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Kommunikation: Freie Rede

Web-Telefonie wird zum Massenphänomen

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Der 12. September 2005 war ein guter Tag für Janus Friis und Niklas Zennström, die Gründer und Geschäftsführer von Skype – jener Plattform, die kostenloses Telefonieren über das Internet ermöglicht. Um 2,6 Milliarden Dollar verkauften die beiden Schweden an diesem Tag ihr Unternehmen an das Web-Auktionshaus eBay. „Wir wollen Skype zum größten und besten Kommunikationsunternehmen der Welt machen“, erklärte Zennström anlässlich der Übernahme.

Starke Worte für ein Unternehmen, das erst drei Jahre alt ist, im laufenden Jahr nach eigenen Angaben einen Umsatz von etwa 60 Millionen Dollar erwirtschaften will und das keineswegs Gewinne schreibt. Dennoch sind Zennströms Ambitionen nicht gänzlich utopisch. „Es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis Internettelefonie die herkömmliche Telefonie verdrängen wird“, prognostiziert Karim Taga, Telekom-Experte beim Beratungsunternehmen Arthur D. Little. „Unternehmen wie die Telekom Austria oder die Deutsche Telekom laufen Gefahr, die Hälfte ihrer Einnahmen im Festnetz zu verlieren und zu Restrukturierungsfällen zu werden“, meint Cornelius Anger, Telekommunikationsexperte beim Beratungsunternehmen A. T. Kearney.

Die Skype-Software wurde mittlerweile auf fast 174 Millionen Computern installiert und wird weltweit von geschätzten 55 Millionen Menschen zumindest fallweise zur Kommunikation verwendet. Pro Tag verzeichnet der Web-Service rund 150.000 neue Anwender – ohne wirklich Geld in Ausstattung und Marketing investieren zu müssen. Die Kosten, um einen neuen User anzulegen, liegen bei 0,01 Dollar. Denn Skype-Benutzer bringen die einzig notwendige Hardware-Ausstattung, einen Computer, bereits mit, müssen nur noch eine Software aus dem Internet laden und können einander dann gegenseitig zum „Skypen“ einladen.

Die Kommunikation bei Skype läuft nach dem Prinzip Peer-to-Peer: direkt von Rechner zu Rechner. Jeder Teilnehmer ist zugleich ein Teil des Netzwerks mit Millionen von Verbindungen. Die Qualität nimmt, anders als bei zentralen Servern, mit der Teilnehmerzahl nicht ab, sondern zu: Jeder Nutzer stellt dem System minimale Rechenleistungen zur Verfügung, weshalb keine Server als Vermittler im Netz notwendig sind. Diesen dezentralen Ansatz erprobten Zennström und Friis bereits mit Kazaa, jener Plattform, die den Online-Tausch von Musikstücken zwischen einer beliebig großen Anzahl von Nutzern ermöglichte.

Das Skype-Verfahren stellt damit ziemlich exakt das Gegenteil herkömmlicher Geschäftsmodelle der Telekom-Branche dar, welche gewaltige Server-Infrastrukturen benötigen. Angesichts dieses Umstandes meint Zennström gar kokett: „Wir wollen so wenig Umsatz pro User machen wie nur möglich, dafür wollen wir aber so viele User wie möglich.“

Freilich will und muss auch Skype Geld verdienen – aber eben nicht im Wege der kostenlosen Internettelefonie. Umsätze werden indes mit kostenpflichtigen Zusatzdiensten generiert. Diese bestehen zum Beispiel in einer Anrufbeantworter-Funktion oder im Service Skype-In, welcher der Kombination von Internet- und herkömmlicher Telefonie dient: Dabei erwirbt man eine Telefonnummer mit Landesvorwahl, über welche Festnetz- und Mobilfunkteilnehmer einen Skype-Benutzer anrufen können.

Anbieter-Szene. Skype ist allerdings weder der erste noch der einzige Anbieter so genannter Voice-over-IP-Lösungen (VoIP) – von Telefongesprächen, die mittels Internetprotokoll übertragen werden. Das US-Unternehmen net2phone beispielsweise bietet ein Modell an, das jenem von Skype ähnelt und mit dem man schon vor neun Jahren um fünf Cent in die USA telefonieren konnte (siehe Kasten Seite 73).

Wirklich durchsetzen konnte sich bislang jedoch keiner dieser VoIP-Anbieter. Das lag zum einen an der vergleichsweise schlechten Sprachqualität der Telefonate und zum anderen daran, dass viele der Gespräche von Firewalls blockiert wurden und deshalb erst gar nicht zustande kamen. Diese Probleme konnten mittlerweile jedoch behoben und die Gespräche gleichzeitig mit einer so genannten End-to-End-Verschlüsselung vor dem Abhören geschützt werden. Auch das globale, dezentrale Benutzerverzeichnis, das den Teilnehmern jederzeit anzeigt, wer aus ihrem persönlichen Kontaktverzeichnis online ist, hat erheblich zum Erfolg von Skype beigetragen.

Neben der reinen Computer-zu-Computer-Telefonie ist es aber auch möglich, mit herkömmlichen Telefonen über das Internet zu telefonieren: Ein Adapter zwischen Internetanschluss und Telefon verwandelt Sprache in Datenpakete, die über das Netz versendet werden. Inode, ein österreichischer Anbieter von Breitband-Internet und Telekom-Diensten, der VoIP vor zwei Jahren nach eigenen Angaben in Österreich erstmals zur Verfügung gestellt hat, verzeichnet mittlerweile 15.000 Kunden.

Auch wenn es Experten zufolge noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis weltweit das Gros aller Telefonate im VoIP-Verfahren abgewickelt wird, beginnt die Technologie der Telekom-Industrie schon heute zuzusetzen. Denn die Gesprächsdauer und die Entfernung zwischen den Telefonierenden, die zurzeit noch die Hauptfaktoren für die Höhe der Telefonkosten sind, sind bei VoIP schlicht kein Thema. „Jene Anbieter, die hauptsächlich von Sprachtelefonie leben, werden am meisten leiden“, meint Telekom-Experte Taga. Und das sind so gut wie alle Festnetz- und Mobilfunkanbieter.

Kundeninitiativen. Den Festnetzanbietern ist durchaus bewusst, dass sie aufgrund neuer Konkurrenz schwierigen Zeiten entgegengehen. Telekom Austria – das Unternehmen hat in den vergangenen zwei Jahren rund 200.000 Festnetzkunden verloren – arbeitet bereits eifrig an einer Breitbandinitiative und an neuen Diensten, um die Kunden zu halten. „Für uns ist es notwendig, neue Produkte und zusätzliche Leistungen anzubieten“, sagt Stefan Tweraser, Marketing- und Produktleiter von Telekom Austria. „Noch haben wir die Leitungen in die Häuser, und diesen Vorteil müssen wir nutzen.“

Zudem entwickeln Telekom-Anbieter allmählich Flat-Rate-Modelle für herkömmliche Telefonie, durch welche die einzelne Gesprächsminute für die Kunden fast kostenlos sein soll. „Wenn der Preis stimmt, ist es dem Endkunden egal, ob er über VoIP oder eine herkömmliche Leitung telefoniert“, glaubt Berater Cornelius Anger.

Ähnlich sehen dies auch einzelne Mobilfunkanbieter. Michael Krammer, Geschäftsführer des viertgrößten österreichischen Mobilfunkbetreibers tele.ring, hält sein Unternehmen bereits für ausreichend gerüstet für die Internettelefonie: „Bei uns findet Mobilfunk schon jetzt um null oder einen Cent statt“, behauptet Krammer. „Warum sollte jemand mit einem Kopfhörer vor einem Computer sitzen, wenn er das mit seinem Handy im Garten genauso gut kann?“ Freilich gelten die besonders günstigen tele.ring-Tarife keineswegs für alle Tageszeiten, nicht notwendigerweise für alle Netze und oft nur für eine beschränkte Anzahl von Gesprächsminuten.

Intelligenzfrage. Branchenexperten sehen daher für Handynetzbetreiber ebenfalls Probleme heraufdämmern: „Auch der Mobilfunk hat keine so erfreuliche Aussicht“, sagt Anger. „Wenn die Endgeräte intelligenter werden, zahlt man auch im Mobilfunk nur noch für den Internetzugang.“ Der Consulter Arthur D. Little hat errechnet, dass die Internettelefonie den Mobilfunkbetreibern 15 Prozent an Umsatzeinbußen durch entgangene Gesprächsminuten und 22 Prozent durch wegfallende Roaming-Gebühren verursachen wird.

Hutchinson, Österreichs einziger reiner UMTS-Anbieter, will für die Herausforderung dennoch gewappnet sein: „Dass wir mit Voice immer weniger Umsatz machen, wissen wir alle“, sagt Maritheres Paul, Pressesprecherin des am Markt unter der Marke „3“ auftretenden Unternehmens. „Deshalb bieten wir differenzierte Content-Pakete an.“ Der deutsche Mobilfunkbetreiber E-Plus hingegen hat den Stier gleich bei den Hörnern gepackt und einen Deal mit Skype abgeschlossen: E-Plus-Kunden können die Skype-Software auf ein UMTS-fähiges Endgerät herunterladen und innerhalb der Skype-Gemeinde telefonieren. Andere Anbieter kontern hingegen mit eher merkwürdigen Strategien: Vodafone Deutschland etwa versucht seinen Kunden gar mittels eines Passus in den Geschäftsbedingungen den Skype-Zugang zu verbieten.

Profiteure. Als klare Gewinner des VoIP-Trends gelten neben Anbietern wie Skype selbst vor allem die Kabel- und Breitbandnetz-Betreiber. Sie liefern den Kunden bereits heute Fernsehen und Unterhaltungsangebote ins Haus. Im Gegensatz zu Telekom-Anbietern sind sie nicht von Gesprächsminuten abhängig – und können die Telefonie quasi als Draufgabe mitliefern. „Wir benutzen VoIP als Türöffner“, sagt Gabriele Maier von Inode. Und Skype-Mitgründer Zennström kommentiert: „Was sich für die einen als großartiges Geschäftsmodell herausstellt, ist für die anderen ein schreckliches.“

Bremsen könnten die rasante Ausbreitung von VoIP nach Expertensicht allenfalls noch nationale und internationale Regulierungsbehörden. Ein noch nicht gelöstes Problem stellt etwa die Tatsache dar, dass Anrufe mit Skype nur möglich sind, wenn der Computer eingeschaltet ist. In Notfällen, wenn Feuerwehr oder Rettung verständigt werden müssen, kann dies zu kritischen Zeitverzögerungen führen. Umso mehr, als Skype den Anruf nicht – so wie normale Netzbetreiber – automatisch an die regional zuständige Polizeidienststelle oder Feuerwehrzentrale weiterleitet. Generell ist es bei VoIP nur schwer möglich, herauszufinden, wo genau sich ein Anrufer befindet. Die Lokalisierung des Betroffenen durch Rettung oder Polizei ist somit nicht oder nur schwer möglich. Diesbezügliche Auflagen der Regulierungsbehörden, Notrufmöglichkeiten uneingeschränkt zu garantieren, könnten sich, da sie für Skype technisch nur schwierig und vermutlich nicht rasch zu erfüllen sind, künftig als nicht unbeträchtliches – finanzielles wie juristisches – Hindernis erweisen.

Von Julia Heuberger und Peter Sempelmann