Schauspieler Klaus Maria Brandauer im Exklusivinterview

Klaus Maria Brandauer über Bühnenangst und seinen Film mit Francis Ford Coppola

Über Bühnenangst und seinen Film mit Francis Ford Coppola

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profil: Die Schauspielkunst sei eine Angstkunst, hieß es unlängst in der „Süddeutschen Zeitung“ über Ihren Kollegen Ulrich Wildgruber, der vor zehn Jahren in den Freitod ging. Können Sie mit dem Begriff Angst etwas anfangen?
Brandauer: Klar. Angst hat ja nicht nur mit Schauspielerei zu tun, sondern mit dem Leben. Natürlich fürchtet man sich immer. Die ersten Dinge, an die man sich erinnert, abgesehen von den nassen Lippen der Mutter, sind mit Angst verbunden – weil jemand nicht da ist oder weil die Brust nicht in Reichweite ist. Wenn Wildgruber, den ich gut kannte, Angst hatte im Beruf, muss ich sagen: Da hatte er schon Recht. Ich fürchte mich auch noch.

profil: Wirklich? Man sagt Ihnen völlige Angstlosigkeit nach.
Brandauer: Ich fürchte mich nicht wegen der Kunst. Das hat abgenommen.

profil: Auf der Bühne fühlen Sie nur noch ein wohliges Prickeln?
Brandauer: Nein, da weiß ich mittlerweile, dass die Angst, die ich habe, Eitelkeit ist. Ich möchte nämlich gern gut sein. Und wenn ich merke, dass ich das vielleicht nicht erreiche, kommt die Angst. Aber der Grund für sie ist mir bewusst: Ich will die vorgegebenen Geschichten eben in möglichst bester Form erzählen. Man möchte kongruent sein mit den Texten, die man von sich gibt.

profil: Vor Texthängern hatten Sie nie Angst?
Brandauer: Ich hatte mit Texten nie ein Problem. Weil ich, wenn ich in einer Geschichte drin bin und die korrekten Worte gerade nicht zur Verfügung habe, sie eben mit meinen eigenen Worten erzähle. Denn bevor ich mich lernend mit einem Text beschäftige, den man ja leider Gottes aufsagen können muss wie in der Schule, muss ich doch erst damit so verwoben sein, dass ich die Geschichte frei erzählen kann. Erst dann bin ich zu Hause.

profil: Schiller und Kleist sind aber nicht allzu leicht kongenial nachzuerzählen.
Brandauer: Wieso? Deshalb spiele ich doch so gern klassische Texte: Es ist erstaunlich, wie einfach und direkt man sie sprechen kann – ohne dass man ununterbrochen merkt, dass es fünffüßige Jamben oder, schlimmer noch, Alexandriner sind.

profil: Sie spielen in Francis Ford Coppolas „Tetro“ eine Doppelrolle. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit diesem Regisseur?
Brandauer: Er rief mich an und fragte mich, ob ich an einer Zusammenarbeit interessiert sei. Ich sagte, er solle mir das Drehbuch schicken, ohne Drehbuch könne ich gar nichts sagen. Dann kam es an – und es war eine griechische Tragödie! Ich habe Coppola sofort geschrieben, dass ich dieses Buch für die moderne Variante eines antiken Trauerspiels halte. Ich glaube, das hat ihn riesig gefreut.

profil: Sie hätten mit ihm nicht gearbeitet, wenn Ihnen das Buch nicht zugesagt hätte?
Brandauer: Nein. Das ist ein alter Grundsatz von mir. Ich muss keinen Film machen, schon gar nicht, wenn mir die Bücher nicht gefallen. Ich bin auch kein Filmfreak; es ist erschreckend, wie wenig ich gesehen habe.

profil: Haben Sie fürs Kino keine Zeit oder kein Interesse?
Brandauer: Ich weiß nicht, ich schlafe im Kino immer gleich so tief. Als Kind sah ich am liebsten Komödien, auch heute noch: Sie werden es nicht glauben, aber ich liebe es, mir ab und zu einen Film von Louis de Funès hineinzudonnern. Die Absurdität ist immens wichtig: Das große Ganze, und das sage ich als praktizierender Katholik, braucht Sinn für Humor. Bei all dem Bedürfnis nach einer höheren Ordnung im Kosmos muss man darüber nachdenken, ob wir Menschen nicht ein Betriebsunfall der Natur sind. Aber auch wenn wir in unserer irdischen Existenz auf keinen grünen Zweig kommen können: Sie macht doch gelegentlich großen Spaß.

profil: Mit nihilistischer Kunst fangen Sie nichts an?
Brandauer: Nein. Außer sie hat komische Aspekte. Das ist ja der Versuch von „Warten auf Godot“. Beckett endet mit dem ­Weiterwarten. Und letztlich fürchte ich, dass gar niemand will, dass Godot je auftaucht. Aber es gibt auch eine monotheistische Religion, deren Anhänger immer noch warten.

profil: Auf den Erlöser.
Brandauer: Genau. Aber man hat vermutlich keine Wahl. Ich wuchs in einer kleinen katholischen Gemeinde mit untadeligen Vertretern der klerikalen Spezies auf – und dann ist man irgendwie dabei. Natürlich habe ich auch rebelliert; mit 16 hab ich angefangen zu schreien, dass die Religion mit mir nichts zu tun habe. Aber all meinem Beharrungsvermögen zum Trotz, so frei wie möglich im Leben zu stehen, bin ich in ständiger höchster Gefahr, selbst von dem Kitschbild eines Mannes mit langem weißem Bart berührt zu werden. Und gern lasse ich mich immer wieder von meinen ungläubigen Freunden ein bisschen belächeln – und ziehe meine Religiosität eben ins Künstlerische hinüber.

profil: „Tetro“ endet mit einem Begräbnis.
Brandauer: Das ist seltsam: Es gibt unter all meinen Arbeiten nahezu keine, in der ich nicht am Ende tot bin. Fast jede Inszenierung, jeder Film läuft darauf hinaus. Ich hab mich mein ganzes Arbeitsleben lang nur umgebracht oder bin ermordet worden: vom Ferdinand bis zum Romeo, als Hamlet, aber auch im Film, als Oberst Redl – alle tot!

profil: So bringt man Erzählungen eben klassisch rund zu Ende.
Brandauer: Aber im Theater ist das eine blöde Geschichte: Denn nach dem Tod steht man auf und verneigt sich. Als Schauspieler muss man da sehr schnell das Bewusstsein wiedererlangen. Und irgendwann wird man sich nicht mehr verneigen können. Mit dem Tode hab ich mich zwangsläufig seit meiner Jugend intensiv befasst.

profil: Sie meinen, das hinterlässt Spuren?
Brandauer: Natürlich. Und es hilft einem zu lernen, den Augenblick zu schätzen.

profil: Wenn man wie Sie mit Tod unentwegt künstlerisch hantiert, kann man mit dem ­realen Tod besser umgehen? Auch mit dem drohenden eigenen Tod?
Brandauer: Mein Beruf hat mich nur dazu animiert, über mein Leben nachzudenken. Das ist nicht die Wirklichkeit: Theater und Oper bleiben ein Versuchsfeld.

profil: Das Risiko auf der Bühne hält sich in Grenzen?
Brandauer: Das Risiko besteht darin, dass man scheitert, dass man Sie nicht gut findet, dass Sie sich selbst nicht genügen, dass Sie es einfach nicht können und erfolglos bleiben. Das ist durchaus nicht schön. Aber im Leben können Sie erfolglos sein – wenn Sie richtig geschult sind, wenn die Schulbildung gut war und Sie einiges gelesen haben, dann werden Sie den Erfolg nicht so missen, weil Sie wissen, wie Leben geht und wie sich der Erfolg oft erst 300 Jahre nach dem Tod einstellt. Dann kann man das Leben eher verkraften.

profil: Sie haben Coppola als Epikureer bezeichnet, der das gute Leben liebt, den Wein, das Essen.
Brandauer: Das sind wir doch alle, mehr oder weniger. Francis ist das allerdings in seiner barockesten Ausformung.

profil: Haben Sie das Gefühl, die Kunst spielt bei ihm noch eine ähnlich bedeutende Rolle wie der gute Wein?
Brandauer: Aber ja! Er stammt aus einer hochkünstlerischen Familie, vor allem die Musik hat es ihm angetan. Und er liebt es, den Erfolg seiner Tochter Sofia zu verfolgen. Darüber kann er stundenlang reden.

profil: Ihnen wurde vorgeworfen, bei Ihrer Georg-Elser-Verfilmung vor 20 Jahren fiktive Elemente eingebaut zu haben.
Brandauer: Wir schreiben keine Geschichtsbücher, wir haben das Recht auf Fiktion. Manchmal regen mich solche Vorwürfe sehr auf, dann rege ich mich aber schnell wieder ab und denke mir: So verflucht schwer ist es, mit der Wahrheit umzugehen.

profil: Die Kunst als die Wahrheit: Ist das nicht ein zu romantischer Gedanke?
Brandauer: Ja, sicher. Mir ist klar geworden, mithilfe der Dinge, die ich gelesen habe, dass alles nur im Augenblick wahr ist. Manchmal stellt man mit bestimmten Menschen eine Verbindung her durch einen gemeinsamen Moment, der ewig halten kann. Der Rest ist nur Wiederholung: die Interpretation der Interpretation der Interpretation. So arbeiten auch die größten Dichter, denn ehrlich gesagt: Was schreiben die denn so? Was ist der Unterschied zwischen Karl May und Shakespeare? Vielleicht die Qualität der Worte und der Gedanken. Aber die Geschichten, die Zusammenhänge sind immer dieselben: Wer liebt wen? Wer hasst wen? Wer schlägt wen? Wer rächt sich an wem? Und: Gibt’s einen lieben Gott? Aus. Das ist es. Um das immer wieder zu besprechen, haben wir zehntau­sende Kilometer Bücher und Hieroglyphen.

profil: Anders als Karl May sind Goethe und Shakespeare zu Zwischentönen fähig.
Brandauer: Die Theaterkunst ist ein Sprechtanz. Wenn er funktioniert, heißt das noch nicht, dass meine Erlebnisfähigkeit so weit reicht, dass ich damit etwas anfangen kann.

profil: Sie müssen diese Texte erst in Ihren Körper einschreiben?
Brandauer: Ich weiß nicht, wo ich diese ­Texte hinschreiben muss, aber ich muss die Unverschämtheit besitzen zu sagen: Mein Glaube an den Text kann Berge versetzen. Ich wage zu sagen: Ich bin es! Natürlich weiß ich, dass ich es nicht bin, aber ich bin zumindest die Verkörperung. Man ist das Gefäß – und mal ist man eine bessere, mal eine schwächere Flasche: Flaschen werden wir bleiben.

profil: Für Ihre Verkörperungen auf der Bühne brauchen Sie Gefühl und Verstand – aber in welchem Mischverhältnis?
Brandauer: Alle Mischungen sind möglich. Es ist natürlich schön, wenn Intuition und Intellekt einander die Waage halten. Es wäre fürs Theater wichtig, wenn dieses Häubchen über der Hypophyse letztlich die Oberhand behalten kann. Ein Mensch, der auf der Bühne so ausflippt, dass er sich selbst nicht mehr kennt, nützt dem Theater nichts. Ein herzensgebildeter Ausbruch im Menschen dagegen geht sicher nie über die Grenzen.

profil: Welche Grenzen meinen Sie?
Brandauer: Na, die Grenzen der Menschlichkeit.

profil: Über Ihre Arbeit mit Fritz Kortner 1970 haben Sie gesagt: „Es wurde damals nicht so viel geredet, wir haben einfach angefangen und mit der deutschen Sprache gearbeitet.“ Halten Sie das Schauspielen, wie es heute praktiziert wird, für überanalysiert?
Brandauer: Die Schauspielarbeit kann nicht intelligent genug sein und nicht klug genug besprochen werden – nur bitte nicht auf der Probe! Ich möchte den vorbereiteten Schauspieler, ich kann ja nicht fünf Monate lang probieren. Das ging bei Kortner noch, weil da jeden Tag das ganze Leben hereingespielt hat. Er befasste sich nicht nur mit Theater, sondern hochkomisch auch mit den Dingen, die täglich passieren. Als der Inspizient sagte, die Frau Nentwich komme ein bisschen später, weil sie die Treppe heruntergefallen sei, sagte Kortner nur: „Da müsst’ sie eigentlich früher da sein.“

profil: Leiden Sie darunter, dass die Sprachkultur, wie Sie sie lieben, im Zeitalter von SMS und Twitter zur Luxusvergnügung ­einer schmalen Elite wird?
Brandauer: Das ist eine große Gefahr. Sie können auf jedem Synthesizer ein ganzes Orchester simulieren, aber es wird nicht dasselbe sein.

profil: Wenn Sie in der Garderobe auf Ihren Auftritt warten, wiederholen Sie angeblich nie Ihren Text.
Brandauer: Textaufsagen? Ich wüsste gar nicht, wie das geht! Da wäre ich ja schon entjungfert! Wenn ich rausgehe, muss das eine Uraufführung sein, keine Wiederholung der Wiederholung. Ein Text muss an jedem Abend so klingen, als hätte ich ihn noch nie gesagt.

profil: Ihre ehemalige Schülerin Birgit Minichmayr sagt, sie habe von Ihnen gelernt, „eine Haltung, eine Meinung zu haben“. Zielen Sie darauf ab?
Brandauer: Ich kann nicht Begabung lehren. Die bringen meine Studenten mit. Ich will für sie eine bestimmte Animation oder auch Provokation darstellen – es geht mir um das Gesamtkunstwerk Mensch, um die Herzensbildung. Das war, als ich jung war, im Café Hawelka so großartig: Da saßen alle zusammen, die Maler, die Architekten, die Literaten, die Sänger und Schauspieler. Heute hat sich das verloren. Also mach ich meinen Schülern Bildungsdruck: Ich sage ihnen, dass ich sie, wenn sie bis nächste Woche nicht im Museum gewesen sind und ein bestimmtes Bild studiert haben, nicht unterrichten werde.

profil: Man kann kein guter Schauspieler sein, wenn man sich nicht für die anderen Künste interessiert?
Brandauer: Man kann sich für gar nichts interessieren und immerhin eine Begabung sein. Aber man kann dann kein brauchbares Mitglied der Gesellschaft sein. Wenn man sich nicht für Politik, Geschichte und Kunst interessiert, ist alles nur L’art pour l’art. Das ist dann meist bloß kunstgewerblich.

profil: Ihre Herzensbildung war früh abgeschlossen?
Brandauer: Einmal war ich in Wien richtig frei – an meinem ersten Tag, als mich in dieser Stadt noch niemand kannte. Und dann machte ich meinen Weg, den ich durch Glück oder Zufall früh machen konnte, ich muss aber aufpassen, dass ich nicht eines Tages einfach zu dieser Stadt gehöre wie der Würstelstand oder das Riesenrad.

profil:
Sie haben keine Lust, ein Marmorstandbild Ihrer selbst zu werden?
Brandauer: Man muss diese Entwicklung brechen, andere und sich selbst herausfordern.

profil: Und das geht zum Beispiel übers Kino. Ich höre, Sie wollen Fernando Pessoa verfilmen? Das passt nicht zum Brandauer-Denkmal.
Brandauer: Den Plan habe ich schon seit zehn Jahren. Das würde sehr viel Geld kosten. Und ich habe das Regieführen ja nie gelernt, habe erst zwei Filme inszeniert. Gemeinsam mit Esther Vilar verfasste ich ein Drehbuch zu Pessoas Erzählung „Ein anarchistischer Bankier“ – und setzte mir in den Kopf, die Handlung von Lissabon nach Kuba zu verlegen.

profil: Der Titel klingt, als könnte der Film mit der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise zu tun haben.
Brandauer: Natürlich hat er damit zu tun.

profil: Davon wussten Sie doch vor zehn Jahren noch nichts.
Brandauer: Von der Krise wussten wir auch vor zehn Jahren schon – zum Beispiel von jener des Jahres 1929. Wir haben gelernt, dass auf jede Phase der Erholung eine neue Krise folgt. Und es geht immer so weiter.

profil: Glücklich ist, wer vergisst.
Brandauer: Eben. „Die Fledermaus“: Seit damals ist alles klar.

profil: Das Vergessen ist eine österreichische Spezialdisziplin.
Brandauer: Und wir tun manchmal so, als wären wir eine Weltmacht mit gigantischem Einfluss. Das ist absurd. Sagen wir doch einfach: Wir sind das Land des Lächelns, nicht Disneyland, sondern Österreich, wir haben die Lipizzaner, das Burgtheater, die Staatsoper, die Salzburger Festspiele und Mörbisch, es ist genug von allem da, wir sind moribund, haben die besten Pompfüneberer und die schönsten Friedhöfe! Aber nein, wir wollen auch militärisch mitspielen, kaufen Panzer und Abfangjäger, das alles ist …

profil: … ein bisschen daneben?
Brandauer: Nein. Es ist herzig. Und es geht ja auch so. Aber was nicht geht, ist das Akzeptieren unserer fortschreitenden Verdummung. Man erklärt mir, dass meine Vorstellungen nicht den Normen des neuen Theaters entsprächen, und es könne ja sein, dass dies zu meiner Zeit noch anders gewesen sei. Dann kann man nur sagen: Freunde, der Weg zurück wird kommen. Denn es gibt nur das Lesen und die Interpretation. Um das Wissen werden wir alle nicht herumkommen. Wir können alle unsere Wünsche und Sehnsüchte ans Leben anmelden. Sie müssen uns nicht erfüllt werden, aber formulieren müssen wir sie schon.

profil: Wo stehen Sie in der laufenden Debatte um das Regietheater? Fragt nicht der eine oder andere wilde Regisseur auch mal bei Ihnen an?
Brandauer: Klar, und manchmal hat man einfach kein Glück: Mit Peter Zadek etwa hatte ich mehrere Projekte, die aus verschiedenen Gründen nicht realisiert werden konnten. Ich wurde 1971 ans Burgtheater engagiert. Jetzt haben wir bald 2010. Ich hatte dort bislang 12 Rollen. In dieser Zeit spielen andere 120 Rollen.

profil: Hätten Sie gern mehr gespielt?
Brandauer: Nein, für mich ist es eben wichtig, dass jeder Abend eine Ausnahmesituation ist. Da kann ich nicht am Dienstag den spielen, am Mittwoch jenen und am Samstag einen Dritten. Andere tun das und sind auch gut. Es ist nur nicht mein Zugang.

profil: Angesichts der ödipalen Obertöne in „Tetro“ ist es nur folgerichtig, dass Sie bei den kommenden Festspielen in Salzburg mit Regisseur Peter Stein „Ödipus auf Kolonos“ erarbeiten werden.
Brandauer: Das ist wahr! Bei mir stimmt immer alles, ich weiß auch nicht, wieso – Zufall, Schicksal, Vorsehung?

profil: Haben Sie mit der Arbeit an „Ödipus auf Kolonos“ schon begonnen?
Brandauer: Nein, aber ich werde Peter Stein, der das Stück neu übersetzt hat, noch vor Weihnachten treffen. Ich hätte den „Ödipus“ wahnsinnig gern in der Felsenreitschule gemacht, aber das war offenbar nicht möglich. Und wenn’s nicht der Stein wäre, hätte ich mir meine Zusage womöglich noch einmal überlegt.

profil:
Peter Stein gilt als Schwieriger. Hatten Sie je Probleme mit ihm?
Brandauer: Er ist schwierig, ich bin auch schwierig. Da kann ich nur mit Kortner sagen: „Ja, ich bin schwierig. Sagen Sie es bitte weiter.“ Was heißt das schon? Es war nie müheloser als mit Kortner, nie hat jemand besser auf mich aufgepasst. In diesem Geist arbeite ich mit Stein. Ich weiß, dass es eine fast unlösbare Aufgabe ist, ein Regisseur zu sein: Da muss ein universal gebildetes, sprachgebildetes, herzensgebildetes und ­theaterwissendes Kerlchen unterwegs sein mit einem fast Michelangelo-artigen Anspruch auf Wissen und Zusammenhänge.

profil: Sie neigen in Ihrer Rollenwahl offenbar sehr zum Titanischen – das belegen nicht nur Ihre klassischen Theaterrollen. Allein in Film und Fernsehen haben Sie ab 1981 fast nur überlebensgroße ­Figuren gespielt: Mephisto, Jedermann, Lenin, Rembrandt, Danton und Nero, letzthin ­sogar Kaiser Franz Joseph. Ziehen Sie solche Parts besonders an – oder denken die Regisseure bei solchen Rollen immer an Sie?
Brandauer: Ich habe oft versucht, mich meinen Regisseuren auszureden – weil es mir auch seltsam vorkam, Figuren wie Danton zu spielen, wo ich doch nur aus Altaussee komme. Aber: Es ist dann schon auch fein, mit François Mitterrand in der Premiere solcher Filme zu sitzen! Oft ist das angenehmer, als in der Kantine des Burgtheaters zu sitzen und endlos auf die Probe zu warten. Ich möchte eben gern unterwegs sein, und ich will, als im 20. Jahrhundert Geborener, auch im Radio, im Film und im Fernsehen arbeiten.

profil: Ist es wahr, dass Sie im Kino demnächst den Sexualforscher Wilhelm Reich spielen wollen?
Brandauer: Der Regisseur Antonin Svoboda hat mir vor fast zwei Jahren schon ein Drehbuch geschickt, das mich so begeisterte, dass ich sofort zusagte. Die Figur Reich, die ­darin so detailliert und leidenschaftlich beschrieben wird, wurde ja zweimal vernichtet – einmal von den Nazis, dann auch in Amerika. Reich ist auf Unglaubliches gestoßen – und er war seiner Zeit immens voraus. Das ist ein Film, den ich unbedingt machen will.

profil: Aber es wäre schon wieder einer, in dem Sie am Ende sterben müssten.
Brandauer: Das schon, aber immerhin wäre es ein österreichischer Film. Stellen Sie sich vor, ich war bis jetzt in nur einem einzigen österreichischen Kinofilm zu sehen! In ­„Jedermanns Fest“, einem Film, den ich für ein Kunstwerk halte. Regisseur Fritz Lehner ist ein Wilhelm Reich auf seine Weise.

profil: Wieso? Weil er ein Freigeist ist?
Brandauer: Ja, weil er mit atemberaubender Distanz zu sich selbst forscht, denkt und schreibt. Er gehört zu jenen seltenen Menschen, bei denen ich – nachdem ich entdeckt hatte, dass sie etwas draufhaben – sogar mache, was sie mir sagen. Wenn’s mir nicht ganz gegen den Strich geht.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.