Kitzbühel, die Bühne am Berg

Das Hahnenkammrennen hat Kitzbühel reich gemacht und eine gigantische Tourismusindustrie in Gang gesetzt

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Wenn jetzt bloß nichts mehr passiert. Es soll nicht kälter werden und nicht wärmer. Es darf auf keinen Fall regnen und schneien schon gar nicht. Föhn wäre ganz schlecht, ein Adriatief braucht auch kein Mensch. Nebel, Wolken, Wind und ähnliche Plagen mögen bitte woanders stören. Am besten, es bleibt alles so, wie es jetzt ist. Perfekt. Wie im Bilderbuch.

Mitte der Vorwoche sieht Kitzbühel aus, als hätte der Tourismuschef höchstpersönlich die Großwetterlage designt. Ein paar Tage zuvor hat es leicht geschneit. Jetzt scheint die Sonne auf weiß bestäubte Bäume und Hausdächer. Der Himmel ist babyaugenblau, um die Berggipfel ziehen zarte Schneefahnen. Wenn sich das nicht ändert, werden kommendes Wochenende etwa 40 TV-Stationen aus aller Welt fast 60 Fernsehstunden lang großartige Bilder aus Kitzbühel senden. Das reicht dann wieder eine Zeit lang als Basis für ausgebuchte Hotelzimmer, gut besuchte Promi-Partys, steigende Grundstückspreise und allgemeine Zufriedenheit unter den Einheimischen. „Das Hahnenkammrennen ist lebenswichtig für Kitzbühel“, sagt Rosi Schipflinger, Wirtin von „Rosis Sonnbergstub’n“ und eine Art Mutter der Kompanie im örtlichen Tourismus. Als die Abfahrt 2007 wegen Schneemangels abgesagt werden musste, seien die Auswirkungen dramatisch gewesen. „In dieser Stube da“, sagt Frau Schipflinger und deutet auf ihre schmucke Fichtenholz-Latifundie, „ist plötzlich kein Mensch mehr gesessen.“

Kitzbühel liegt geografisch günstig jeweils eine gute Autostunde von Innsbruck, Salzburg und München entfernt. Es hat ein hübsches historisches Zentrum und rundherum attraktive, nicht allzu einschüchternde Berge. Das sind keine schlechten Voraussetzungen für einen Tourismusort. Doch dass aus dem kleinen, einst bitterarmen Städtchen ein Mekka der Reichen und Berühmten wurde, dürfte wirklich in erster Linie am Hahnenkammrennen liegen. Es begründete Kitzbühels Ruf als „Stadt der Legenden“, wie das lokale Marketing es heute formuliert. In den Anfangsjahrzehnten standen noch dazu häufig lokale Haudegen auf dem Siegespodest. Toni Sailer etwa hat sowohl die Abfahrt auf der Streif als auch den Slalom am Ganslernhang mehrfach gewonnen.

Der Skiklub veranstaltet das Rennen heuer zum 70. Mal. Bei einem Budget von 5,5 Millionen Euro werden Gesamt­umsätze von 30 Millionen erwartet. Die Imagewerbung auf der ganzen Welt ist darin noch nicht eingerechnet und mit ­Geldwert nicht zu beziffern. Abseits der Pisten wird wie jedes Jahr der große Prominentenauftrieb zu besichtigen sein – mit dem immer gleichen Personal bei den immer gleichen ­Veranstaltungen: A1-Party und Schnitzelessen in „Rosis Sonnbergstub’n“, Weißwurstparty beim „Stanglwirt“ in ­Going, Audi-Night in der „Tenne“.

Der VIP-Bereich im Zielstadion ist für die Hahnenkammabfahrt längst ausverkauft. Dabei ist Kitzbühel am Rennwochenende kein gemütlicher Ort. Wenn 50.000 Besucher auf einmal anreisen, kann eine Stadt mit nicht einmal 9000 Einwohnern schnell etwas voll wirken. Nicht wenige Gäste reisen ohne Zimmerreservierung an und vertrauen ganz auf ihre Kondition im Komasaufen. Eine Flucht mittendrin ist schwierig, denn auf sämtlichen Zufahrtsstraßen herrscht Dauerstau. Und über allem dröhnen den ganzen Tag die Helikopter von Fernsehteams und Prominenten-Transfers.

Diese drei Tage hat die Redaktion der „New York Times“ vermutlich nicht gemeint, als sie vor Kurzem eine Liste mit 31 angesagten Reisedestinationen für 2010 präsentierte und – neben Shanghai, Las Vegas und Nepal – auch Kitzbühel wärmstens empfahl. In der Stadt könne man nicht nur herrlich Ski fahren, sondern auch exquisit speisen, findet das Blatt. Gäste sollten sich, so die Warnung, allerdings auf saftige ­Preise einstellen.

Kitzbühel ist ein teures Pflaster
, das hat sich herumgesprochen. Doch ab einem gewissen Preislevel gilt das im Tourismus nicht mehr als Störfaktor. Hohe Preise zeugen von vermögender Kundschaft. Und wie die Hausmeister nach Jesolo zieht es die Reichen bevorzugt dorthin, wo sie ihresgleichen treffen. Der Herdentrieb funktioniert auch auf Platin-Card-Niveau. Den Besitzer eines nagelneuen Porsche Cayenne verdrießt es nun mal, wenn er neben schnöder Mittelklasse einparken muss. Und wer sich gerade ein „Fire and Ice“-Skioutfit von Willy Bogner gegönnt hat, sitzt lieber mit Leuten in der Seilbahn, die das Teil zu schätzen wissen.

So gesehen ist es hochverdient, dass Edward Prince of Wales im Stadtmuseum eine ausführliche Würdigung erfährt. Durchlaucht war 1935 der erste ernsthafte VIP, der in Kitzbühel Station machte und vor lauter Begeisterung gleich zwei Wochen blieb. Mit ihm hat einst begonnen, wovon Menschen wie Manfred Hagsteiner bis heute gut leben können. Am Dienstagnachmittag kommt Hagsteiner gerade von einem Kunden und trägt Arbeitskleidung. In seinem Fall heißt das: schwarze Hose, dunkelbraunes Sakko mit pinkfarbenem Saumbesatz und weißes Hemd. An seiner linken Hand prangt ein schwerer Goldring mit Diamant. Den rechten Teil seiner Stirn bedeckt eine Haartolle, die sogar Julius Meinl begeistern könnte.

Ein konservativer Stilberater würde diese Gesamtkomposition möglicherweise gewagt nennen und nicht für die Öffentlichkeit empfehlen. Doch Hagsteiners Business verträgt eine gewisse Kreativität im Auftritt; auch die Kundschaft ist mitunter illuster. Der Mann ist Immobilienmakler in Kitzbühel – und zwar nicht irgendeiner, sondern der berühmteste. Papa Ferdinand hatte einst das erste Immobilienbüro der Stadt gegründet. Ginge es nach dem Sohn, hätte das auch gereicht. „Laut Studien genügt ein Immobilienmakler für 10.000 Einwohner“, sagt Manfred Hagsteiner. „In Kitzbühel gibt es 40, und da sind die Skilehrer noch nicht einmal mitgezählt.“ Die Damen und Herren in Uniform gingen durchaus als ernsthafte Konkurrenz durch, meint der Experte. „Die reden mit jedem, kennen sich aus und sind überall dabei.“

Es ist also nicht mehr ganz so einfach wie früher, mit der Maklerei sein Brot zu verdienen. Aber die Geschäftsbasis passt nach wie vor. „Das Angebot ist niedriger als die Nachfrage. Also werden die Preise immer höher“, berichtet Hagsteiner gut gelaunt. Ein Quadratmeter Baugrund kostet in der Gegend derzeit zwischen 1000 und 3500 Euro, in manchen Fällen deutlich mehr. Ein halbwegs repräsentatives Eigenheim kann leicht 14.000 Euro pro Quadratmeter kosten. Beides sei längst nicht der Plafond, hofft Hagsteiner. „In St. Moritz zahlst du 17.000 Euro und mehr. Dahin müssten wir auch noch kommen.“ Schmuckstück unter seinen Offerten ist derzeit eine Villa am Südhang mit sechs Schlafzimmern, Hallenbad und großem Garten um 17 Millionen Euro. Der Noch-Eigentümer hatte nur vier Jahre lang Spaß an seinem Feriendomizil. Jetzt lebt er in Scheidung und hat keinen Kopf mehr fürs Skifahren und Golfen.

Durch die Lappen ging Hagsteiner dafür Kaufhauserbin Heidi Horten, die im Nachbarort Aurach gerade ihr neues Heim fertig stellen lässt. Horten war allerdings vergleichsweise sparsam; ihre Villa kostet nur popelige 8,5 Millionen Euro. Ebenfalls in Aurach eröffnete vor Kurzem das 5-Sterne-Hotel „Grand Tirol“, das Jelena Baturina gehört, einer russischen Geschäftsfrau und Gattin des Moskauer Bürgermeisters. Nach ein paar Wickeln mit der Grundverkehrsbehörde wurde ihr auch erlaubt, sich im Dorf privat niederzulassen. Kolportierter Kaufpreis der bescheidenen Absteige: zehn Millionen Euro.

Natürlich machte sich die Wirtschaftskrise auch in Kitzbühel bemerkbar. Allerdings so zaghaft, dass man sie kaum bemerkte. „Im obersten Bereich sind die Preise kurz gefallen“, sagt Hagsteiner. Häuser, die für zehn Millionen Euro erworben wurden, waren eine Zeit lang schon für sieben Millionen zu haben. Angenehmer Nebeneffekt: Neue Käuferschichten trauten sich plötzlich auf den Kitzbüheler Markt. „Die gehobene Mittelschicht aus Linz und Wien hatten wir schon fast verloren“, erläutert Hagsteiner. „Jetzt sind die Leute wieder da.“ Nach seiner Definition reicht die Mittelschicht übrigens bis drei Millionen Euro je Haus. Jeder hat eben seine eigenen Maßstäbe.

In spannende Architektur wird das viele Geld leider nur selten investiert. An den Hängen rund um Kitzbühel dominiert brachialer Alpenbarock. Draußen jede Menge rustikaler Kitsch, drinnen Kachelofen und Klimaanlage – etwa so, wie auch Karl-Heinz Grasser und Fiona Swarovski logieren. Mit den alten Bauernhäusern, die sie zitieren, haben diese Villen ähnlich viel gemeinsam wie Caesar’s Palace in Las Vegas mit antiker Baukunst.

Camouflage und Täuschung gehören im Frendenverkehr auf der ganzen Welt zum Handwerk. Der Gast steht nun einmal auf Folklore und gerade so viel Brauchtum, wie sich ohne Komfortverlust bewerkstelligen lässt. In Tirol ist seit jeher ­besonders viel Theaterschminke im Einsatz. Grenzen gibt es keine, schon gar nicht solche des guten Geschmacks. Almabtriebe etwa werden in manchen Gegenden gleich mehrfach durchgeführt, weil die Urlauber so gern zuschauen – und ­regelmäßiges Wandern den Kühen ja nur guttut. Der Jahreswechsel ist leider auch in den Bergen an einen fixen Termin gebunden, aber das dazugehörige Feuerwerk wird im Bezirk Kitzbühel auf mehrere Tage verteilt; so haben die Gäste öfter was zu schauen. Geschätzte 90 Prozent des Bedienungspersonals versehen in Dirndl oder Lederhose ihren Dienst, obwohl etwa ebenso viele nicht aus Tirol, sondern aus Deutschland stammen.

Die Liebe zum Detail geht mitunter sehr weit:
Der „Stanglwirt“ in Going punktet nicht nur mit Aussicht auf den Kuhstall (hinter Glas, versteht sich), sondern auch mit einer ganz besonderen WC-Architektur: Statt in ein simples Pissoir darf sich der Gast in eine stilisierte Tuba erleichtern. Wer das barbarisch findet, kann auf die Sitztoilette ausweichen. Sie wurde, das macht es einfacher, optisch einem Plumpsklo nachempfunden. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt in der Gegend grundsätzlich alles als Geschäftsmodell: Im vergangenen Sommer kamen örtliche Bäuerinnen auf die Idee, zur Feier des Hansi-Hinterseer-Festivals Kekse in Form der Kitzbüheler Gams herzustellen. Zu Weihnachten lief bereits ein schwungvolles Lizenzgeschäft mit den leckeren Tierchen.

Das Rustikal-Business hat sich auch für Rosi Schipflinger gelohnt. Die zweifache Großmutter betreibt auf 1200 Meter Seehöhe „Rosis Sonnbergstub’n“, ein Ausflugslokal mit angeschlossenem Pensionsbetrieb. Tagsüber kann man die herrliche Aussicht genießen, aber berühmt ist die Rosi für ihre Abendunterhaltung. Wenn die Stube voll ist, kommt die Wirtin höchstpersönlich und singt für ihre Gäste. Eine Fotowand zeugt von den zahllosen Zelebritäten, die schon da waren: Arnold Schwarzenegger, Boris Becker, Niki Lauda, Josef Pröll, Prinz Albert von Monaco – also im Prinzip jeder.

Begonnen hatte die Bergbauerntochter vor 40 Jahren mit nichts als einem feuchten Grundstück in Hanglage. Nach insgesamt fünfzehn An- und Umbauten gilt die Sonnbergstubn heute als beliebte Partyadresse und die Wirtin als Berühmtheit. Demnächst sendet die ARD ein Porträt, eine von Jack White produzierte CD ist auf dem Markt. „Es ist schon ein Druck, wenn man fast jeden Abend singen muss“, seufzt sie. „Ich versuch jetzt eh, es ein bisschen einzuschränken. Aber das ist schwer. Irgendwer hat immer Geburtstag.“ Dann steht sie auf und begrüßt ein paar Gäste mit Bussi und Umarmung. Persönliche Betreuung ist wichtig in Tirol.

Auf rund eine Million Übernachtungen bringt es Kitzbühel im Jahr. Die meisten Gäste kommen nach wie vor aus Deutschland, aber andere Nationen holen auf. Als besonders segensreich erweist sich die Tatsache, dass Weihnachten in Russland mit zweiwöchiger Verspätung gefeiert wird. Wo früher das Jännerloch gähnte, kommen jetzt die Russen in Scharen.

Obwohl die Stadt fast ausschließlich vom Fremdenverkehr lebt, hatte Kitzbühel zwischen 1998 und 2004 einen FPÖ-Bürgermeister. Horst Wendling, im Hauptberuf Rechtsanwalt, hatte zwar keine Probleme mit den Ausländern, verhedderte sich aber gelegentlich zwischen seinen zwei Professionen. Als Anwalt betreute er die Immobiliengeschäfte, für deren Genehmigung er als Bürgermeister zuständig war. Auf die Dauer ist das zu kompliziert.

Nachfolger Klaus Winkler von der ÖVP tut sich als gelernter Steuerberater deutlich leichter. Der groß gewachsene, hagere Mann wirkt für das schillernde Kitzbühel fast ein wenig zu dezent. Über das Image als Reichen-Stadt freut er sich jedenfalls nicht rasend: „Kitzbühel leidet manchmal darunter. Wenn ich Budgetverhandlungen mit dem Land führe, heißt es immer, ihr habts eh schon genug Geld.“ 25 Millionen Euro Jahresbudget stehen ihm zur Verfügung. In den vergangenen Jahren wurde viel investiert, der Schuldenstand ist gestiegen. Aber manch ein Kitzbühel-Urlauber hat den neuen Geländewagen ja auch auf Pump finanziert.

Das soziale Gefüge in der Stadt ist kompliziert. Gut bezahlte Jobs gibt es wenige; Reichtum wird in Kitzbühel meistens nur vererbt. Wo ein kleines Baugrundstück mehr einbringt als ein ganzes Arbeitsleben, funktioniert sozialer Aufstieg nur in der Theorie. Winkler hat sich bemüht, den Einheimischen wenigstens halbwegs finanzierbare Wohnmöglichkeiten anzubieten. Der Trick: Die Stadt kauft den Bauern landwirtschaftlichen Grund ab und gibt ihn billig an junge ­Familien weiter. Damit der Bauer das Land herausrückt, ­bekommt er im Gegenzug für ein paar tausend Quadratmeter eine Bauwidmung – und damit die Lizenz zum Geld­-drucken. Von ingesamt fast 5900 Wohnungen sind etwa 1400 als Nebenwohnsitz registriert. Zusätzliche Widmungen für Ferienhäuser gibt es seit Jahren nicht mehr. Doch in vielen angeblichen Hauptwohnsitzen herrscht nur am Wochenende und in der Hochsaison Betrieb. Die Kontrolle sei schwierig, gibt der Bürgermeister zu. „Man kann ja nicht dauernd schauen, wie viel Strom einer braucht.“

Im November oder April, wenn der Tourismus kurz verschnauft, kann Kitzbühel ein sehr stiller, gespenstisch leerer Ort sein. Doch jetzt ist erst mal der Bär los: Das Polo-Turnier der Valartis-Bank ist gerade beendet, am Dienstag trainieren die Herren das erste Mal auf der Streif, von Freitag bis Sonntag finden die Rennen statt. Rosi Schipflinger wird singen, Manfred Hagsteiner vielleicht ein Häuschen verkaufen. Und Bürgermeister Winkler wird sich in Gedanken schon auf sein nächstes Projekt vorbereiten. Im März hat er Gemeinderatswahlen zu schlagen. Aber der Wahlkampf muss warten. „Vor dem Hahnenkammrennen hätte das keinen Sinn“, sagt er, „da haben die Leute keinen Kopf dafür.“

Rosemarie Schwaiger