Krieg der Götter

Krieg der Götter

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Wie man sich daran gewöhnt! Vor nicht allzu langer Zeit hätten die Ereignisse, über die heute innerhalb einer Woche berichtet wird, noch für ein Jahr Schlagzeilen gereicht. Heute geht ein Massaker, ein Selbstmordanschlag, eine Bombardierung von Wohnvierteln, bei der dutzende Menschen ums Leben kommen, darunter Kinder, Frauen und Alte, vielfach nicht einmal mehr als Spitzenmeldung durch. Da müssen es schon hunderte zerfetzte Schulkinder sein, damit die Welt sich noch aufregt.

Als die erste Geisel im Irak von islamistischen Terroristen enthauptet wurde, war das Entsetzen groß. Und jetzt: Wie viele Geiseln haben im Zweistromland zu befürchten, von Vermummten ins Jenseits befördert zu werden? Wie heißen sie? Wie vielen wurde bereits die Kehle durchschnitten? Man hat den Überblick verloren. Und der Tod einer weiteren Geisel ist manchmal nur mehr eine Notiz wert.

Auch ein Suizidattentat in einer israelischen Stadt und die darauf folgende Strafaktion in den besetzten Gebieten, bei denen dutzende Zivilisten den Tod finden, werden nur mehr am Rande registriert.

Das Grauen ist zur Routine geworden. Man hat sich damit abgefunden. Über Alternativen zur zunehmenden Barbarisierung der Welt wird kaum mehr nachgedacht.
Warum aber dieser Einbruch der Barbarei am Anfang des 21. Jahrhunderts? Was ist passiert?

Es wird viel gebetet in unserer Zeit. Die jungen Frauen und Männer in Gaza, im Irak, auf Bali, in Südrussland und sonstwo, die sich Sprengstoffgürtel umlegen oder in ein Auto steigen, das wenig später explodieren soll, lesen fleißig den Koran, neigen sich gen Mekka und versichern in letzten Briefen und Video-Aufnahmen, dass ihnen die noble Tat, die auszuführen sie sich anschicken, von Gott aufgetragen ist. Allah ist groß, wissen Bin Laden und seine Leute, und sie sind seine Exekutoren.

William Boykin, ranghoher US-General im Pentagon, weiß es besser. Nicht Allah ist groß, nein, der christliche Gott ist „größer“ als Allah. Und der Kampf mit dem islamischen Terrorismus ist ein „Kampf mit dem Satan“. Das erklärt Boykin landauf, landab. Ein wenig distanziert hat Bush sich von diesen Äußerungen, ohne den frommen General jedoch zu relegieren, der zudem weiter predigt, dass Bush Präsident sei, nicht weil eine Mehrheit der Amerikaner für ihn gestimmt, sondern weil Gott ihn ins Weiße Haus entsandt habe.

Das glaubt auch der Präsident, der täglich in der Bibel liest, regelmäßig Gebetsstunden abhält und auf die Frage, ob er sich mit seinem Vater, dem Ex-Präsidenten, bei wichtigen Entscheidungen berät, antwortete: Nein – mit dem höheren Vater, dem Allmächtigen, aber sehr wohl.

Al-Qa’ida verkündet pünktlich vor jedem Attentat: „Wenn Gott will ...“ George W. Bush betet, bevor er seine Truppen zum Angriff schickt: „Gott möge uns Weisheit geben und über die Vereinigten Staaten von Amerika wachen.“

Die prononciert proisraelische Ausrichtung der US-Politik unter Bush ist nicht zuletzt auf eine Bibelauslegung zurückzuführen. Die so genannten Evangelikalen, eine der wichtigsten Bush-Wählergruppen, berufen sich auf den Propheten Ezechiel, der angeblich vorausgesagt hat, dass Jesus erst dann wiederkehren werde, wenn die Juden ihr Reich errichtet hätten (– dann würden freilich auch die Juden zum Christentum bekehrt).

Im Nahen Osten ging es nie sehr friedlich zu. Aber seit es nicht mehr pragmatisch um Land für einen Staat, sondern um „heiligen“, von Gott dem jüdischen Volk versprochenen Boden geht, seit das unterdrückte Volk der Palästinenser nicht mehr nur um nationale Unabhängigkeit, sondern auch im Auftrag Gottes gegen die bösen Ungläubigen kämpft – seither scheint es um diese Weltregion endgültig geschehen zu sein.

Überall rauchende Trümmer, Leichenberge. Der Krieg entflammt global, verbreitet Massaker und Superterrorismus. Gibt es da einen Zusammenhang zwischen dem Aufschwung des Religiösen und dem generellen Abgleiten der Welt ins Mörderische?
„Die Kriegsmaschine produziert Gebete, und die Gebetsmaschine erzeugt Krieg“, schreibt Daniel Accursi in der europäischen Intellektuellen-Zeitschrift „Lettre International“. Der französische Philosoph gibt eine Erklärung: Lange Zeit seien die monotheistischen Götter in Pension geschickt oder gar für tot erklärt worden. Jetzt, nach Ende des Kalten Krieges und nach dem Einsturz der Twin Towers, fühlten sie sich wieder stark genug, zurückzukommen und sich für die Schmach zu rächen, so lange ins Abseits abgeschoben worden zu sein.

Und, so versichert Accursi, sie rächen sich fürchterlich: „Die Globalisierung triumphiert, der Krieg der Götter schließt sich dem Reigen an und globalisiert sich ebenfalls, Jahwe, Gottvater und Allah erheben sich mit gesträubten Haaren aus ihrem dogmatischen Schlaf, aus ihren Indianerreservaten, belauern einander eifersüchtig und hasserfüllt, töten sich im Namen der allumfassenden Liebe, um sich des Glaubensmarktes zu bemächtigen – ein Titanenkampf, der sich mit allgemeinen Metzeleien vollzieht.“

Nun muss man nicht mit der poetischen Radikalität des Philosophen übereinstimmen. Auch die Kausalitäten kann man anders sehen. Aber anregend sind Accursis Überlegungen noch allemal. Auch seine apodiktisch und blasphemisch formulierte Schlussfolgerung hat etwas für sich: „Es bleibt der Menschheit nur übrig, das göttliche Kartell, dieses blutige Trio, zu verjagen und das Netzwerk des Glaubens lahm zu legen, diese harte Droge, die immer wieder die Menschen in den Tod reißt.“