Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Das alte Testament

Das alte Testament

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Kann sich noch jemand an die Molekularküche erinnern? Das war das mit den Sphären und Blasen, mit den Schäumchen und dem Stickstoff. Und ja, die Molekularküche war eine monotheistische Religion, deren Papst Ferran Adrià hieß. Seine Kardinäle in aller Welt musste er nicht ernennen, das besorgten die schon selbst, indem sie Eucharistien veranstalteten, von denen sie glaubten, sie seien eigenständige Interpretationen der Enzyklika des Papstes. Aber in Wahrheit waren es in den meisten Fällen bloß billige Kopien.

Billige Kopien durften wir zu Hause auch herstellen. Eine Flut von Molekularkochbüchern hat damals den Markt überschwemmt; und ich denke, der einschlägige Fachhandel dürfte auch ein kleines Umsatzplus beim Privatverkauf von flüssigem Stickstoff verspürt haben.
Der Papst ist nun tot, deshalb lebe der Papst! René Redzepi heißt der neue, und seine Religion ist die Nordisk Mad – die nordische Küche, die sich in radikaler Regionalität übt. Ich habe es lange Zeit nicht für möglich gehalten, dass Redzepis dänisch-skandinavische Küche aus dem „Noma“ (die in technischen Details durchaus auf der Religion Adriàs aufbaut – der Kopenhagener Chef war schließlich auch in Adriàs Küche zugange gewesen) in gleicher Intensität durch die Märkte der Gastronomie und der kulinarischen Literatur wabert. Aber da habe ich mich gründlich geschnitten.

Der heilige Geist der puristischen Regionalität ist auf Erden herniedergegangen. Und irgendwie läuft’s dann doch wieder gleich: Im Buchhandel stehe ich vor „Kraut und Rüben“, vor dem neuen „Waldkochbuch“, dem „Selbstversorger-Kochbuch“ oder der „Bauernküche“. Schlage ich die Bände auf, wimmelt es von altbekannten Rezepten in neuem Gewand. Auch unzählige Kopien der „Noma“-Küche habe ich bereits identifiziert. Die jungen Chefs kopieren auf Teufel komm raus; manches ist wenigstens gut nachgekocht, manches hat eher die Anmutung einer Louis-Vuitton-Tasche von der Rialto-Brücke oder vom Wiener Brunnenmarkt.

Mal eigenständig denken, hm? Wie wär’s damit? Den eigenen kulinarischen Kulturkreis definieren und sich dazu etwas überlegen? Meine wichtigste Weihnachtsbuchempfehlung in diesem Jahr richtet sich deshalb nicht ausschließlich an das hoch interessierte Laienpublikum, sondern auch an all die Köche, die glauben, weil sie jetzt Urkarotten in dünne Röllchen verwandeln und mit ein paar Wiesenkräutern bestreuen, eine authentische Regionalküche etabliert zu haben. „Das kulinarische Erbe der Alpen“ ist ein wunderbares Buch, gewissermaßen ein altes Testament. Es erzählt von den alpinen Traditionen zwischen der Schweiz und den östlichen Ausläufern der Alpen in Österreich, von Käse und Kräutern, Schafen und Rindern, Beeren und Früchten, Fischern und Krebsen. Es erzählt auch die Geschichte der einzelnen Produkte (mit faszinierendem historischem Bildmaterial), und gerade das macht es so wertvoll für die Regionalisten, denn auf diesen Traditionen aufzubauen und auch über sie Bescheid zu wissen ist eine ungleich bessere Basis als ein Besuch in Kopenhagen mit Handykamera und Notizblock.

Dass in diesem bemerkenswerten (auch, was das Gewicht betrifft) Wälzer keine Rezepte abgedruckt sind, ist ein wenig schade für die Gemeinde der Hobbyköche, für die jungen und ehrgeizigen Profis aber kann das erst die wahre Herausforderung sein. Es wäre wirklich zu begrüßen, wenn Österreich wieder einmal eine Kochpersönlichkeit hervorbringt, die unsere Kultur so auf den Teller bringt, dass die interessierte Fachwelt aufhorcht.

Dominik Flammer, Sylvan Müller: Das kulinarische Erbe der Alpen.
AT Verlag, 2012,
368 Seiten, 80,20 Euro

Gehört gekocht
Colette Prommer, bekannt aus der Ö1-Radioküche, hat ein weiteres Kochbuch herausgebracht, dessen Rezepte diesmal thematisch geordnet sind: Freunde, Liebe, Jahreszeiten, Reise. Am besten gefällt mir die Rubrik Kunst mit dem Schinken für Adolf Loos, Edith Piafs Miesmuscheln oder Romy Schneiders Austern.
Colette Prommer: Colette kocht. Löwenzahn Verlag, 2012, 240 Seiten,
29,90 Euro

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Colette Prommer: Colette kocht. Löwenzahn Verlag, 2012, 240 Seiten, 29,90 Euro

Auf der Blutspur
Als kulinarischer Berichterstatter in diesem Magazin werde ich ziemlich häufig kontaktiert und nach Adressen für satisfaktionsfähige Hardware für Karnivoren gefragt. Gute Fleischhauer gibt es nämlich immer weniger. Dieser Band versammelt zwei Dutzend der letzten Aufrechten, huldigt ihnen zu Recht – und meine lieben Schwestern Ringl sind natürlich auch dabei. Empfehlung! Mehr Adressen weiß ich auch nicht.
Florian Holzer, Georg Renöckl, Arnold Pöschl: Die letzten Fleischhauer von Wien. Metroverlag, 2012, 160 Seiten, 25 Euro

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