Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Beste Randlage

Beste Randlage

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Es war ein Mittagessen vor etwa zwei Jahren, im damaligen unter Nobelitaliener laufenden Wiener Restaurant „Novelli“, wer sich erinnern kann. Küchenchef Konstantin Filippou wollte mir sein neues Konzept zeigen, weshalb er an diesem Tag nicht in der Küche stand, sondern bei mir am Tisch saß. Dann kam eine perfekt gegarte Schnitte vom Steinbutt, belegt nur mit ein paar hauchdünn gehobelten Pilzscheiben. Der Kellner goss aus einem Kännchen noch einen löwenfellfarbenen, intensiv nach Pilz und Wald duftenden Fond über den Fisch, und in diesem Moment konnte Filippou nicht mehr anders als einzugreifen. Sanft, aber bestimmt lenkte er mit dem Zeigefinger die Hand des Kellners, der den Fisch gießen wollte, in die runde Ecke (so steht’s im berühmten Gedicht „Finster war’s, der Mond schien helle“), so dass der Pilzfond ganz an den Rand des Tellers tröpfelte. Und ja, ich musste bei diesem Anblick schmunzeln. Letztlich illustriert die Geschichte aber, dass da ein Koch mit einer Idee saß, die weit über die Küche hinausreichte.

Filippou blieb nicht mehr lange im „Novelli“, ließ einige Zeit gar nichts von sich hören und kündigte schließlich bewusst vage, was die Neugier nur noch steigerte, ein eigenes Projekt an. Seit drei Wochen hat das Restaurant „Konstantin Filippou“ geöffnet. Seit drei Wochen drücken sich die Gerichte und ihre dazu gereichten Saucen in runde Ecken von flachen Porzellannäpfen, worüber an den Tischen gelegentlich geschmunzelt wird, was letztendlich aber auch dazu beiträgt, diese Küche unverwechselbar zu machen. Aber da ist mehr, viel mehr; es wäre ungerecht, den Charakter von Filippous Stil an den Schüsselrändern zu suchen.

Deshalb gestatte ich mir, mich einmal ganz klein zu machen und zwischen den einzelnen Komponenten spazieren zu gehen. Platz genug ist ja, an den Gestaden der Fonds, zu Füßen der sanften Gemüsehügel, an den Kanten schroffen Krokants und knuspriger Chips. Da befinde ich mich zum Beispiel neben einem runden Turm aus hauchdünnem Teig, in dem sich ein wunderbar zartes Entenleberparfait mit Birnenmus befindet, und gleich daneben ein Baumküchlein aus ebendiesem Parfait und Zunge, bis es am Ufer der Erbsencreme nicht mehr weiter geht. In einem anderen Teller stehe ich am Rand eines pastellgrünen Liebstöckelweihers in einer bunten Fantasielandschaft aus roten Rüben, zartrosa glänzenden Dachkonstruktionen aus Ochsenmark, langen Sepiarohren und bizarren Skulpturen aus gebackenen Weinbergschnecken. Auf wundersame Weise fügt sich das alles am Gaumen harmonisch zueinander. Zwischendurch ein Déjà-vu mit dem feinen Pilzfond (sehr selbstbewusst und auch in der Spitzengastronomie nicht selbstverständlich, wenn man nur Anleihen von sich selbst nimmt) – es ist ein würziges Ragout aus Artischockenblättern, Champignons, hauchdünn gehobelten Kerbelknollen, Buttermilch und geriebenem Käse, dazu ein Hauch Kaffeearoma, grandios abgeschmeckt. Die Teller, ach nein, es sind ja diese identitätsstiftenden Näpfe, mögen durchwegs etwas überladen aussehen, aber das sind sie nicht. Es macht richtig Spaß, an die einzelnen Komponenten heran zu gehen: an den Kaninchenrücken, der in blätterteigdünn geschnittenen Oktopus gewickelt ist und neben einer Stange gebackener Schwarzwurzel und einem Stick Olivenkrokant liegt; an den Stör mit Paprika und Würfeln aus gebackenem Kalbskopf; an die Taubenbrust mit confiertem Haxerl und einer sherryduftigen Creme aus der Leber des Vogels.

Natürlich hat Filippou sich auch in der Welt, in der er eine Rolle spielen will, umgesehen. Würde man einem Foodie irgendwo auf der Welt die Augen verbinden, ihn nach Wien fliegen und ihm erst bei Tisch die Binde abnehmen, er wähnte sich vielleicht nördlich des 55. Breitengrades (dort liegt, ähem, Kopenhagen). Das schlichte Ambiente aus hellem Holz und hellgrauen Wänden, die Amuse-Gueule-Küche mit einer Art Chef’s Bar für zwei bis drei Personen im Gästebereich, in der Köchinnen und Köche mit dunklen Mützen stumm und konzentriert Küchengrüße und Vorspeisen anrichten und diese auch servieren – das kennt man aus der skandinavischen Küche, der nordisk mad, die derzeit europaweit den Ton angibt. Aber Konstantin Filippou ist schlau genug, auf die vielerorts bis zum Abwinken zelebrierten Regionaldoktrin (der mitunter auch zum Schwindel ausartet) zu pfeifen.

Jedenfalls hat Wien jetzt ein Restaurant mehr, das mehr ist als ein Restaurant mehr. Das zeigt sich auch in einer außergewöhnlichen Weinkarte. Kein Grund also, sich am Rand herumzudrücken. Gilt nicht für die Fonds.

Konstantin Filippou
Dominikanerbastei 17, 1010 Wien
Tel.: 01/512 22 29
www.konstantinfilippou.com
Sa, So geschlossen
Menüs: 68 bis 89 Euro

[email protected]