Die frühere Kokainhändlerin

„Kleiner Erfrischungsladen“

„Kleiner Erfrischungsladen für Beamten bis Friseusen“

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Sabine P., 38, lebt in einem Reihenhaus am Stadtrand, hat zwei Katzen und einen Job als Büroangestellte. Sie schläft und isst regelmäßig. Das ist relativ neu in ihrem Leben. Vor einigen Jahren kam sie Tage ohne Schlaf aus, Essen war sowieso kein Thema. Dafür herrschte damals ab drei Uhr Nachmittag Hochbetrieb in ihrer Wohnung, der bis in die frühen Morgenstunden anhielt. Ständig läutete das Telefon, die Anrufer erkundigten sich nach der Verfügbarkeit von „Pizzaschnitten“ oder „Wörterbüchern“. So lauteten die Begriffscodes für Kokainbriefchen.

Sabine P., ausgebildete Sozialarbeiterin, lebte über zwei Jahre lang vom Handel mit Kokain. Vier bis fünf Millionen Schilling setzte sie in dieser Zeit um, geblieben ist ihr nichts. Denn sie litt, wie sie es nennt, an „einem Helfersyndrom“: Stammkunden konnten bei ihr aufschreiben. Sabine P. versucht ihren Karriereschlenker nicht zu verklären: „Ich komme aus total biederen Verhältnissen.“ Über eine „Motorrad-Partie“ kam es zum ersten Kontakt mit der Droge. Einer aus der Clique, „so ein Minimundus-Zuhälter“, bot ihr an, als seine „Sub-Dealerin“ mit ihm ins Geschäft zu kommen. „Es war alles so unglaublich einfach.“ Sabine P. brauchte ihre Wohnung nicht mehr zu verlassen; der Großlieferant stellte zu; die Kunden kamen gern „in meinen kleinen Erfrischungsladen“. Sie kaufte das Gramm um 1000 Schilling und verkaufte es, je nach Sympathie, zwischen 1400 und 2000 Schilling pro Briefchen weiter. In der Regel hatte sie ein Kilo auf Vorrat, das sie zu großen Teilen bei ihrer bettlägrigen Nachbarin ohne deren Wissen im Schrank versteckte. Kaum ein Tag verging mehr, „an dem ich nicht drauf war“, aber Sabine P. fand ihren Job dennoch „echt gemütlich“. Ständig war Besuch im Haus, und man redete sich bei Spritzern und Bier „den Mund fusselig“. Ihre Klientel kam aus allen Schichten. Bankbeamte in Businessanzügen saßen ebenso auf ihrer Couch wie Musiker, Boutiquenverkäuferinnen, Friseusen und Rechtsanwälte. „Der gemeinsame Kokainkonsum hat eine unglaublich demokratisierende Wirkung. Ungeachtet von IQ, Herkunft und Einkommen verschmelzen die Kokser zu einer Gemeinschaft.“ Angst hatte Sabine P. keine: „Ich habe nie gefragt, woher das Zeug kommt, und habe mich auf meine Instinkte verlassen.“ Bis ein geschasster Liebhaber ihre „Einkommensquelle“ zum Versiegen brachte: „Er verpfiff mich, dann haben s’ für eine Zeit mein Telefon angezapft, und dann kam der Hausbesuch.“ Auch die alte Dame im Stock unterhalb wurde damit polizeikundig. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, als die Zivilfahnder ihre Wohnung durchsuchten. „Meine Herren, mir ist nur wichtig, dass die Pullover auch wieder schön zusammengelegt werden!“, hatte sie gerufen.

Entzug. Nach ihrer Festnahme schlief Sabine P. erst einmal zwei Tage in ihrer Zelle. Der Entzug bereitete ihr kaum Probleme: „Im Gefängnis wird’s sowieso jeden Abend um zehn finster, da kann man das Koks eh überhaupt nicht brauchen.“ Nach drei Monaten U-Haft wurde Sabine P. wieder entlassen, musste sich aber einer langfristigen Therapie unterziehen. Ihren Lieferanten hat sie gerichtlich „entlastet“, einige Strafanzeigen konnte sie durch eine sichergestellte Anrufbeantworterkassette nicht verhindern. Die erste Therapiestation entpuppte sich als „Rohrkrepierer“: „Da saß so eine Tante, die sicherlich in ihrem Leben noch nicht einmal einen Joint geraucht hat, drückte mir einen Billigsdorfer-Filzstift in die Hand und sagte: „Jetzt malen S’ bitte einmal schön Ihre Lebenskurve.“ Nach einem Wechsel fühlte sie sich „von Profis mit Kompetenz und Verständnis behandelt“. Ab und an pfeift sich Sabine P. auch noch heute „eine Line“ ein – „aber ganz selten. Ich bin in Wahrheit nämlich gar kein Suchtmensch. Und eigentlich fühle ich mich nachher nie gut.“