Kuba: Fidels Finale - Das Ende einer Ära

Kuba: Das Ende der Ära Castro. Fidels Finale: Jetzt gibt Castro, schwer krank, die Macht ab

Der "Máximo Líder" gibt schwer krank die Macht ab

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In der Altstadt Havannas blickt einen der in Kuba allgegenwärtige Bärtige mit dem Käppi von einer riesigen Plakatwand an. Darunter steht: „Vamos -bien“ – es geht uns gut. Daneben wünscht ein anderes Plakat Fidel Castro einen glücklichen 80. Geburtstag und „weitere 80 Jahre“.

Glücklich wird der Máximo Líder seinen 80er, der ursprünglich am 13. August groß gefeiert werden sollte, wohl nicht begehen. Castro liegt im Spital. Die Feierlichkeiten wurden auf Dezember verschoben. Und mit den weiteren 80 Jahren wird es wohl auch nichts. Das Ende einer Ära, seit Langem beschworen, scheint nun tatsächlich angebrochen zu sein. In Miami tanzten vergangene Woche Exilkubaner auf den Straßen, als ob ihr Erzfeind schon das Zeitliche gesegnet hätte. Und auf der Insel selbst entdecken die Menschen, dass auch Fidel sterblich ist. Offen wie noch nie wird da über die Zeit nach Castro nachgedacht.

Montag vergangener Woche hat Fidel Castro von seinem Sekretär im Fernsehen verkünden lassen, dass „eine verschärfte Darmkrise mit anhaltender Blutung“ ihn gezwungen hätte, sich „einer komplizierten Operation zu unterziehen“. Er müsse sich mehrere Wochen ausruhen und habe beschlossen, „mit vorübergehendem Charakter“ seine Funktionen als Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Präsident von Staatsrat und Regierung „dem Genossen Raul Castro Ruz“, seinem jüngeren Bruder, zu übertragen.

Dass er nicht selbst das Statement über seine Krankheit abgab und dass er die Macht – wenn auch nur vorübergehend – delegierte, deutet jedenfalls darauf hin, dass sein Zustand wirklich ernst ist. Als er noch vor wenigen Tagen in einer seiner stundenlangen Reden – die er nicht zuletzt der hohen Lebenserwartung der Kubaner widmete – in Richtung der USA witzelte, „unsere kleinen Nachbarn im Norden sollen sich keine Sorgen machen, ich habe nicht vor, mein Amt bis zum 100. Geburtstag auszuüben“, da ahnte er wohl noch nicht, wie aktuell sein Scherz schon kurz danach sein würde. Wir erleben offenbar das Finale Castros, eines der interessantesten und umstrittensten Staatsmänner der jüngeren Geschichte.

Die Welt mag sich wandeln, Fidel Cas-tro aber blieb immer derselbe. Seit 47 -Jahren steht er an der Spitze des kubanischen Staates, der Großteil der Weltbevölkerung hat nie jemanden anderen dort gesehen. Er hat neun US-Präsidenten im Amt überlebt und konkurriert, was die Dauer der Amtszeit betrifft, nur noch mit Monarchen, die auf ihren Thron geboren worden sind. Zu seinem 60. Geburtstag erhielt Fidel Castro vom Obersten Sowjet der UdSSR zum dritten Mal den Lenin-Orden, von der DDR den Karl-Marx-Orden und von der Tschechoslowakei den Klement-Gottwald-Orden. Diese Staaten haben längst zu existieren aufgehört, Cas-tros ehemalige Gesinnungsgenossen sind tot oder vergessen, Kubas Diktator aber erlebte gerade in den vergangenen Jahren einen zweiten politischen Frühling.

Heldentaten. Nun erinnert man sich aller Orten an seine Heldentaten, an die kubanische Revolution des Jahres 1959, die begann, als eine verwegene Bande bärtiger Teufelskerle unter seiner Führung mit der Jacht „Granma“ im Osten Kubas landete. Zeitweise auf ein zwölfköpfiges Häufchen – darunter neben Fidel Castro dessen Bruder Raúl und der Argentinier Ernesto „Che“ Guevara – reduziert, das sich in den Bergen versteckte, schafften sie es letztlich tatsächlich, den korrupten Diktator Fulgencio Batista und seine Schergen zu vertreiben, eine linke Revolution durchzuführen und Kuba aus der US-amerikanischen Vorherrschaft zu führen, in die das Land nach Jahrhunderten spanischer Kolonialzeit geraten war.

Die Romantik der Revolution und die Siege des David Fidel Castro über den Goliath Amerika – die von der CIA geplante Invasion in der Schweinebucht scheiterte genauso wie Mordkomplotte – wirken ebenso nach wie Castros legendärer -Charme, dem nicht nur Frauen reihenweise erlagen: Bis heute hat Fidel eine deutlich bessere Presse als andere Despoten, die das Ende des Kalten Krieges verpasst haben. Während etwa Weißruss-lands Präsident Alexander Lukaschenko und Nordkoreas Führer Kim Jong Il weltweit geächtet sind, reüssierte Castro nach einer langen Phase im Schatten jüngst wieder auf der Bühne der internationalen Politik.

Hinaufgehoben hat ihn Lateinamerikas neue Generation linkspopulistischer Politiker: Hugo Chávez und Evo Morales betonen bei jeder Gelegenheit, dass sie sich gemeinsam mit Castro als Eckpfeiler einer „Achse des Guten“ sehen. Die finanzielle Lage Kubas sieht wieder besser aus, seit der Venezolaner Chávez billiges Öl liefert und die Genossen in China gute Preise für die Rohstoffe der Karibikinsel zahlen. Unter den Entwicklungsländern hat Castro, der Buhmann der USA, ohnehin immer Rückhalt: Im Mai wurde Kuba mit 135 Stimmen in ein Menschenrechtsgremium der Vereinten Nationen gewählt – gebraucht hätte Castro nur 96.

Mit einigen Handgriffen hat es der gealterte Revolutionsführer auch verstanden, sein Image zu modernisieren: Die Macho-Zigarre hat er sich schon lang abgewöhnt, die Uniform tauschte er immer öfter gegen einen schwarzen Anzug und ergänzte seinen Kriegerhabitus solcherart mit einer urban wirkenden Komponente. Und den Leitspruch „Sozialismus oder Tod“, der heute so gestrig klingt, hat er gegen das Motto der Globalisierungskritiker eingetauscht: „Eine andere Welt ist möglich.“

Doch all das kann über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Fidel Castro ist derselbe kaltblütige Diktator geblieben, der er seit seiner Machtergreifung war. Von seiner politischen Linie ist er keinen Millimeter abgewichen. Im Gegenteil: Sein neuerlicher Höhenflug an weltweiter Aufmerksamkeit – und vielerorts auch Hochachtung – erlaubte es ihm, die Daumenschrauben im Inland wieder fester anzuziehen. „Sobald er etwas Spielraum hatte, griff er wieder hart durch“, sagt Omar López Montenegro, ein kubanischer Anwalt und Dissident, der nun in Miami für die kubanisch-amerikanische Nationalstiftung arbeitet.

Jegliche Form von Opposition gegen sein Regime unterband Castro beinhart. In den heruntergekommenen Gefängnissen der verarmten Insel darben nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mehr als 300 politische Gefangene, deren Verbrechen darin bestehen, kritische Artikel verfasst oder Reformen verlangt zu haben. Von den 75 prominenten Dissidenten, die bei der bislang letzten großen Säuberungswelle 2003 inhaftiert wurden, sind nur 14 wieder freigekommen – dank internationalem Druck. Die Gefängnisinsassen berichten oft über übelste Haftbedingungen, eine Überprüfung ist schwierig: Als einziger Staat der westlichen Hemi-sphäre verbietet Kuba dem Roten Kreuz den Zugang zu seinen Gefängnissen. „Wir machen in dieser Hinsicht keine Konzessionen“, sagte Kubas Justizminister Roberto Díaz Sotolongo 2004 im profil-Interview. Das kubanische Volk kenne die Wahrheit ohnehin. Erst 2003 fanden auch die bislang letzten Exekutionen statt: Drei Schwarze wurden nach einem Schnellverfahren hingerichtet, weil sie versucht hatten, ein Schiff nach Miami zu entführen.

Mit seinen Gegnern ist Fidel Castro nie besonders zimperlich umgesprungen, auch wenn es ihm meist gelang, das Image des Brutalen auf seinen Bruder, den Verteidigungsminister Raúl, dem er jetzt die Macht übertrug, abzuwälzen. „Immer gelte ich als der Böse“, soll sich Raúl Castro einmal in kleinem Kreis beklagt haben. „In Wirklichkeit ist er es!“ Castros Regime wird vorgeworfen, seit der Machtergreifung 1959 zwischen 6000 und 12.000 Morde und Erschießungen von angeblichen Konterrevolutionären und Kriminellen durchgeführt zu haben. Fidels Methode, angebliche Regimegegner zeitweise zu hunderttausenden in Sportstadien zu internieren, schaute sich später Chiles Diktator Augus-to Pinochet ab. Nach 1971 ging Castro massiv gegen Schriftsteller, Intellektuelle und Künstler vor. Er steckte Homosexuelle in Arbeitslager, über deren Toren „Die Arbeit wird euch zu Männern machen“ steht. Später wurden auch Aidskranke zwangsinterniert – in Che Guevaras ehemaligem Haus.

Säuberung. Zu Zeiten des Kalten Krieges fiel Castro damit freilich nicht besonders aus der Reihe: Mehr als die halbe Welt wurde damals von Regimen beherrscht, die brutal gegen ihre eigenen Bevölkerungen vorgingen, ob nun im Namen des Sozialismus, des Vaterlands oder beidem. Doch auch nach 1989 blieb Castro auf Despotenlinie – keine Spur von Glasnost und Perestroika am Malecon. Dabei hatte Michail Gorbatschow Castro den Weg gewiesen.

Man schrieb den 11. November 1987, Castro kochte Spaghetti für das Ehepaar Gorbatschow in deren Haus in Moskau. „Der liebe Genosse Fidel Castro wird mir sicherlich zustimmen, dass es nur ein einziges Terrain gibt, das der Sozialismus noch nicht erforscht hat“, sagte Gorbatschow. „Die Freiheit.“ Castro antwortete rasch: „Ja, natürlich, Freiheit. Aber ohne die Erziehung zu vergessen.“

Kubas Patriarch glaubte sein Volk nie reif für die Freiheit. 1989, nach dem Kollaps der Sowjetunion, säuberte Castro seinen Staatsapparat von Perestroika-Sympathisanten. Als die kubanische Wirtschaft ohne die gewohnte Hilfe aus Moskau zusammenbrach und die Kubaner Hunger lit-ten, lockerte er die rigiden Regeln der Planwirtschaft zwar ein bisschen – er ließ etwa Bauernmärkte und kleine Privatres-taurants zu, der Dollar wurde als Zweitwährung toleriert. Aber sobald sein Re-gime etwas Luft hatte, machte es so viel wie möglich wieder rückgängig. Erst vor wenigen Monaten verbot es gewisse Kleinst-unternehmen wieder.

Heute steht die Jahresproduktion von Zucker – Kubas wichtigstem Exportprodukt – auf einem ähnlichen Niveau wie vor hundert Jahren. Tägliche stundenlange Stromausfälle lassen das Leben auf der Insel stocken. Der Großteil der über elf Millionen Kubaner ist verarmt. Reis, Bohnen, Früchte gibt es per Lebensmittelkarte, ein durchschnittlicher Monatslohn reicht gerade einmal für Waschmittel und eine Packung Seife. Wer keinen Zugang zu Devisen hat, kommt nur schwer über die Runden – da helfen auch die oft zitierten Errungenschaften der Revolution, Gratisbildung und -krankenversorgung, nicht viel.

Reiche Armee. Die verfallenden Häuser in der Altstadt Havannas sind zum Sinnbild der Revolution mit ihren hehren Idealen geworden: An den bröckelnden Fassaden lässt sich ihr Glanz noch erahnen, doch im Inneren sind sie oft nur noch Ruinen. Teile des Fußbodens und der Wände sind herausgebrochen, nur dank des milden karibischen Klimas ist an ein Leben hier überhaupt zu denken. Jährlich stürzen dutzende Gebäude zusammen – ein Hurrikan ist dafür gar nicht nötig, schon anhaltender Regen lässt sie unter ihrer eigenen Last kollabieren.

Die wenigen prächtig restaurierten Kolonialbauten, schmucke Hotels für Touris-ten, sind kein Resultat der Revolution, sondern Kooperationsprojekte der kubanischen Streitkräfte mit spanischen oder französischen Hotelkonzernen. Raúl Cas-tro, seit 47 Jahren Verteidigungsminister, hat die Armee nach 1989 abgespeckt und zur größten Holdinggesellschaft des Landes gemacht. Neben 230 Unternehmen gehört ihr angeblich ein Viertel der 41.000 Hotelbetten Kubas. Auf die gut bezahlten Jobs in den Luxushotels hat nicht jeder eine Chance: Sie stehen nur handverlesenem Personal mit Parteibuch offen.

Da mögen Touristen erstaunt sein über die demonstrative Lebensfreude der Kubaner in diesem tristen tropischen Sozialismus. Aber das ist zumindest zum Teil eine optische Täuschung: Kuba hat mit Abstand die höchste Selbstmordrate Lateinamerikas, so hoch, dass die Behörden die Statistiken lieber gar nicht mehr publizieren. Dafür schaffte es jüngst der Gebärstreik der Kubaner auf die Seite eins des Regierungsblatts „Granma“: In Kuba würden nur noch halb so viele Kinder wie 1970 geboren, rechnete die Zeitung alarmiert vor. Der beste Weg, der karibischen Misere zu entkommen, führt freilich über das Meer nach Florida, auf einem selbst gebauten Floß aus Autoreifen oder in einem Schlepperschnellboot. Obwohl viele ertrinken oder von der US-Küstenwache zurückgeschickt werden, sind seit 2001 mindestens 150.000 Kubaner in den USA gelandet, mehr als während „Mariel“, dem Massen-exodus von 1980, als Castro jeden ziehen ließ, der gehen wollte.

Erst im vergangenen November ist etwa die 42-jährige Isabel, die ihren Nachnamen nicht verraten will, nach Florida gekommen. Mit ihrem Buchhaltergehalt in Kuba hatte sie ihren kranken Vater nicht länger unterstützen können, nun jobbt sie in einem Restaurant in Miami. „Wir arbeiten hier wie Tiere, um unsere Familien in Kuba zu erhalten“, sagt sie. „Es ist sehr teuer, Geld zu schicken, da bleibt fast nichts übrig.“ Cas-tros Regime verdient an den Geldsendungen hunderttausender Kubaner aus Florida vorzüglich, weil es den Kurs bestimmt, zu dem sämtliche Dollar in ku-banische Währung gewechselt werden müssen.

Weder der sanfte Druck der EU auf Castro noch die Sanktionspolitik der USA haben bis jetzt nennenswerte Wirkung gezeigt. Den Amerikanern wird regelmäßig vorgeworfen, mit ihrer harten Linie Cas-tros Machtposition über die Jahre sogar gestärkt zu haben. Schließlich konnte er die US-Regierung stets zum Sündenbock für die schlechte Wirtschaftslage in Kuba machen.

Nachfolge. Dennoch hielten die USA bis jetzt ebenso hartnäckig an ihrer Kuba-Politik fest, wie Castro den US-Imperialismus geißelte. Erst Anfang Juli präsentierte die US-Regierung ein 80-Millionen-Dollar-Programm für den Regimewechsel in Kuba. Castro-Gegner in Miami schütteln über das jährliche Ritual nur zynisch den Kopf: „Mit achtzig Millionen Dollar kann man doch nichts anfangen“, sagt Alina Fernández, Fidel Castros uneheliche Tochter, im Gespräch mit profil. „Davon können nur einige Bürokraten gut leben.“ Fernández brach früh jeglichen Kontakt mit ihrem Vater ab und schaffte es, 1993 mit gefälschtem Pass über Spanien nach Florida zu fliehen. Heute hat die 50-Jährige in Miami eine tägliche spanischsprachige Radioshow. Die Pläne der US-Regierung hält sie für leeres Gerede: „Die Bush-Administration behauptet, sie würde nach Fidels Tod niemanden aus seinem Umfeld stützen“, sagt sie. „Aber Raúl Castro befehligt nun mal die Armee. Ich glaube, die USA werden einfach jene unterstützen, die die Ordnung aufrechterhalten können – selbst wenn das Raúl Castro ist.“

Auf Zeit zumindest steht dieser nun an der Staatsspitze. Tatsächlich dürfte aber die langsame Übergabe der operativen Regierungsgeschäfte von Fidel Castro an seinen Bruder Raúl bereits seit einiger Zeit in Gange sein. Aufgeregt registrierten Beobachter in Miami in den vergangenen Wochen die verstärkte Präsenz Raúl Castros in den kubanischen Medien. Zu seinem 75. Geburtstag am 3. Juni brachte „Granma“ eine ausufernde Huldigung, in welcher der unpopuläre und nicht sonderlich charismatische Raúl als Musterbeispiel an Volksnähe und Kompromissfähigkeit gepriesen wird.

Dass Raúl seinen Bruder als Führer des Landes nicht ersetzen kann, darüber sind sich alle einig. Aber hängt das System Cas-tro tatsächlich an der Person Fidel? Einer seiner besten Freunde, der Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez, hat kürzlich geschrieben: „Fidel Castro ist die Stärke der Revolution, aber gleichzeitig auch ihre Schwäche.“ Und er meinte damit offenbar, dass ein Mann, der in so starkem Maße ein Regime personifiziert, nicht sterben kann, ohne dass auch das Regime verschwindet.

Damit hat es aber noch Zeit. Noch ist Castro nicht gestorben. Und selbst wenn er nicht mehr das Spital verlassen sollte – die Hofübergabe hat der Máximo Líder offenbar geregelt. Ein paar Monate dürfte die Kontinuität gewahrt sein.

Von Sebastian Heinzel
Mitarbeit: Georg Hoffmann-Ostenhof