Koalition der Unwilligen

Die Irak-Kriegsallianz bröckelt.

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Militärisch bedeutet es nicht viel. Symbolisch ist es aber eine Katastrophe für George W. Bush und Co: Die Entscheidung Spaniens zum Rückzug seiner Truppen aus dem Irak scheint eine Kettenreaktion hervorgerufen zu haben. „Die Koalition bleibt stark, und die Entschlossenheit ist fest“, verkündet trotzig das Weiße Haus. Aber es ist unübersehbar: Die Koalition der Willigen bröckelt.

Die wenigen Verbündeten, die Washington und London in der Irak-Frage hatten, setzen sich sukzessive ab. Nach den Spaniern wollen nun auch die Honduraner ihre Soldaten nach Hause bringen. Die Boys der DomRep sollen ebenfalls demnächst aus der Wüste am Golf in die Karibik heimkehren. Die Ukrainer planen zwar keinen Abzug, aber sie zogen, konfrontiert mit den irakischen Freischärlern, aus Al-Kut ab. Die US-Truppen müssen die Stadt zurückerobern. Den Kasachen wird es gleichfalls ungemütlich. Und die Polen haben ihre Patrouillentätigkeit eingestellt. Zu Hause in Warschau deutete der im Abgang befindliche Premier Leszek Miller an, auch ein kompletter Truppenabzug aus dem Zweistromland sei in Erwägung zu ziehen.

Um es vollständig zu machen: Thailand will auch nicht mehr so recht mitmachen. Und dem treuesten der treuen Bush-Freunde, Silvio Berlusconi, geht es auch nicht mehr so gut: Nach der vom Fernsehen übertragenen Ermordung eines entführten Landsmannes in Bagdad befürwortet mittlerweile eine Mehrheit der Italiener, Berlusconi möge es doch dem Spanier Zapatero nachmachen und die anglobritische Kriegsallianz schleunigst verlassen.

Ein wenig Schadenfreude darf man doch hegen. Da hatte seinerzeit der bärbeißige Pentagon-Chef Donald Rumsfeld das „neue Europa“ – die Dynamischen und Mutigen aus dem Osten und dem Süden des Kontinents – dem „alten Europa“ gegenübergestellt: Die sich um die deutsch-französische Achse gruppierenden Länder seien jenes müde stagnierende Europa, das die Kraft und den Willen zum Kampf gegen das Böse auf der Welt nicht mehr aufbringe.

Sosehr man das politische Spaltungsmanöver hinter den Rumsfeld-Tiraden erkannte, eine gewisse Plausibilität schien seine polemische Unterscheidung doch zu haben. Man konnte sich zwar damit beruhigen, dass die Völker der EU-Neuzugängerstaaten ohnehin wie die alten Mitglieder nichts für den Krieg am Golf übrig hatten und sich nur die politischen Eliten Osteuropas auf die martialische Bush-Politik hatten vergattern lassen – aus Dank für den amerikanischen Antikommunismus der Kalte-Kriegs-Zeit und für die so schnelle Aufnahme in das NATO-Bündnis. Die Spaltung Europas war dennoch real vorhanden. Das hatte sich ja nicht zuletzt bei der Auseinandersetzung um die EU-Verfassung gezeigt. Nun freilich wird deutlich, dass die Kluft zwischen dem alten anti- und dem neuen proamerikanischen Europa so tief nicht ist, dass der amerikanische Versuch, die EU auseinander zu dividieren, nicht funktioniert hat. Im Juni wird aller Voraussicht nach jene europäische Konstitution doch unterschrieben werden, deren Beschlussfassung noch im Dezember gescheitert war.

Für die Bush-Administration ist das alles sehr bitter. Nicht nur wird nun vor der ganzen Welt klar, dass die Koalition der Willigen immer schon eine dilettantisch, mittels Druck und Erpressung zusammengezimmerte Kriegskoalition war, die keine feste politische Basis besaß. Auch was die Zukunft betrifft, sind das für Washington äußerst schlechte Vorzeichen. Denn gerade in dem Moment, in dem die Bush-Regierung merkt, dass sie mittelfristig die Bündnispartner – auch militärisch – dringend braucht, will Amerika aus der irakischen Bredouille herauskommen, wird deutlich: Auf absehbare Zeit kann keine europäische Regierung ihrer Bevölkerung ein echtes, robustes Engagement am Golf verkaufen. Offenbar funktioniert der US-Multilateralismus à la carte nicht.

Tief gespalten würde das große Europa am 1. Mai das Licht der Welt erblicken, raunten lange Zeit die Pessimisten. Und es schien so, als ob sie die Realität auf ihrer Seite hätten. Nun ist es ganz anders gekommen. Europa ist erstaunlich geschlossen.
Ein wenig verdunkelt sich freilich das lichte europäische Panorama, blickt man gen England. Da haben die wüsten EU-Gegner der Tories und des Boulevards gepunktet. So sieht es zumindest auf den ersten Blick aus. Sie haben den proeuropäischen Premier Tony Blair, der durch seine unglaubwürdige Irak-Kriegspolitik und seine geradezu obszöne Treue zu George W. geschwächt ist, dazu gebracht, ihre Forderung zu erfüllen: Blair verkündete vergangene Woche, ein Referendum über die europäische Verfassung abhalten zu wollen – etwas, was er bisher vehement abgelehnt hatte. Die Konservativen frohlocken. Sie kalkulieren nun, sich mit ihrer Abscheu vor dem europäischen Superstaat bei der Bevölkerung durchzusetzen. Gelingt aber Blair der Coup, die Abstimmung zu einem Votum für oder gegen die Teilnahme am europäischen Projekt zu machen, dann könnten die Proeuropäer als Sieger hervorgehen. Denn austreten aus der EU wollen auch die Briten, denen der Kontinent so suspekt ist, nicht.

Auf jeden Fall hat Tony Blair endlich den Kampf für eine europäische Zukunft seines Landes aufgenommen, den er bisher immer zu vermeiden trachtete. Und so wird die Frage der EU aus den Tiefen des dumpfen Ressentiments auf die Höhe einer breiten und vernünftigen politischen Diskussion gehoben. Gewiss: Ein britisches Referendum über die Verfassung ist riskant. Geht es aber gut aus, wäre das eine gewaltige Stärkung Europas. Wie überhaupt: Europa scheint es besser zu gehen, als allgemein angenommen wird. Nicht zuletzt dank George W. Bush – siehe oben.