Jetzt ist schon wieder was passiert

Krise. Österreichs Regierung verteilt verbale Beruhigungspillen

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Maria Fekter ist normalerweise keine angenehme Sparringspartnerin. Die Finanzministerin weiß sich zu wehren. Wer sie reizt, wird mit scharfer Stimme zurechtgestutzt. Nichts läge ihr ferner als die Zurschaustellung weiblicher Sanftmut. Fekter setzt nicht auf die Wirkung ihres Charmes, sondern auf jene ihrer Kratzbürstigkeit. Das spricht im Prinzip durchaus für sie.

Doch als die Ministerin am Sonntag vergangener Woche im Studio der ORF-Sendung "Im Zentrum“ saß, wirkte sie plötzlich harmlos wie ein Firmling. Sie trug eine ausgesucht unglamouröse Nickelbrille und nickte stets beifällig, wenn etwa SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder am Wort war. Zwischendurch fing die Kamera immer wieder ihr sanftes Lächeln auf. Fekter unloaded, sozusagen.

Natürlich kann der Biorhythmus auch einen Spitzenpolitiker mal auf dem falschen Fuß erwischen. Vielleicht war Maria Fekter an diesem Abend einfach harmoniebedürftig und nicht zum Keppeln aufgelegt. Wahrscheinlicher ist aber, dass hinter dem teilweise neuen Styling und dem völlig neuen Verhalten ein Plan steckte. Thema der TV-Diskussion war schließlich der Verlust des Triple-A, der höchsten Bonität als Schuldner. Eine unangenehme Angelegenheit, die das Volk möglicherweise beunruhigt. Da kann es nicht schaden, dem Publikum eine nette, neuerdings etwas hausbackene Finanzministerin vorzuführen, die sich mit dem Koalitionspartner total super versteht. "Jetzt sind wir bestätigt in dem Kurs, den wir einschlagen“, behauptete Fekter. Staatssekretär Andreas Schieder assistierte: "Wir werden jetzt zügig und konsequent an dem weiterarbeiten, was wir uns sowieso schon im Herbst vorgenommen haben.“

Zum Glück besinnt sich der ORF mitunter seiner Rolle als Staatsfunk und hatte nur Diskussionsteilnehmer eingeladen, die einander nicht weh tun würden. Der "Presse“-Journalist Franz Schellhorn durfte zwar aus dem Publikum ein wenig Zwietracht säen. Auf dem Podium blieben die Würdenträger aber unter sich und konnten weitgehend ungestört das Bild eines von bösen Mächten völlig zu Unrecht abgemahnten Landes zeichnen. Aber keine Bange: Alles wird wieder gut. Bitte ganz gelassen bleiben.

Viel beruhigender kann Fernsehen kaum sein, nicht mal das Wetterpanorama hält da mit.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass Politiker häufig nicht die ganze Wahrheit sagen. Schonungslose Offenheit wäre auch nicht möglich. Manchmal will der Wähler angeflunkert werden, und viele Probleme würden durch öffentliche Beichten bloß noch größer. Aber was das Führungspersonal der Republik Österreich seit Monaten in der Eurokrise aufführt, grenzt an Beleidigung - jedenfalls des Teils der Bevölkerung, der mindestens einen Pflichtschulabschluss vorweisen kann. Es wird derart offensichtlich getrickst, schöngefärbt, zurechtgebogen und aufgeschminkt, dass schon das Zuschauen schmerzt. Zweckdienlich sind die Verrenkungen leider auch nicht. Die ungeschickten Darbietungen hinterlassen ganz im Gegenteil den Verdacht, es könnte alles in Wahrheit noch viel schlimmer sein als befürchtet.

Ins Gruselgenre gehörte etwa eine Aktion, die der Kanzler und sein Vize am 14. November des Vorjahres für notwendig hielten. Werner Faymann und Michael Spindelegger hatten sich vor den Kameras der "Zeit im Bild 2“ postiert, um zu verkünden, dass man soeben hurtig, aber doch wohlüberlegt beschlossen habe, die Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass Mitarbeiter der Ratingagentur Moody’s in Wien weilten. War die überstürzte Beschlussfassung also eine Panikreaktion in letzter Minute? Aber geh. "Gut ist, wenn auch die Politik mit Überraschungen aufwarten kann“, sagte Spindelegger. "Das ist eine logische Handlung von uns. Wichtig für uns ist, dass wir das Heft in der Hand haben“, erklärte Faymann - der es drei Tage zuvor mit der Schuldenbremse noch überhaupt nicht eilig gehabt hatte. Wie die zwei Herren da so angestrengt ihre Texte aufsagten, erinnerten sie an kleine Buben, die aus Angst vor dem Krampus endlich doch ihr Kinderzimmer aufgeräumt haben - und jetzt zittern, ob ihnen das Bravsein auch wer glaubt.

Dennoch schwärmte der erweiterte Freundeskreis umgehend aus, um die Großtat der Regierung zu preisen. Für Ewald Nowotny, den Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, stellte die Schuldenbremse "einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Stabilität der Staatsfinanzen und einer gestärkten Glaubwürdigkeit der Fiskalpolitik“ dar. Bernhard Felderer, Chef des Instituts für Höhere Studien, war richtig baff: "Das ist überraschend schnell gegangen. Man muss gratulieren.“ Die Industriellenvereinigung sprach von einem "Schritt in die richtige Richtung im Sinne der Generationengerechtigkeit“.

Alle genannten Herren wussten selbstredend, dass die Schuldenbremse zu diesem Zeitpunkt nicht mehr war als ein Titel ohne Mittel. Für eine verfassungsrechtliche Verankerung fehlte die Zustimmung der Oppositionsparteien. Wo und wie gespart werden sollte, blieb nebulos. An diesen Schönheitsfehlern hat sich bis heute bekanntlich nichts geändert. Denn so dramatisch, dass die Regierung sich endlich zu Entscheidungen aufraffen könnte, ist die Situation auch wieder nicht. Zwei Ratingagenturen mögen uns ja noch.

Symbole sind wichtig in der Politik. Deshalb war es recht clever von Kanzler und Vizekanzler, sich gleich am ersten Werktag nach den Weihnachtsfeiertagen zu einem Gipfelgespräch über das Sparpaket zu verabreden. Das Volk schätzt fleißige Politiker. Wer auf seinen Urlaub verzichtet, um sich für das Land abzurackern, steigt in der Wertschätzung. Umso größer die Enttäuschung, als sich herausstellte, dass die Sitzung am 27. Dezember ein bloßer PR-Gag war. Faymann und Spindelegger plauderten ein knappes Stündchen, beschlossen die Einrichtung von fünf Arbeitsgruppen - und verabschiedeten sich sodann in die Ferien. Von Faymann kam bald darauf eine Facebook-Botschaft aus dem verschneiten Lech am Arlberg: "Ich tanke mit der Familie Energie in den Bergen für ein herausforderndes Jahr, bevor kommende Woche die Verhandlungen über die Schuldenbremse weitergehen.“

Es ist wirklich fies von der Ratingagentur Standard & Poor’s, dass sie sich von dieser Krisenbewältigungsfolklore kein bisschen beeindrucken ließ. Der Kanzler stapft hart an der Baumgrenze durch den Schnee und denkt über den Euro nach. Was, bitte schön, könnten sich die Märkte sonst noch wünschen?

Zweifellos stellt die Finanzkrise Europas Politiker vor enorme Herausforderungen. Im Grunde weiß niemand, wie das Abenteuer enden wird - weil es einfach keine passenden Schablonen aus der Vergangenheit gibt. Es wäre vermessen, ausgerechnet von heimischen Politikern eine Handlungsanleitung einzufordern. Als kleines Land hat Österreich kaum Gestaltungsspielraum und wird letztlich tun müssen, was die Deutschen wollen. Aber man kann auch mit einem Rest von Würde hinterherhecheln. Und es ist nicht zwingend erforderlich, die eigene Bevölkerung gewerbsmäßig für dumm zu verkaufen.

"Die Republik ist auf sicherem Kurs, auch wenn die Zeiten auf hoher See härter werden sollten“, sagte Finanzministerin Maria Fekter in ihrer Budgetrede am 19. Oktober 2011. "Man kann sagen, unser Triple-A ist gesichert“, ergänzte sie wenig später. Mittlerweile ist das Budget Altpapier, weil weder der bevorstehende Wirtschaftseinbruch noch die nötigen Sparmaßnahmen Berücksichtigung fanden. Erst wurde von sämtlichen Experten betont, wie wichtig es sei, das Triple-A zu halten. Jetzt, wo es weg ist, soll das erst recht kein Schaden sein, weil dadurch ja die Motivation zum Sparen steige. Einmal ist die Vormacht der österreichischen Banken in Osteuropa eine sensationelle Erfolgsgeschichte, um die uns der Rest der Welt beneidet. Dann werden wieder die strengen Maßnahmen gerühmt, deren Einhaltung diese Geschäfte in Zukunft weniger lebensgefährlich machen soll.

Mit derart widersprüchlichen Signalen wäre es sogar schwierig, einen Hund von der Attraktivität eines dicken Markknochens zu überzeugen. Dass die Österreicher vom Euro und der EU nicht mehr rasend begeistert sind, muss niemanden wundern.

Ist es altmodisch, sich in der Finanzkrise, dieser endlosen Abfolge vorwiegend schlechter Nachrichten, wenigstens eine einzige inspirierte Kanzlerrede zu wünschen, die ein paar Dinge außer Zweifel stellt? So schwer wäre das gar nicht. Faymann könnte, ohne zu lügen, zum Beispiel versprechen, dass Österreich nicht verelenden wird. Dass weder die Voest noch die OMV und nicht einmal die Hofreitschule zusperren müssen. Dass aber andererseits nicht jede milde Gabe aus dem Sozialtopf bis in alle Ewigkeit fließen kann. Und dass einige Kritikpunkte der Ratingagenturen durchaus berechtigt sind.

Werner Faymann hat auf EU-Ebene nichts zu bestellen, geschenkt. Aber es reicht trotzdem nicht, auf den nächsten Anruf von Angela Merkel (oder wahrscheinlicher: ihres Vorzimmerpersonals) zu warten, um dann husch, pfusch eine Familienaufstellung mit Michael Spindelegger einzuberufen. Im Prinzip arbeiten Faymann und seine Führungsriege nach dem Vorbild des Krimiautors Wolf Haas. So etwas wie Action entfaltet sich immer erst nach der Feststellung: "Jetzt ist schon wieder was passiert.“

Weil die Politik ausfällt, muss umso öfter Ewald Nowotny in den Ring steigen. Der Nationalbank-Gouverneur war in den vergangenen Monaten stets präsent, wenn es galt, einen gestiegenen Zinsspread oder abgestürzte Bankaktien zu erklären. Als gelernter Ökonom weiß er wenigstens, wovon er redet. Genau das macht ihm den Job allerdings so schwer. Nowotny darf als Notenbanker nicht einfach über seine Vorstellungen von Finanzpolitik schwadronieren. Er muss die Wünsche der Politik, die aktuelle Beschlusslage in der Europäischen Zentralbank und die Nervositäten der Anleger berücksichtigen. Deshalb sitzen die Notenbankchefs anderer Länder eher selten in Talkshows. Wer Diät halten muss, geht ja auch nicht in eine Konditorei.

Nowotny druckst also herum, garniert seine Stellungnahmen gelegentlich mit einem verlegenen Prusten und quält sich bei dem Versuch, keinen Schaden anzurichten. Die Sorgen einer Herabstufung der Bonität Österreichs seien "wild übertrieben“, erklärte Nowotny Ende November. Nun stellte sich heraus, dass die Sorgen berechtigt waren - und Nowotny hat umdisponiert: "Ich glaube, man soll sich überhaupt nicht so an dieser Frage der Ratingagenturen festklammern.“ Immerhin gehört der Nationalbank-Chef zu den wenigen, die heimischen Bankern ausrichten, dass ihre Beutezüge in Osteuropa keinen Schönheitspreis verdienen. "Man muss das selbstkritisch sehen, wir hatten da Fehlentwicklungen“, meinte Nowotny neulich. "Der große Anteil der Fremdwährungskredite ist ein Problem, und es hat gar keinen Sinn, das zu verschweigen.“

Weil das natürlich stimmt, trafen sich Vertreter von Nationalbank, Finanzmarktaufsicht und Regierung am 16. Jänner zu einem Bankengipfel, um die weitere Vorgangsweise zu besprechen. Nur drei Tage nach dem Entzug des Triple-A durch Standard & Poor’s war das eine ziemlich flotte Reaktion, alle Achtung.

Aber Halt, stimmt ja nicht. Das Gespräch war lange vereinbart und reine Routine. Es gebe "keinen zusätzlichen Handlungsbedarf“, hieß es anschließend.

Na dann ist ja alles bestens.