Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Grüngewaschen

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Ja, natürlich muss ein Buch wie dieses Kontroversen auslösen, in dem beträchtliche Zweifel daran geäußert werden, dass Bio wirklich Natur pur ist und, was unsere Ernährung betrifft, zurück zum Ursprung führt. Es tut es auch schon in den diversen Foren. „Der große Bio-Schmäh“, heißt es etwa, sei aber so was von verzichtbar, denn nur die hinterletzten Birkenstock-Apostel würden angesichts des wachsenden Biomarkts, den nicht wenige für eines der größten Preiswucherprojekte unserer Tage halten, immer noch an die agrarische Idylle glauben. Das Buch sei, meinen hingegen andere Kampfposter, kontraproduktiv, denn die biologische Landwirtschaft dürfe den Konsumenten bloß nicht madig gemacht werden; sie sei doch ein enormer Fortschritt gegenüber der konventionellen Lebensmittelindustrie. Solche gegensätzlichen Positionen machen deutlich, dass über den Begriff Bio unverändert Verwirrung herrscht.

Der Agrarbiologe Clemens G. Arvay zweifelt in seinem Buch keineswegs die Einhaltung von Bio-Kriterien an, er vergleicht nur – unaufgeregt und deshalb auch glaubwürdig – Werbung und Wahrheit. Er spielt uns zunächst Schalmeientöne vor aus der Welt der bärtigen Bio-Pioniere, naturvernarrten TV-Moderatorinnen und sprechenden Ferkel; er durchforstet Websites und Broschüren – und begibt sich dann, zugedröhnt von den Slogans, hinter die Kulissen; das halte ich im Dienst des Konsumentenschutzes sehr wohl für nötig, denn außer dass vermutlich eher wenige Menschen an sprechende Schweine glauben, pflanzt diese Werbung doch ein absurd verklärendes Bio-Bild in die Köpfe vieler. „Greenwash“ – davon handelt das Buch im Grunde. Es ist die Strategie des Schönfärbens und Verschleierns, um einem Produkt ein ökologisches Image zu verpassen, das der Realität widerspricht.

Glücklich scharrende Freilandhühner? Knorrige Holzofenbäcker? Urige Obstgärten? Es ist keineswegs zum Gähnen, dass uns wieder einmal jemand sagt, dass es das alles nicht gibt. Arvays eigene Botschaft lautet: Die Bio-Branche, die zwischen 2006 und 2010 um 60 Prozent gewachsen ist, ist unter dem Diktat der Supermärkte und Diskonter (deren Bio-Marktanteil beträgt 91,5 Prozent) drauf und dran, eine zu ständigem Wachstum verdonnerte, von Monokulturen geprägte Industrie zu werden, die sich von konventioneller Landwirtschaft nur noch durch das Verbot von ein paar Düngern, Giften und Zusatzstoffen unterscheidet. Artgerechte Haltung, Sortenvielfalt und fairer Handel? Fehlanzeige. Man könnte kritische Dokumentationen der Kategorie „We Feed the World“ auch über Bio-Produkte drehen. Bio-Hühner leben und sterben kaum anders als konventionelle, nämlich dicht gedrängt in Hallen, deren Böden zentimeterhoch mit Kot bedeckt sind; es sind die gleichen hochgezüchteten Rassen wie in der üblichen Massentierhaltung; männliche Tiere werden genauso getötet und „homogenisiert“, wie man es aus Videos über Nicht-Bio-Betriebe kennt. „Überglückliche Hühner“ vom „Bio-Bauernhof“? Die gibt’s eben nur beim Drehen der TV-Spots.

Bio-Brot wird genauso in Fabriken vorgebacken und quer durch das Land gekarrt, um in Tiefkühlhallen auf die Auslieferung und Fertigstellung in den Öfen der Supermärkte zu warten. In der Werbung sehen wir aber immer nur alte Backstuben und hören von traditionellem Bäckerhandwerk.
Arvays Buch ist voller solcher Bio-Widersprüche. Ist Monsanto nicht der böse Gentechnik-Agrarmulti, der zu Bio passt wie ein Analogkäseweckerl ins Haubenlokal? Eigentlich ja, aber er liefert auch Hochleistungshybridsaatgut für heimische Bio-Tomaten.

Sind „Kuherzieher“ nicht jene Metallbügel, die den Tieren elektrische Schläge versetzen, damit sie in die vorgesehenen Rinnen koten? Ein selbst in der herkömmlichen Landwirtschaft umstrittenes Gerät, aber es ist auch in der Bio-Szene noch immer erlaubt.

Agrarbiologe Arvay enthüllt keine haarsträubenden Lebensmittelskandale, aber er zeigt uns eine Branche, in der Legende und Wahrheit noch weiter auseinanderklaffen als in der Werbung für Haarwuchsmittel. Das heißt schon was, und das muss sich die Bio-Landwirtschaft auf ihrem eingeschlagenen Weg wohl sagen lassen.

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