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Koalition: Der Backhendl-Pakt

Der Backhendl-Pakt

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Jenen Sonntag beging Herbert Haupt zunächst als Privatmann. Am Vormittag des 19. Oktober gegen elf Uhr brachte er Verwandte aus dem fernen Indien, die auf Besuch in Wien weilten, zur Spanischen Hofreitschule. Gegen Mittag holte er sie wieder ab und führte sie zum Essen aus. Man speiste gemütlich in der Enoteca Firenze in der Singerstraße im ersten Bezirk.

Der angenehme Teil dieses Tages war für Haupt damit zu Ende. Nach dem Lunch bestieg er seinen Dienstwagen und ließ sich in die Steiermark kutschieren, ins Landesweingut Kitzeck in der Südsteiermark.

Dort hatte sich alsbald eine hochkarätige Runde zum konspirativen Gedankenaustausch eingefunden: Kanzler Wolfgang Schüssel, ÖVP-Klubchef Willi Molterer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider und der freiheitliche Klubobmann Herbert Scheibner. Als Gastgeberin fungierte Landeshauptmann Waltraud Klasnic.

Resignation. Bei steirischem Wein und Backhendl debattierten die schwarz-blauen Spitzenvertreter bis spät in die Nacht die Zukunft der Koalition in personeller und inhaltlicher Hinsicht. Herbert Haupt hatte bereits resigniert, und im Verlauf der Unterredung dürfte ihm endgültig klar geworden sein, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, den wochenlangen Kampf um das Amt des Vizekanzlers aufzugeben.

Um halb eins in der Früh rief Herbert Haupt Hubert Gorbach in Vorarlberg an.

Montagvormittag meldete sich das Sekretariat des Bundeskanzlers telefonisch in der Präsidentschaftskanzlei mit der Bitte um einen dringenden Termin beim Staatsoberhaupt. Gegen zehn Uhr, kurz nachdem Thomas Klestil seine Amtsräume betreten hatte, empfing er Wolfgang Schüssel und Herbert Haupt, die ihn über die geplante Regierungsumbildung informierten.

Nach Gorbachs Angelobung Dienstagmittag traten Schüssel sowie sein neuer und sein alter Vizekanzler gemeinsam vor die Presse. Der Rückzug sei freiwillig gewesen, erklärte Herbert Haupt, kraft seiner Generalvollmacht als Parteichef hätte ihn niemand zu irgendetwas zwingen können.

General ohne Soldaten. Was formal stimmt, aber nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Innerhalb der FPÖ hatte Haupt kaum mehr Verbündete, nach den Wahlniederlagen in Oberösterreich und Tirol war der Druck immer größer geworden. Ein FPÖ-Insider: „Er war wie ein General, dem die Soldaten davon-gelaufen sind.“

Auch der Regierungschef hatte seinen Vizekanzler fallen gelassen. Schüssels Glaube an Haupts Handlungsfähigkeit innerhalb der FPÖ war in den vergangenen Wochen gegen null gesunken. Auch auf der persönlichen Ebene hatte Haupt das Vertrauen des Kanzlers nicht eben gesteigert. Nach den Wahlen in Ober-österreich und Tirol hatte Haupt in der ORF-„Pressestunde“ die Wirtschafts-politik von Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein als „gescheitert“ bezeichnet. Und Haupts Entschluss, die Pressefoyers gegen den Willen des Kanzlers nicht mehr mit diesem gemeinsam zu absolvieren, kam einer öffentlichen Brüskierung Schüssels gleich.

Bei der Pressekonferenz Dienstagmittag nach der Angelobung Gorbachs lobte Schüssel Haupt dennoch als „großen So-zialreformer“ und bedankte sich für die Zusammenarbeit. Später in der Sitzung des ÖVP-Parlamentsklubs fiel Schüssels Lob nicht mehr ganz so enthusiastisch aus.

Nachdem er vor seinen Abgeordneten kurz über das Treffen in der Südsteiermark referiert hatte, stand Motivation auf dem Programm. Schüssel bat die schwarze Schar, nun die Ärmel hochzukrempeln. Die Abgeordneten wurden aufgefordert, in der anstehenden Plenarsitzung Aufbruchstimmung, Begeisterung und gute Laune zu vermitteln.

Die oberösterreichischen Mandatare hatten die gute Stimmung allerdings kurzzeitig ein wenig vermiest. In ihren Wortmeldungen in der Klubsitzung monierten sie, dass das enttäuschende Ergebnis bei den Landtagswahlen auf die zu raschen Reformen der Regierung und die Voest-Privatisierung zurückzuführen sei. Wolfgang Schüssel wurde heftig: Die Pensionsreform sei ausreichend debattiert worden, und die rasche Privatisierung der Voest hätten schließlich die Oberösterreicher selbst gefordert.

Schüssels neuer Vizekanzler Hubert Gorbach gilt in der ÖVP als kooperativ und verlässlich und dürfte die Arbeit der Koalition auch nach außen besser verkaufen als der oftmals konfuse Herbert Haupt. Dass Gorbach als Infrastrukturminister aufgrund seines Monsterressorts ziemlich ausgelastet ist und ihm für die Profilierung neben dem Kanzler nicht viel Zeit bleiben wird, dürfte Schüssel durchaus gelegen kommen.

Die Regierung hat der Kanzler mit dem Treffen in Kitzeck, bei dem ein Neustart der Koalition vereinbart wurde, vorerst gerettet – womöglich im letzten Augenblick: Die Kärntner FPÖ-Abgeordneten hatten angedroht, bei der Parlamentssitzung Mittwoch vergangener Woche mit den Oppositionsparteien für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gegen Karl-Heinz Grasser zu stimmen.

Zorn auf Haider. Nach der Demontage Haupts zogen die Kärntner zurück und fügten sich damit den Interessen Haiders, der nach den wochenlangen Attacken gegen Grasser nun wieder den Schongang eingelegt hat.

Auch die Gesprächsbasis zwischen Haider und Kanzler Schüssel dürfte sich deutlich verbessert haben. Seit einem Treffen bei der Klagenfurter Messe Mitte September, so wird berichtet, würden die beiden wieder regelmäßig miteinander sprechen. Kein Wunder: Der eine will Kanzler, der andere mithilfe der ÖVP Landeshauptmann bleiben. Waltraud Klasnic, die Einzige in der ÖVP, zu der sowohl Schüssel als auch Haider ein vertrauensvolles Verhältnis pflegen, dürfte dabei moderierend eingegriffen haben.

Mit seinen treuesten Anhängern von der Haider-Fangemeinschaft „Club Jörg“ hat es sich der Landeshauptmann allerdings gründlich verscherzt. Dass Haupt Sozialminister bleibt und Haider plötzlich wieder auf Kuschelkurs mit Karl-Heinz Grasser einschwenkte, stieß manche Haider-Fans vor den Kopf. Einige Mitglieder forderten Anfang vergangener Woche sogar die Umbenennung ihres Vereins.