Herbert Lackner

Koalition: Schwarz/Blorange – ein Nachruf

Schwarz/Blorange – ein Nachruf

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Es erschien uns einigermaßen folgerichtig, dass die Demonstranten ihre Orangen und Tomaten über unsere Köpfe hinweg auf den Ballhausplatz schleuderten, während sich die neue Regierung unter unseren Füßen durch einen Keller zu ihrer Angelobung stahl. Im Journalistentrupp vor dem Kanzleramt überraschte der Aufruhr kaum jemanden in jener kalten Mittagsstunde des 4. Februar 2000 – so unterschiedlich die Blätter politisch auch gepolt waren, die hier ihre Berichterstatter postiert hatten.

Wolfgang Schüssel hatte eben die Partei eines Mannes zu Regierungsehren erhöht, der der Zwangsarbeit-Wirtschaft der Nazis etwas abgewinnen konnte, der „endlich Ordnung in den Redaktionsstuben“ schaffen wollte, der mit Hetzplakaten gegen Künstler loszog und schließlich als erster Populist Europas mit Anti-Ausländer-Kampagnen dröhnende Wahlsiege einfuhr.
Für Unbehagen und Sorge gab es also gute Gründe.

Als wir vom Ballhausplatz abzogen, fragte mich ein Kollege von einer slowenischen Zeitung, ob in Österreich nun wohl Lager errichtet würden.
Natürlich war die Stimmung in jenem Februar 2000 manchmal etwas hysterisch, aber das prägende Merkmal der ersten Rechts-Koalition der Zweiten Republik war damals schließlich noch nicht zu erkennen: die erbarmenswürdige Schwäche der FPÖ. Jörg Haiders Partei war in ihren sechs Regierungsjahren vor allem mit sich selbst beschäftigt – für das Ordnungschaffen in den Redaktionsstuben blieb da keine Kraft mehr. In ihrem zweiten Regierungsjahr verstümmelte sich die FPÖ, in ihrem fünften spaltete sie sich, nach sechs Jahren wurde sie von den Österreichern aus der Regierung gewählt. Der Vizekanzler geht zu den Seilbahnen, die Sozialministerin wohl bald in die Rente, die Justizministerin ist knapp vor Torschluss abgesprungen. Der Letzte dreht das Licht ab.

Vier Infrastrukturminister hatte die Partei in sechs Jahren verbraucht, je drei Vizekanzler und Justizminister. Nach 2002 regierte nur noch die ÖVP, der Partner lief dankbar mit. Er spielte keine Rolle mehr.

Seltsam, wie unfähig das politische Großtalent Haider im Wahrnehmen der Chance war, die ihm die Regierungsbeteiligung bot. In den Monaten vor Knittelfeld hatten Susanne Riess-Passer und Karl-Heinz Grasser die FPÖ tatsächlich beinahe zu einer wirtschaftsliberalen Partei gestylt, die der SPÖ in gesellschaftspolitischen Fragen oft näher stand als der Volkspartei. Für 15 Prozent hätte das bei Wahlen wohl gereicht.

Haider – und damals mit ihm Strache, Mölzer und Stadler – wollte es anders.
Die ÖVP, geeicht in 38 Regierungsjahren, fing den Koalitionspartner meist auf und nützte seine Schwäche. Im Spiel um die Macht konnten die Freiheitlichen nie mithalten: Wichtige Positionen holte sich die ÖVP, die FPÖ wurde mit oft einträglichen, aber wenig einflussreichen Pöstchen abgefunden. Politisch blieb für die Partei, die dem „kleinen Mann“ so viel versprochen hatte, kein Spielraum: Die bei Testwahlen immer mehr verfallenden Freiheitlichen mussten die Politik der ÖVP in jeder Konsequenz mittragen, wollten sie nicht Neuwahlen riskieren.

Dabei entstand nicht nur Schlechtes: An der Pensionsreform würde selbst eine rot-grüne Regierung nur zarte Retuschen anbringen. Die neue Abfertigung ist eine sozialpolitische Errungenschaft, die Europapolitik war passabel und unspektakulär. Echte Gefahr für die Demokratie in Österreich ging von dieser Regierung nie wirklich aus. Es gab hässliche Untergriffe, etwa das Niederbügeln der Spitzelaffäre und die Änderung des Hochschülerschaftswahlrechts – der Vergleich mit dem Berlusconismo hinkt dennoch.

Und doch mangelte es dieser schwarz-blauen Koalition an Modernität ebenso wie an Mitgefühl mit jenen, die in den modernen Zeiten nicht mitkommen, es gebrach ihr an Idealen wie an großen Ideen. Das Nulldefizit schien in dieser Geisteslandschaft bar jeder Faszination fast schon wie ein visionärer Gedanke.
So verlief sich schließlich alles, was an diesem dramatischen Februartag am kalten Ballhausplatz begonnen hatte, in Normalität und manchmal sogar in Banalität. Niemand in Europa fürchtet sich noch vor dieser Regierung, die internationalen Medien haben das Interesse an Jörg Haider schon vor geraumer Zeit verloren. Wolfgang Schüssel hat unter den EU-Regierungschefs einen dem Vertreter eines kleinen Landes zukommenden Status – auch, weil er viele seiner Kontrahenten von damals einfach ausgesessen hat.

Bloß das Ende schlug aus der Art: Dass eine zu Beginn größere Regierungspartei innerhalb von sechs Jahren einfach vergeht, ist ein Novum in der politischen Geschichte.

Woran also wird man sich später erinnern? Am besten wohl, es denkt sich jeder seinen Teil.