Kopfpflegemittel

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Eine der frömmsten Exerzitien für Manager und Unternehmer: die Wiederaufrüstung des Geistes. Ideale Hilfe bieten nach wie vor Bücher. Zwanzig Jahre nach Orwells Schlüsseljahr 1984, für das er eine Welt prophezeite, in der es keinen freien Willen und keine Bücher mehr geben würde, sind die gebundenen Werke immer noch das Geistesmedium Nummer eins. Zirka 300.000 Neuerscheinungen pro Jahr allein im deutschen Sprachraum beruhigen.
Welche Bücher empfehlen sich einem Gründonnerstag voll Spinat und Spirit? Meiner wichtigsten Zielgruppe gemäß würde man auf Managementliteratur tippen. Das muss zwar kein Unglück sein, scheint mir aber suboptimal. Nicht nur, weil viele Managementbücher erbärmlich sind. Aber die Defizite vieler Manager und Unternehmer liegen eher nicht im viereckigen Ökonomischen, sondern in einem Pflegemangel der rechten Gehirnhälfte. Sie ist Wohnsitz der Gefühle, Instinkte und emotionalen Intelligenzen, auch Heimat jenes frohen Mutes, den man in der Romantik „Heiterkeit“ nannte.
Die rechte Gehirnhälfte ist eine wichtige Schnittstelle an der Grenze von Rationalem und Irrationalem, eine versöhnende Übersetzungs-Software im Zwischenland von Gewissheit und Ahnung. Wer dieses Programm nicht pflegt, kann ein guter Mittelmanager werden, aber kein Spitzenmann, kein Guru, kein Genie.
Wir glauben heute zu wissen, dass so genannte nicht nützliche Bücher keine verschwendete Liebesmüh sind. Im Gegenteil setzt sich die Auffassung durch, gerade sie würden sich in geheimnisvoller Weise beruflich verzinsen. Sie erweitern die Assoziationsketten der Lesenden. Romane und Lyrik tragen Botschaften, die auch im Wettbewerb der Wirtschaft helfen, vieles besser zu verstehen. Abgesehen davon, dass ein belesener Topmanager erst als solcher begriffen wird. An der Spitze wünscht man sich Geschäftspartner, mit denen man mehr besprechen kann als Kurs-Gewinn-Verhältnis und die Korruptionsgeheimnisse des lateinamerikanischen Marktes.

Ich habe für 2005 in einem brutalen Ausleseverfahren zwei Bücher zur Empfehlung gewählt, die besonders weit weg scheinen von jedem Nutzwert: „Der dicke Deix“ vom schönen Manfred Deix und „Woran glauben Sie?“ von Johannes Kaup. Das eine ein erstaunlich preiswerter Wälzer mit gut gedruckten Cartoons, das andere eine Sammlung wunderbar abgehobener Interviews über Glaubensfragen interessanter Österreicher.
Das Cartoon-Buch zeigt, dass weltmeisterliche Spötter à la Manfred Deix, Gerhard Haderer, Ruud Klein und Nicolas Mahler vollgültige Geschichtsschreiber sind. Mehr noch: Die zum Buch gebundenen Deix-Arbeiten der letzten sechs Jahre geben einen intensiveren Nachhilfekurs über die Politik und Gesellschaft dieser Zeit als jede Prosasammlung. Und anders als wörtlich beschriebene Haiders und Bärentäler (mit denen das Buch beginnt) oder Gusenbauers und Krenns (mit denen dieser Band endet) bleiben die im doppelten Sinne Gezeichneten wohl für immer auf der Netzhaut haften. Das mag für die Augen ungesund sein, doch entdecken wir eine Qualität der Verdichtung und Merkbarkeit, die verblüfft und nach unverzüglichen Schulreformen schreit. Ein Beispiel: Kein Kind und nur wenige Erwachsene fanden je den Weg durch den Dschungel der Habsburger. Die Macheten der Schulbücher, Historikerbücher und selbst der Heimatfilme der fünfziger Jahre sind dafür zu stumpf. Da hilft einzig das Napalm der Zeichner.
Eine wohlberatene Regierung (mit freilich einem Schuss Flagellantismus) müsste Deix und Haderer in die Pferdeställe der Spanischen Hofreitschule sperren und zwingen, bei Veltliner und Brot die verzopfte Geschichte der Habsburger zeichnerisch aufzudröseln, dazu gleich noch die Hintergründe des aktuellen Jubiläumsjubels um das Befreiungsjahr 1955. Selbst Hugo Portischs lebhafte Dokus würden dagegen abstinken. Eigentlich sind die Cartoonisten Österreichs einzige Chance, das so genannte PISA-Debakel in einen künftigen Sieg zu verwandeln. Gourmet-Fazit: fünf von vier möglichen Goldhauben für „Der dicke Deix“. Das Werk ist auch für Kinder freizugeben.

Radio Ö1, der beste Sender der Welt, bietet in der ruhigen Nische „Erfülltes Leben“ einmal monatlich die (von Hubert Gaisbauer und Johannes Kaup entwickelte) Gesprächsleiste „Woran glauben Sie?“. In etwa der gleichen Zeitspanne, die das Deix-Buch umfasst (etwa 1997 bis 2004), wurden rund 100 Interviews mit österreichischen Glühbirnen geführt, zu so genannten letzten Fragen, über Glauben und Gott, über richtiges Leben und Sterbensangst. Gesprochen wurde mit Atheisten, Agnostikern und dezidiert Gläubigen. 25 davon sind im Buch „Woran glauben Sie?“ versammelt. Ergebnis: aufregend, farbig, spannend – hunderte funkelnde Sätze und Geständnisse, gehoben durch die weltmeisterliche Gesprächsführung von Johannes Kaup, 39, der nach Studien der Philosophie und katholischen Theologie eine Ausbildung als Daseins-Analytiker in Zürich und Wien absolvierte, 1990 zum ORF kam und derzeit unter anderem das Projekt „Global Marshall Plan“ unterstützt.
Tipp für Manager und Unternehmer: Genießen Sie nicht nur die Enthüllungen der wirtschaftsaffinen Gesprächspartner Kaups (beispielsweise Hannes Androsch, Klaus Woltron, Karlheinz Essl), sondern auch jene von Philosophen (Konrad Paul Liessmann), Psychologen (Rotraud Perner), nebenberuflichen Atheisten (Rudolf Burger) und Griechengötter-Verehrern wie Wendelin Schmidt-Dengler.