Zölibat müsse man nachdenken: „Es gibt ohnehin schon verheiratete Priester.“ Laun warnt jedoch vor einer Spaltung. Die Pfarrer-Initiative berge diese Gefahr. Das wäre „sehr traurig“, doch „wenn jemand sagt, ich gehe mit euch nicht mehr mit, geht das in Richtung Spaltung“. Dabei seien die Anliegen längst geklärt: „Man muss nur die Antworten annehmen und die Initiative einstellen.“ Der Titel „Aufruf zum Ungehorsam“ sei „unmöglich, verrückt“.

Selbst der konservativen Seite zugerechnete Priester, welche die Anliegen der Pfarrer-Initiative zurückweisen, kritisieren die „nicht vorhandene offene Gesprächskultur innerhalb der Kirche“ und geben den Bischöfen die Schuld an den aktuellen Entwicklungen. In der Kirche rede man nur hinter vorgehaltener Hand und in Angst vor Konsequenzen. Gerhard Maria Wagner, Pfarrer von Windischgarsten und im letzten Moment verhinderter Weihbischof von Linz, zeigt sich einerseits „schockiert“ über den Pfarrer-Aufruf, andererseits räumt er ein, dass „seit 30 Jahren in der Kirche gegen die Kirche gearbeitet“ werde: „Doch die Bischöfe haben zu viel Angst vor Austrittszahlen und der Öffentlichkeit. Sie haben nicht deutlich gesprochen und den Konflikt schwelen lassen. Unsere Bischöfe haben immer alles auf den Papst abgeschoben und gesagt, Rom will nicht und wir können nicht.

Jetzt hat sich eine Eigendynamik entwickelt, und eine Spaltung steht im Raum. Das ist echt gefährlich.“ Die Forderungen der Pfarrer-Initiative seien deshalb zurückzuweisen: „Da gibt es nichts zu verhandeln.“

Es gebe „in der Tat ein latentes Schisma zwischen Gläubigen, wie es die Pfarrer-Initiative formuliert hat und wie es auch Statistiken zeigen, einerseits und Rom-treuen Katholiken andererseits“, sagt ­Jan-Heiner Tück, Chef des Instituts für dogmatische Theologie der Wiener Universität. Auch der frühere deutsche Kurienkardinal Walter Kasper konstatiert in seinem neuen Buch „fast ein De-facto-Schisma zwischen der hierarchischen Sicht der Kirche von oben und der Wahrnehmung von unten“. Die Kirche stehe seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) in einem „gewissen Reformprozess, der zur Polarisierung zweier Gruppen geführt hat“. Die einen fänden, die Öffnung sei schon zu weit gegangen, und wollten zurück zu den alten „Gewissheiten“. Den anderen gehe es noch nicht weit genug in Richtung Lockerung des Zölibats, Liberalisierung der Sexualethik oder Zulassung weiblicher Priester. Diese Seite glaube, die aktuelle Krise sei ein Symptom für den Reformstau, der abgearbeitet werden müsse. Tück: „Der Streit um den zukünftigen Kurs der Kirche ist jedenfalls ein Streit um die Deutung des Zweiten Vatikanums.“ Der Papst selbst setze einerseits auf die Tradition, habe aber andererseits auch die Ziele der Öffnung gewürdigt. Ihm gehe es um eine „Neuevangelisierung, eine Erneuerung der ermüdeten Christenheit“.

Die Zulassung von Frauen zum Priesteramt bleibe „auf absehbare Zeit eine Illusion“, so Tück. Rom argumentiere das mit der Praxis Jesu, der nur Männer in seine Jüngerschaft berufen habe, obwohl es in der Antike zahlreiche weibliche Priester gegeben habe – und damit, dass die Kirche es traditionell so gehalten habe. Die Frage des Zölibats solle im Hinblick auf den Priestermangel überlegt werden, berge aber große Hürden. Tück: „Man muss es realistisch sehen: Wenn man den Zölibat freigibt, werden kaum noch Leute bereit sein, den zölibatären Weg zu gehen. Dann haben Sie aber auch geschiedene Priester, und was machen Sie mit denen?“ Außerdem stelle sich die Frage, ob die Kirche genug Geld für die Erhaltung ganzer Pfarrerfamilien aufbringen könne.

Der „Aufruf zum Ungehorsam“ sei ein verzweifelter Schrei nach Aufmerksamkeit, meint Tück. „Als Kommunikationsakt“ gehe er aber „zu weit, weil Verständigung in der Kirche nur funktionieren kann, wenn man von einem gemeinsamen Grundkonsens ausgeht“. Der Aufruf bilde eine „extreme Provokation, die Kardinal Schönborn so nicht stehen lassen kann. Ich hoffe, er sieht sich nicht gezwungen, Suspendierungen auszusprechen.“ Die österreichischen Bischöfe stünden unter „enormer Spannung zwischen weiten Teilen des Kirchenvolks, die nicht mehr nach den kirchlichen Vorgaben leben, und ihrer Loyalität zum Papst. Diese Ratlosigkeit einzugestehen wäre ehrlich.“ Eine Deeskalation des aktuellen Konflikts hält Tück für möglich, doch müsste die Pfarrer-Initiative dafür ihre Aufforderungen zuerst formell zurücknehmen, das ­Paket aufschnüren und die „ortskirchlich verhandelbaren“ Punkte an einem „runden Tisch“ unter Einbeziehung unabhängiger Personen behandeln: „Die Kirchengeschichte zeigt, dass eigenmächtige ­Reformpraktiken nicht helfen, sondern verschlimmern und Formen einer Gegenkirche begünstigen können.“

Doch Helmut Schüller bleibt hart. An seinen Positionen gebe es nichts zu rütteln: „Egal, welche Sanktionen ergriffen werden, ich würde mich immer innerhalb der Kirche fühlen und andere Wege finden, meine Aktivitäten fortzusetzen.“ Selbst im Falle einer Exkommunikation? Schüller: „Solche Gedanken habe ich nur insgeheim. Und die sind noch nicht kommunizierbar.“

Lesen Sie im profil 25/2011 wie ausgestoßene Priester ihr Leben lang an Phantomschmerzen leiden.