Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Rudolf Kellner: „Auf die Sauce g’hört ein Franzos”

„Auf die Sauce g’hört ein Franzos”

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Auf dem Band aus dem Jahr 1997 ist gerade zu hören, wie Rudolf Kellner seinen Oberkellner herbeiruft: Wir essen zwischendurch irgendwas, eine Kleinigkeit, nicht? Vorspeise für mich bitte nicht, nur der Herr. Und dann ess ich auch wieder. Dass uns net der Mund einfriert.

Ich fasse kurz zusammen: Beim Schreibtischaufräumen stieß ich auf eine alte Audiokassette mit einem Interview, das ich vor nunmehr 16 Jahren mit dem Patron des "Altwienerhofs“ führte. Rudolf Kellner, der letzte und zu seinen Lebzeiten auch einzige österreichische Küchenchef, der hierzulande die französische Grand Cuisine in der Tradition Auguste Escoffiers hochhielt, starb im Jahr 2005. Ein paar Tage, nachdem ich das Band gefunden hatte, wäre er 75 Jahre alt geworden.

Kellner blieb der traditionellen Hochküche immer treu. Und doch gehörte er zu jenem Personenkreis, der maßgeblich an der Etablierung einer modernen Spitzenküche in Österreich beteiligt war. Es gab kaum ein französisches Drei-Sterne-Haus, das er mit seinem Genusszirkel, zu dem Jörg Mauthe und Heinz Reitbauer senior zählten, nicht besuchte. Er war, das macht es wert, an ihn zu erinnern, ein Pionier. Und es war ein Vergnügen, ihm zuzuhören. Stundenlang.

So, Ihre Vorspeise. Und a bissl Wein. Nein, mir nur ganz wenig. Ich bin ein Nachtsäufer. Ich sehe leider nicht, was mir der Oberkellner 1997 hingestellt hat, aber ich bin mir nahezu sicher, dass es die berühmte Gänseleberkugel war, in Pfeffer gewälzt.

Während ich esse, erzählt Kellner weiter aus seiner Karriere. Er ist endlich in Paris angekommen, wo er schon lange hinwollte - und zwar in der Küche des "Lido“, die sich drei Etagen unter Tag befand: Kochen hat man im Lido nicht lernen können. Es gab vier Menüs, die wurden halt jeden Tag durchgekocht. Aber beim Personalessen haben wir wirklich gelebt wie Gott in Frankreich. Da gab’s auch Couscous von den arabischen Mitarbeitern. Was ich dort aber gelernt habe, war arbeiten. 1450 Essen am Tag, mein Lebtag hab ich nie wieder so viel gearbeitet wie im Lido. Unser Pâtissier war ein gewisser Michel Guérard, der konnte sehr gut Zucker ziehen, aber er hat vor allem für die Besitzer privat gekocht. Das war noch vor seiner großen Zeit. Ich habe einmal seine Gattin kennen gelernt, ein kleines unscheinbares Mädchen, aber die war die zweitbeste Partie in Frankreich. Der Guérard bekam zum Frühstück nach der Hochzeitsnacht das Schlösschen in Eugénie-les-Bains geschenkt, in dem er als Koch berühmt geworden ist.

Ein Jahr bleibt Kellner in Paris, dann kommt er im Londoner "Savoy“ unter. Dort, wo von 1890 bis 1897 Auguste Escoffier den Höhepunkt seiner Laufbahn erlebte: Das heikelste im Savoy waren diese Separées. Dort waren so Leute wie die Margaret mit ihrem Fotografen, dem Townsend, alle zwei, drei Tage. Und wir hatten 20, 25 Separèes. Aber wurscht. Nach ein paar Monaten war ich Chefpoissonier, neun Monate war ich auf’n Fisch, dann bin ich auf die Sauce. Ich war einer der jüngsten Chefsauciers, aber als klana Wiener, als petit Viennois, war ich sehr suspekt. Noch dazu auf der Sauce, noch suspekter. Auf die Sauce bitte g’hört halt ein Franzos, und ich war alles, nur ka Franzos. Alle paar Wochen haben sie mir einen neuen Franzosen zum Aufpassen hergesetzt. Dann kam einer aus dem Burgund, der hat die große Bandsäge ausgepackt und an meinem Stuhlbein zu sägen begonnen. Dann bin ich eben abgetreten. Aber die zwei Jahre Savoy waren eine gewaltige Lehre, die mir heute noch zugute kommt. Ich komme in letzter Zeit immer mehr auf die Art des Kochens und die Rezepturen von damals zurück, also auf die Maximierung des Geschmacks. Die Sauce zum Fasan muss nach Fasan schmecken, die Beilagen müssen harmonieren, nichts darf zu stark vorschmecken.

Es war vor allem ein Mann, der Kellner prägte: Auguste Laplanche, der selbst noch Escoffier gekannt hatte: Der hat 300 Leute unter sich gehabt, aber der ist hergekommen und hat mit dir gekocht, weil der hat tief in die Trickkiste greifen können. Schaun Sie, da hat’s am Nachmittag diese Nachhilfestunden gegeben. Hat er gesagt, heute machen wir Sauce Supreme, das ist nichts anderes als eine Einbrenn laut Escoffier, die mit Geflügelfond aufgekocht wird, bis das Mehl verkocht ist. Das dauert 20 Minuten oder zwei Stunden. Dann wird das mit einer Creme double aufgebaut, einer richtigen aber, nicht so ein dünnes Wasserl wie bei uns da. Von der Sauce leitet man viele andere Sachen ab. Dann haben wir das halt gemacht. Und wenn man zum Schluss zu viel Butter zum Montieren nimmt, zerscheißt’s dir die Sauce, wie wir sagen. Über zwei Wochen haben wir uns damit gespielt. Immer wieder neu haben wir angefangen, und der Laplanche hat’s gezeigt. Ein anderer Küchenchef in der Position wär ja nimmer zum Herd gegangen.

Kellner verlässt das "Savoy“ nach zwei Jahren Richtung Montevideo, aber ein tragisches Familienereignis führt in nach Wien zurück. Die Zeit im "Altwienerhof“ beginnt, und der neue Chef greift auf einen reichen Erfahrungsschatz zurück: Escoffier pur, wo noch mit Hahnenkämmen und Hahnennieren und so gekocht worden ist. Ich hab ja überall die Grand Cuisine erlebt, die heute fast ausgestorben ist. Ein paar habe ich noch hier, die Escoffier essen. Am Samstag eine Bouillabaisse bitte, aber mit allen neun Fischen, sagen sie dann. Und eine Canard à l’orange.

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