Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Nigel Slater: Lasst die Beeren los!

Lasst die Beeren los!

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Vor etwa einem Jahr ist der erste Teil von "Tender“ erschienen. Er handelte von Gemüse. Der britische Food-Journalist und Koch Nigel Slater hat darin seinen Garten in der Nähe von London in Form von Geschichten, kulinarischen Anregungen, Warenkunde, Garten-Tipps und Rezepten porträtiert. Ein wunderbares Buch. Slater ist ein brillanter Autor, einer der wenigen, die spielerisch mit Texten wie auch Texturen umgehen können. Ernsthafter als der verwegene New Yorker Allesprobierer Anthony Bourdain, aber mit einem feinen Gespür für Witz und Ironie in der Küche. Man konnte das auch in seiner (vor ein paar Jahren von der BBC verfilmten) Autobiografie "Toast“ überprüfen, in der er das familiäre Patchwork-Drama als tragikomische Wurzel seiner Kochleidenschaft beschreibt. Weil er auf die Neue seines Vaters, die so gut kochen konnte, eifersüchtig war, besuchte er als einziger Bub seiner Klasse den Hauswirtschaftsunterricht; da muss man jetzt dazu sagen, dass das im England der frühen 1970er-Jahre war. Ja, und im Mistkübel zu Hause zählte er die Eierschalen, um das geheim gehaltene Rezept für den Zitronenkuchen seiner Stiefmutter zu rekonstruieren.

Jetzt ist der zweite, nicht weniger wunderbare Band von "Tender“ auf Deutsch erschienen: Tender/Obst. Ein Nachspeisenwälzer? Keineswegs, auch wenn die süßen Rezepte dominieren. Aber Slater ist keiner von diesen Tellerverzierern, die ihre ursprünglich stimmigen Gerichte mit Obst zerstören und die wahllos Früchte in Töpfe und Pfannen kippen. Obst in Hauptspeisen betrachtet er als das, was es in Wahrheit ist: nämlich ein überaus heikles Thema. "Ich mag so etwas wie Seezungen mit Bananen einfach nicht.“ Mit diesem Satz hat er schon gewonnen. Slater orientiert sich bei seinen Kombinationen an natürlichen Lebensräumen: wilde Beeren und Wild, das geht gut (siehe: Hirsch mit Heidelbeersauce). Wo das mit dem gemeinsamen Ursprungsbiotop nicht recht funktioniert, lässt Slater sich merkbar von der orientalischen Küche inspirieren, in der Marillen (Lamm-Aprikosen-Tajine), Quitten und Granatäpfel (Salat mit mariniertem Ziegenkäse, Feigen und Grantapfelkernen) eine wichtige Rolle spielen.

Mit leichter Hand verpackt Slater enorm viel Wissen über mehr als zwei Dutzend Obstsorten und Nüsse, die er im rauen britischen Klima hegt, pflegt - und ganz offenbar liebt. Da finden sich dann bezaubernde Sätze wie der folgende: "So sitze ich hier zur Sommersonnenwende und beobachte, wie die Erdbeeren reifen (…) und der nächste Schwung von ausgesäten Bohnen ihren Schwanenhals aus der Erde steckt und hoffnungsvoll nach meinen wackligen Kletterstangen Ausschau hält.“ Hier ist einer, der wie der ewige Kronprinz seiner Heimat zu den Pflanzen spricht. Ich glaube, Nigel Slater hat für uns aufgeschrieben, was sie ihm antworten.

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