Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Der Austro-Ottolenghi

Der Austro-Ottolenghi

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Ochsenherz hatte Meinrad Neunkirchner unlängst auf die Speisekarte seines Wiener Gasthauses "Freyenstein“ geschrieben. Nein, da stand "Ochsenherz“. Unter Anführungszeichen. Was das sein soll, wollte ein Gast wissen. Er esse nämlich kein Fleisch. Neunkirchner beruhigte: Diesbezüglich sei der Gang absolut unbedenklich. Worauf der Gast, leicht erbost replizierte: "Also, Sie werden mir jetzt doch nicht erklären wollen, dass ein Ochsenherz nicht vom Rind kommt.“ Neunkirchner erzählt die Geschichte in seiner Küche achselzuckend - so, als wollte er damit sagen, dass man’s auch nicht immer leicht hat, wenn man schon vegetarische Speisen anbietet, und dann glaubt’s einem keiner. Die Ochsenherzen waren in diesem Fall jene hünenhaften Paradeiser, die ihren Namen wegen der an Rinderherzen erinnernden Form tragen und die es mittlerweile sogar schon in Supermärkten gibt. Und zwar gar nicht so selten. Außerdem können die Dinger kraft ihrer Konsistenz und Aromatik mit Leichtigkeit einen fleischlosen Gang tragen.

Neunkirchner gilt zwar manchen noch als ein Küchenchef alter Schule, der er mit seiner Erfahrung, seinem Wissen und seiner profunden Kenntnis von Gartechniken und Küchenbasics aller Art ja auch ist. Trotzdem gibt es nicht viele Köche, die kurzlebigen Trends großräumig ausweichen und dennoch auf der Höhe der Zeit - und ihr manchmal auch ein kleines Stück voraus - arbeiten. Ich erinnere diesbezüglich an sein faszinierendes Wildkräuterkochbuch. Nun hat er mit der Journalistin Katharina Seiser ein vegetarisches Kochbuch verfasst, das ich gerne als "Austro-Ottolenghi“ bezeichnen möchte, in Anlehnung an die vegetarischen Werke des Londoner Chefs mit levantinischen Wurzeln, Yotam Ottolenghi. So wie sich der Brite mit leichtfüßiger Kreativität an den Traditionen der arabischen Küche abarbeitet, kocht Neunkirchner in "Österreich vegetarisch“ die heimische Küche entlang. Es sind oft so simple Dinge wie ein warmer Karottensalat oder ein geschmortes Gurkengemüse, die plötzlich für sich alleine stehen können, wenn Produktqualität, Würzmethode und Kombinationsgespür stimmen: Warum nicht geriebener Dotter und feinst gewürfeltes Wurzelgemüse in der Vinaigrette? Warum nicht Verjus oder nur Zitronensaft in ebendieser Vinaigrette? Um wie viel besser schmecken Gurken, wenn man statt der EU-normierten Industriegurken hocharomatische russische Lagergurken zur Verfügung hat. Und was für einen wunderbaren Jus, der auch Tanninattacken aus der Rotweinflasche locker aushält, ergibt ein raffiniert abgeschmeckter Saft von Roten Rüben.

Kurz blättere ich in einem uralten Schmöker meiner Kochbuchbibliothek: "Die fleischlose Küche“ aus dem Jahr 1926. Ich lese von Säuglings- und Krankenkost, von vegetarischen Speisen, die "die Fleischnahrung aus der Not heraus vollständig zu ersetzen imstande“ sein sollen - und von der Erfordernis fleischloser Speisen, Nervenüberreizung und körperliche Anfälligkeit zu mindern, weshalb sie von "scharfen Gewürzen und Durst steigernden Surrogaten“ frei zu bleiben haben. Das Vorwort schrieb damals kein Koch, sondern ein Nervenarzt. So ein Image hatte vegetarische Küche im Übrigen noch bis vor Kurzem. Lust darauf? Nein danke.

Ich mache mich jetzt lieber über das Rezept für Kohlrouladen mit Topinambur und Rote-Rüben-Saft her. Oder über den mit Anis abgeschmeckten gefüllten Fenchel und die mit Erdäpfelpüree gefüllten Kohlrabi in Paradeisersauce. Und wenn ich hier stehe und nicht anders kann, als im Bohnensalat mit Kernöl und Jungzwiebeln den würdigen Begleiter eines ausgelösten Sulmtaler Backhendls zu erblicken, werden mir Neunkirchner und Seiser hoffentlich nicht böse sein.

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