Koalitionen: Reger Pfingstverkehr

Schwarze und Grüne erinnern sich ihres Flirts

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Er hoffe auf Schwarz-Grün, bekannte der Filmemacher Georg Riha. „Es wäre sogar das Vernünftigste“, pflichtete der Kabarettist Thomas Maurer bei. „Spannend“ fand dies auch Skisprung-Philosoph Toni Innauer. Selbst der Musiker und Menschenrechtsaktivist Willi Resetarits hielt die öko-bürgerliche Variante für zumindest „interessant“. Gynäkologie-Koryphäe Peter Husslein, 1999 noch Geburtshelfer von Schwarz-Blau, tat kund: „Das konservative und das bürgerliche Weltbild gehen gut miteinander.“ Und Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, warnte gar: „Jeder Grüne, der Schwarz-Grün verhindert, fördert Schwarz-Blau.“

So sprach man im Februar 2003. Intellektuelle, Bauern, Unternehmer, Künstler, Beamte und Chefredakteure wie Armin Thurnher („Falter“) oder Gerfried Sperl („Der Standard“) – alle waren plötzlich bezaubert von der schwarz-grünen Utopie, einer „Koalition aus wirtschaftspolitischer Vernunft und kulturpolitischer Offenheit“, wie in wohlmeinenden Kommentaren zu lesen war. Und kaum ein Spitzen-Schwarzer, der dieser Paarung nicht „Charme“ attestiert hätte.

Doch im Morgengrauen des 16. Februar 2003 zerstoben alle Hoffnungen. Erschöpft und zerknirscht hatte Alexander Van der Bellens Team nach 16 Stunden den Verhandlungstisch im Bundeskanzleramt verlassen. Wahlsieger Wolfgang Schüssel hatte den Grünen zu viel abverlangt – vom Kauf der umstrittenen Eurofighter bis zur schmerzhaften Pensionsreform. Die grüne Führung konnte da nicht mehr mit. Die eigene Basis, vor allem jene in Wien, die schon die Aufnahme der Verhandlungen vehement abgelehnt hatte, hätte wohl ein grünes Knittelfeld inszeniert.

Mittlerweile sieht die schwarz-grüne Welt wieder rosiger aus.

In der Regierungsarbeit herrscht Stillstand, ÖVP-Granden murren offen über die laschen und unberechenbaren blauen Koalitionspartner. (Die) Alternativen sind gefragt.

Rote Sektion. „Die ÖVP macht das sehr schlau. Sie breitet die Arme nach allen Seiten aus“, sagt ein führender Grüner. „Die SPÖ macht das Gegenteil. Sie arbeitet mit beiden Händen daran, so viel verbrannte Erde zu hinterlassen, dass sie auch die rot-grüne Option nicht mehr hat.“ Die Grünen würden von der SPÖ herablassend wie eine rote Sektion behandelt. „Man glaubt, wir sind eh allseits verfügbar“, so die stellvertretende Grünen-Chefin Eva Glawischnig. Für den bald vakant werdenden Posten des Rechnungshofpräsidenten etwa hatte Alfred Gusenbauer als „Oppositionskandidaten“ jüngst ausschließlich Sozialdemokraten vorgeschlagen.

Habituell sind Schwarze und Grüne einander durchaus ähnlich. Prima vista gehen Van der Bellen, Eva Glawischnig, aber auch Vertreter der zweiten Reihe wie Gesundheitssprecher Kurt Grünewald als Bürgerliche durch.

Auch jene, die, wie Budgetsprecher Werner Kogler, von den Sozialdemokraten zum rot-grünen Lager gezählt werden, halten derzeit Distanz zu den Genossen: „Die scheinbar programmatische Nähe zur SPÖ wird für eine Koalition nicht ausreichen“, so die aktuelle Nummer drei in der Grünen-Hierarchie. Seltsamerweise sei die SPÖ überall dort für Rot-Grün, wo es sich nicht ausgeht, etwa in Oberösterreich; in Salzburg oder Kärnten habe sie davon nichts wissen wollen. Kogler: „Ich plädiere für das Normale: dass man sich mehrere Optionen offen hält.“

Der Steirer war bereits während des Nationalratswahlkampfs 2002 öffentlich dafür eingetreten, über Schwarz-Grün zumindest nachzudenken. In seiner Heimat hatten ÖVP und Grüne – gegen Widerstände von Rot und Blau – den Bau des Grazer Kunsthauses durchgesetzt. Allerdings, so Kogler, sei im Moment eine Zusammenarbeit ausgeschlossen: „Die steirische ÖVP ist wegen der Estag-Affäre in einem wirklich verwahrlosten Zustand.“

Das Role-Model für Schwarz-Grün ist Oberösterreich. Seit Oktober 2003 wird das Land ob der Enns von einer öko-konservativen Koalition regiert. „Ich bin echt positiv überrascht“, sagt der grüne Landesrat Rudi Anschober. „Beide Seiten haben gelernt, die Grenzen des anderen mitzudenken.“ Jüngstes Beispiel: Die Innkreisautobahn sollte eine dritte Spur erhalten. Für die Grünen eine Umweltsünde. Die Schwarzen verhinderten aus Koalitionsräson den Bau. „Das war für die ÖVP sicher nicht leicht“, lobt Anschober.

Staunen. Auch im gesellschaftspolitischen Bereich komme er aus dem Staunen nicht heraus: Das erste Antidiskriminierungsgesetz, die gemeinsame Klage gegen das Asylgesetz oder die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit – all dies sei mit der ÖVP möglich. Anschober: „Die oberösterreichische ÖVP ist sicher liberaler als die Bundes-ÖVP.“

Und ein Bundes-Grüner schwärmt: „Die oberösterreichischen Schwarzen sind im Vermarkten ihrer Themen und in der Kommunikation einfach perfekt. Da können wir viel lernen.“

Rudi Anschober stöhnt mittlerweile nicht nur über eine 100-Stunden-Woche in Linz („Aber es macht einen Riesenspaߓ), er muss auch immer wieder nach Wien, um in den Grünen-Gremien über das richtige Verhalten im Regierungsfall zu dozieren. „Da sehen viele unserer eher basisorientierten Funktionäre erst, welches Tempo notwendig ist, wenn man in der Regierung sitzt“, berichtet ein Teilnehmer. „Da müssen schnell Entscheidungen getroffen und auch Personalpakete geschnürt werden.“ Speed kills – das aktuelle Lernprogramm bei den Grünen.

Die Sympathien in der Volkspartei für die Grünen sind wiederum keineswegs gleichmäßig verteilt. Während etwa Innenminister Ernst Strasser den Grünen attestiert, „inhaltlich gut vorbereitet zu sein und im Gegensatz zu den Sozialdemokraten genau zu wissen, was sie wollen“, waren die Attacken gegen Finanzminister Karl-Heinz Grasser und dessen Staatssekretär Alfred Finz nicht dazu geeignet, das schwarz-grüne Verhältnis nachhaltig zu verbessern.

In sachpolitischen Fragen fanden Schwarz und Grün auf Bundesebene in den letzten Wochen mehrmals zueinander – wobei die ÖVP den eigenen Koalitionspartner FPÖ mitunter ausbremste.

Konsens. Beispiel Tierschutz: In der heiklen Frage des schöpfungsgerechten Umgangs mit Huhn und Rind scherte die grüne Abgeordnete Brigid Weinzinger aus dem Oppositionsbündnis aus und signalisierte der ÖVP Kompromissbereitschaft. Am Ende stand eine Allparteieneinigung – nur die blauen Bauernvertreter erhoben Einspruch.

Beispiel Bundesheerreform: Der grüne Peter Pilz stärkt Verteidigungsminister Günther Platter den Rücken und engagiert sich in der Reformkommission druckvoll für die Neuausrichtung der Streitkräfte. Trotz inhaltlicher Differenzen sprechen sich Schwarze und Grüne nunmehr beinahe im Gleichklang für eine Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate aus, während die FPÖ dies bisher strikt ablehnt.

Beispiel Mediengesetze: Eigentlich hätten vergangenen Mittwoch drei Novellen zur ORF-Kontrolle und zu Privatradio und -fernsehen den Ministerrat passieren sollen. Doch Justizminister Dieter Böhmdorfer opponierte. Dass die Medienbehörde KommAustria dem ORF in Zukunft genauer auf die Finger schauen soll, lehnt der Blaue ab. Im Gegensatz zu den Grünen: Mediensprecher Stefan Schennach kann den vom Kanzleramt geplanten Änderungen durchaus positive Seiten abgewinnen.

Stünden die Grünen also für einen fliegenden Wechsel parat, wenn Schwarz-Blau noch einmal vorzeitig die Luft ausginge? „Nein“, sagt Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. „Wir stehen nicht zur Verfügung.“ Zuerst müsse es Wahlen geben. Dann sei man offen – für ÖVP und SPÖ.

Differenzen zwischen Schwarz und Grün bestehen vor allem in familien- und sozialpolitischen Fragen. So lehnten die Grünen vergangenen Mittwoch im Nationalrat die von den anderen drei Parteien gemeinsam beschlossene Teilzeitarbeit für junge Eltern ab. Auf die Kritik von Eva Glawischnig, die der Regierung Versagen beim Kampf gegen die slowakischen AKWs vorhielt, reagierte der Kanzler scharf. Sozialsprecher Karl Öllinger attackiert ohnehin bei fast jedem Auftritt im Plenum die Politik von Bundeskanzler, Sozial- und Wirtschaftsminister.

Deutlich sichtbar wurden die Bruchlinien zwischen Schwarz und Grün bei der Bundespräsidentenwahl. Zwar gaben Van der Bellen, Glawischnig & Co keine explizite Wahlempfehlung ab, an der prinzipiellen grünen Sympathie für Heinz Fischer bestand allerdings kein Zweifel. Benita Ferrero-Waldner machte ihrerseits „linke Emanzen“, die sie wohl auch im grünen Lager ortete, für die Niederlage verantwortlich.

Die jüngsten schwarz-grünen Annäherungen, zweieinhalb Jahre vor den nächsten Nationalratswahlen, sind daher wohl vor allem taktischer Natur – ein Probegalopp für künftige Allianzen einerseits, Positionierung im aktuellen Parteienwettbewerb andererseits.

Wolfgang Schüssel weiß seit jeher, dass in der Politik jener keine Option besitzt, der nur eine hat. Mit dem Atout, vor einer Liaison mit den Blauen nicht zurückzuschrecken, konnte er zum Jahreswechsel 1999/2000 die SPÖ in die Opposition verhandeln. Umgekehrt signalisierte er den Freiheitlichen durch die Gespräche mit den Grünen nach den Wahlen 2002, nicht allein von ihrem Wohlwollen abhängig zu sein. Die demonstrative Offenheit der Volkspartei für ein schwarz-grünes Experiment spricht nebenbei jüngere, liberale Wähler im urbanen Bereich an, denen die ÖVP „Marke Andreas Khol“ zu eng ist.

Das schwarz-grüne Frühlingserwachen könnte also ebenso rasch wieder vorbei sein, wie es ausgebrochen war. Am Rande der Parlamentssitzungen am Mittwoch und Donnerstag wurde gemunkelt, die Stimmung zwischen den Klubchefs Willi Molterer und Alexander Van der Bellen sei in der Personalie Rechnungshofpräsident zuletzt deutlich abgekühlt, was allerdings von beiden Seiten dementiert wird: Man sei an einer gemeinsamen Lösung aller Parteien interessiert.

Sollte allerdings ein klar punzierter schwarz-blauer Kandidat das Rennen machen, würden die Grünen wohl schwere Geschütze auffahren. „Dann machen wir Rambazamba-Oppositionspolitik“, so ein Grüner.

Techtelmechtel. So mancher Schwarzer traut dem Techtelmechtel ohnehin nicht ganz. Vor allem das Verhalten der Grünen in der Staatsreformdebatte wird skeptisch beäugt. Ein ÖVP-Delegierter: „Ich schließe nicht aus, dass die Grünen in einigen Wochen mit Pomp und Trara aus dem Verfassungskonvent ausziehen werden.“

Beim blauen Koalitionspartner werden die kleinen Seitensprünge der ÖVP durchaus wahrgenommen. FPÖ-Generalsekretärin Magda Bleckmann: „Bei manchen in der Volkspartei gibt es sicher schwarz-grüne Überlegungen.“ Jener Mann, der einst mit Wolfgang Schüssel die Wende einleitete, spitzte seinem Naturell entsprechend zu: Die Kollegen in Wien müssten „sich darauf einstellen, dass an einer neuen Konstellation gebastelt wird, weil die ÖVP das Monopol an Optionen durch die blau-rote Koalition in Kärnten verloren hat“, so der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider in einem „News“-Interview.

Haiders Diagnose: „In der ÖVP beginnt die auffallend hektische Suche nach einem grünen Koalitionspartner.“

Womit sich Haider trösten kann: Laut jüngsten Umfragen haben ÖVP und Grüne derzeit keine gemeinsame Mehrheit.