Die Status-Ritter: Verhandlungsbeginn

Kosovo: Die Status-Ritter

Schafft Kosovo den Weg in die Unabhängigkeit?

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Bedächtig nimmt Dragan Spiric den Krautkopf in Augenschein. „Gut und günstig“, sagt der 45-jährige Radio-mechaniker. 12 Dinar das Kilo, das sind 14 Eurocent. Haidar, der albanische Gemüsehändler aus Vucitrn, hilft ihm, die Krautköpfe, die aus dem Laderaum seines Lieferwagens kullern, in einen großen Sack zu packen. Hier in der Bosnischen Mahalla, wie das moslemische Viertel im serbischen Nordteil von Kosovska Mitrovica heißt, begegnen einander Albaner und Serben noch – oder genauer: wieder – in alter Unbefangenheit.

Das ist nicht selbstverständlich. Denn Kosovska Mitrovica ist der Brennpunkt aller Konflikte im Kosovo, der gordische Knoten für jeden, der die Zukunftsfrage der ehemals serbisch beherrschten, mehrheitlich albanisch bevölkerten Balkanprovinz lösen will. Fast alle Unruhen und Ausschreitungen seit dem Juni 1999, als die NATO in den Kosovo einmarschierte und die UN die Verwaltung übernahmen, begannen oder eskalierten in Kosovska Mitrovica.

Im Schlagabtausch der gegenseitigen Vertreibungen versuchten die Albaner, die Hauptbrücke über den Ibar-Fluss zu erstürmen. Serbische Paramilitärs mit Lederjacken und Funkgeräten, die „Brückenwächter“, stellten sich dem entgegen. Französische KFOR-Truppen riegelten schließlich Süd- und Nord-Mitrovica voneinander ab. Auch die blutigen Unruhen vom März 2004 nahmen hier ihren Ausgang, ausgelöst durch ein Gerücht um einen tragischen Unfall. Als drei albanische Kinder im Ibar ertranken, verbreitete irgendjemand, sie seien von Serben ins Wasser gehetzt worden. Die Folge waren kosovoweite Ausschreitungen gegen die Serben, mit 19 Toten, 900 Verletzten und 4500 neuen Vertriebenen, mit niedergebrannten orthodoxen Kirchen und Häusern.

Geteilt. Heute ist Kosovska Mitrovica immer noch eine geteilte Stadt, mit zarten Ansätzen zur Normalität. Der Norden ist serbisch wie das Mutterland. Die Autos fahren mit den alten jugoslawischen Nummerntafeln – im übrigen Kosovo gelten schon seit Jahren eigene kosovarische Kennzeichen. Gezahlt wird mit dem jugoslawischen Dinar – andernorts ist der Euro die Landeswährung. Das Telefonnetz ist an Serbien angeschlossen, und auch die Gehälter der zahlreichen öffentlich Bediensteten kommen von dort – zusätzlich zum Lohn, den sie von der kosovarischen Übergangsregierung erhalten.

Die Hauptbrücke ist seit dem Sommer für allen Verkehr geöffnet. Ein Schild in Albanisch, Serbisch und Englisch verbietet lediglich „Ansammlungen“ und „provokatives Verhalten“. Genutzt wird die Brücke jedoch kaum, allenfalls von ausländischen Militär-, Polizei- und Verwaltungsangehörigen. Die wenigen Fahrzeuge mit kosovarischen Kennzeichen biegen am nördlichen Brückenkopf sofort nach rechts zur Bosnischen Mahalla oder nach links zu den drei Hochhäusern ab, in denen noch Albaner und einige slawische Moslems leben.

Verschwunden – oder zumindest nicht sichtbar – sind die „Brückenwächter“. Auch die Polizisten aus Serbien, die es neben der UNMIK-Polizei und der kosovarischen KPS eigentlich nicht geben dürfte, geben sich diskret. Sie sind in Zivil, führen keine offiziellen Amtshandlungen durch, stellen serbische Dokumente für die Einwohner aus und machen ein wenig Geheimdienstarbeit für Belgrad.

In den Köpfen jedoch verläuft die Demarkationslinie ganz klar. Kein Serbe aus dem Norden würde es wagen, über die Brücke in den Süden zu gehen oder zu fahren. „Die Zeit ist dafür noch nicht reif“, gibt der 35-jährige Branislav Milovanovic zu bedenken. „Es bräuchte mich nur jemand zu erkennen. Allein die Tatsache, dass ich dort bin, würde als Provokation aufgefasst.“ Haidar, der albanische Gemüsehändler in der Bosnischen Mahalla, will sich nicht fotografieren lassen. „Wenn mich einer von uns drüben erkennt, könnte ich Schwierigkeiten kriegen“, sagt er.

Misstrauen. In diesem Klima des Misstrauens und der Furcht begann am vergangenen Montag der erste diplomatische Anlauf, um nach sechsjähriger UN-Verwaltung das Kosovo-Kapitel zu einem Abschluss zu bringen. Der Sondergesandte Martti Ahtisaari, ein ehemaliger finnischer Präsident mit viel Vermittlererfahrung, und sein Stellvertreter, der pensionierte österreichische Spitzendiplomat Albert Rohan, sollen Albaner und Serben zu einer Vereinbarung über den künftigen Status der Provinz bringen, die auf dem Papier immer noch ein Teil Serbien-Montenegros ist. Ahtisaari und Rohan sind die Briefträger, Peitschenschwinger und Zuckerlverteiler. Entscheiden wird, wenn nötig, der UN-Sicherheitsrat, das letzte Wort haben die Veto-Mächte USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China.

Die Positionen klaffen weit auseinander. Die Albaner können sich nicht weniger als Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit vorstellen. Belgrad und die Kosovo-Serben schwanken zwischen der – völlig illusorischen – Wiederherstellung ihrer Souveränität und der – von den internationalen Kräften gleichfalls ausgeschlossenen – Teilung der Provinz. „Die Unabhängigkeit des Kosovo würde die Fundamente der Weltordnung erschüttern“, unkte der alt-nationalistische serbische Ministerpräsident Vojislav Kostunica am vergangenen Montag im serbischen Parlament.

Die Albaner würden für die Unabhängigkeit massive Auflagen in Kauf nehmen müssen, wie etwa eine internationale Einmischung ins Polizei- und Gerichtswesen und in den Minderheitenschutz. Unter der UNMIK-Verwaltung, die seit dem Sommer einige Kompetenzen an die gewählten kosovarischen Institutionen abgegeben hat, ist bei der Herstellung der „Standards“ – Aufbau einer handlungsfähigen Verwaltung und Justiz, Minderheitenschutz, Rückkehr der vertriebenen Serben – wenig erreicht worden.

Der Beginn der Statusverhandlungen ist somit eigentlich ein Eingeständnis des Scheiterns der UN – hatten sie bisher doch immer die Parole „Standards vor Status“ propagiert. Ahtisaari und Rohan fällt nun die vertrackte Aufgabe zu, parallel zu den Statusverhandlungen auf beide Seiten Druck auszuüben, um gleichzeitig bei den „Standards“ etwas weiterzubringen.

Am Ende wird wohl so etwas wie eine Unabhängigkeit mit Auflagen stehen. Die Albaner, die ihren eigenen militanten Untergrund im Zaum halten müssen, zeigten sich letzte Woche darüber verstört, dass von den internationalen Vermittlern niemand mehr das Wort „Unabhängigkeit“ in den Mund nahm. „Unser Plan ist es, nicht mit den Details des Status zu beginnen, sondern mit den Details des Status aufzuhören“, erklärt Rohan gegenüber profil die Stategie.

Der Kosovo-Österreicher Dardan Gashi, ein Berater des Gemeindeverwaltungsministers Lutfi Haziri und einer der kosovarischen Verhandlungsführer mit Belgrad, verweist zu Recht darauf, dass die mangelnden Forschritte bei den „Standards“ nicht nur albanischer Uneinsichtigkeit, sondern in zumindest gleichem Maße serbischer Obstruktion zu schulden sind. Belgrad habe keinerlei Interesse daran, dass sich der Kosovo normalisiert und so der Unabhängigkeit nahe kommt, und halte deshalb seine Leute im Kosovo davon ab, konstruktiv mitzuarbeiten. „Wenn wir mehr Klarheit in Richtung Unabhängigkeit hätten, könnten wir viel großzügiger verhandeln“, meint Gashi.

Der ehemalige Journalist aus Wien sieht klarer als seine Landsleute, dass die Racheakte gegen Serben und Roma den Kosovo-Albanern nach 1999 verheerende Imageschäden zugefügt haben; auch wenn Ausmaß und Dimension dieser Verbrechen weit hinter dem Terror zurückblieben, den die serbischen Sicherheitskräfte gegenüber den Albanern in den Jahren 1998/99 verübt hatten.

Vertrieben. Die 200 Roma etwa, die in der Ziegelei von Sitkovac nördlich von Mitrovica wohnen, wurden schon in vielen westlichen Zeitungen ausführlich beschrieben und bemitleidet. 1999 aus der Roma-Mahalla in Süd-Mitrovica vertrieben, leben sie heute auf einem Boden, der vom Bergbau in den nahen Trepca-Minen verseucht ist. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stellte im Blut der Kinder enorme Konzentrationen von Blei und Antimon fest.

In Zvecan hausen im „Hotel Nr. 3“, einem ehemaligen Gästehaus der Bergwerke, 24 serbische Familien aus Obilic bei Pristina, die bei den Unruhen 2004 vertrieben wurden. Abgesehen vom Umweltgift ist ihre Lage noch trauriger als die der Roma, die zumindest in ordentlichen, geheizten Holzhäusern leben.

Im „Hotel Nr. 3“ gibt es nur stundenweise Strom. In Finsternis und Kälte kauern sich die Menschen jeden Abend im Gemeinschaftsraum zusammen. Der Pfarramtsverwalter Sretan Todorovic hat dort in halbjähriger Arbeit die vom albanischen Mob niedergebrannte Kathedrale von Obilic aus Streichhölzern nachgebaut. Ohne jedes Foto, wie er sagt, denn „jeder Ziegel, jeder Stein hat sich in mein Gedächtnis eingeprägt“.

Die Feindbilder sind in der kosovarischen Gegenwart allerdings nicht mehr so klar. Die albanische Verwaltung von Süd-Mitrovica ist entschlossen, die Roma-Mahalla neu aufzubauen. Ihr ist jedoch das Geld ausgegangen, sodass das Projekt derzeit stillsteht. Internationale Geldgeber könnten es jederzeit wieder anschieben. Die niedergebrannten serbischen Häuser in Obilic sind von der kosovarischen Regierung wiederaufgebaut worden. „Wir gehen nicht zurück, solange unsere Sicherheit nicht garantiert ist“, sagt jedoch Todorovics Ehefrau Danica.

In Fushe Kosove/Kosovo Polje bei Pristina sollten derartige Sicherheitsbedenken nicht bestehen. In dieser 42.000-Einwohner-Gemeinde, in der je 2500 Serben und Roma leben, wurde – abgesehen von den provinzweiten Unruhen im Vorjahr – seit 2000 keine einzige ethnisch motivierte Straftat verübt. Trotzdem haben die Serben ihre nach den Ausschreitungen neu erbauten Häuser verlassen und sind in umliegende Dörfer gezogen. Auf Hauswände und Garagentüren haben sie mit dicken Pinselstrichen ihre Handynummern gemalt, um anzuzeigen, dass diese Immobilien zu verkaufen sind.

Hinter der Abwanderung stecken wohl auch wirtschaftliche Gründe. „Für das Geld, das sie hier kriegen, bekommen sie wunderschöne Häuser in Nis oder sonstwo in Süd-Serbien“, erklärt der Bergbauingenieur Arben Ramadani unter Hinweis auf den Immobilienhunger der rasch wachsenden albanischen Bevölkerung.

Seine persönliche Wohnsituation verrät viel von den Wirrnissen der kosovarischen Gegenwart: Ramadani mietet das Haus seines serbischen Freundes Jovica. Jovica wird gleichzeitig von serbischen Nationalisten gedrängt, es zu verkaufen. Er verlangt für das Haus jedoch einen irreal hohen Kaufpreis – denn in Wirklichkeit wolle er gar nicht verkaufen, sondern lieber bleiben, meint sein albanischer Freund.

Die Handynummer steht trotzdem, für alle sichtbar, am Garagentor. Sie hält Jovica zumindest den Druck seiner eigenen Leute vom Hals.

Von Gregor Mayer, Kosovska Mitrovica, Pristina