Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Ich bin kein Vegetarier, aber …

Ich bin kein Vegetarier, aber …

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So. Jetzt ist aber wirklich Schluss mit Fleisch. In der Woche, in der eines der wenigen stimmigen vegetarischen Gerichte der heimischen Küche, nämlich der Spinat mit Spiegelei und Erdäpfelrösti (da reicht die qualitative Palette ja von der zerkochten Beislzumutung bis zum perfekt blanchierten Blattspinat mit dem Einstundenei bei 62 Grad), allgegenwärtig ist, wollen wir doch mal nachsehen, ob da noch mehr ist.

Ich witzle noch blöd herum, sage, dass ich schon ein wenig Angst habe vor vegetarischer Küche in Wien, aber dann traue ich mich doch ins "Tian“, den konzeptuell ziemlich überfrachteten Laden vis-à-vis dem Ronacher-Theater, in dem Take-away, Café, Bar & Lounge und ein ambitionierter Restaurantbereich miteinander auskommen wollen. Ein halbseidener Vorhang trennt das Entree, in dem man seine Kartons abholen kann, nur notdürftig vom Restaurant; das kommt mir bekannt vor, so sehen im Flieger auch die Grenzen zwischen First und Economy Class aus. Das Licht spenden Luster, aus deren Rohmaterial René Redzepi in Kopenhagen ein halbes Menü kochen würde: Holz, Flechten, sonst noch was, so genau sieht man das auch nicht.

Das Essen: Es steigert sich von Gang zu Gang. Ein feines Gedeck mit sehr guten Broten, Ölen, Salzen und Sprossen. Ein mäßig aufregender Avocado-Mango-Salat mit Portulak, eine etwas zu üppig süßliche Kokossuppe mit Curry. Ein auf den Punkt pochiertes Vanille-Ei mit Erdäpfel-Mousseline (sauber gemacht; die Vanille-Aromen gehören etwas zurückgeschraubt). Und dann zwei überaus respektable Hauptgänge: mit Ziegenkäse gefüllte Paradeiserteigtaschen und gedünsteter Kohlrabi, mit Verve abgeschmeckt. Und eine Komposition mit Chioggia-Rübe, Karfiolcreme, durchsetzt von Räucheraromen und einer so genannten Linsensprossenerde, deren Herkunft in einschlägigen Kreisen natürlich bekannt ist: Noma, Kopenhagen. Mir ist ein solches Gericht, auch wenn es in vielen Details nach der angesagten Nordisk Mad gefertigt ist (was ja auch in weit besseren Häusern vorkommt), allemal lieber als der vegetarische Dilettantismus, der einem sonst häufig unterkommt. Der Teller ist komplett, da fehlt nichts, da passt alles zueinander, die Sache hat aromatische Power und könnte mit einigen der wuchtigen Roten von der Weinkarte mithalten. Schwach ist hingegen die Auswahl glasweise ausgeschenkter Weine (dreimal weiß, fünfmal rot), und es wäre ganz gut, wenn wenigstens die immer alle vorrätig wären. Dann entdecke ich einen italienischen Roten. Zufällig ist es einer meiner Hausweine für jeden Tag: Vitiano 2009 von Falesco, Umbrien (auf der Weinkarte steht Toskana, na ja). Ich beziehe ihn als Privatkunde im Handel um 5,99 Euro, hier kostet er 27 Euro; das ist natürlich nicht viel. Aber der Aufschlag beträgt 350 Prozent, und irgendwie geht mir das schön langsam auf die Nerven. Mir ist schon klar, dass es Wichtigeres gibt, dass wir erst einmal das Land von der Korruption und die EPUs von den Tücken der Sozialversicherung befreien müssen. Aber wenn die Republik dann gerettet ist, könnten ein paar herzhafte Flashmobs für eine halbwegs faire Weinkalkulation in der heimischen Gastronomie nicht schaden.

Tian
Seilerstätte 16, 1010 Wien
Tel.: 01/890 46 65
So. geschlossen
www.tian-vienna.com
Hauptgerichte: 9,90 bis 18,90 Euro

[email protected]