Kuba: Die US-Politik beginnt umzudenken

Die Folgen nach dem Abtreten von Castro

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Er hat alles überlebt: zehn amerikanische Präsidenten, das jahrzehntelange ökonomische Embargo, den Kalten Krieg und den Untergang seines ehemaligen Sponsors, der Sowjetunion. Und nach fast einem halben Jahrhundert tritt Fidel Castro ab. „Ich könnte es vor meinem Gewissen nicht rechtfertigen, Verantwortung zu tragen, die mehr an Mobilität und Aktivität verlangt, als ich zu geben in der Lage bin“, verkündete der greise und gebrechliche kubanische Revolutionär und Präsident am Dienstag vergangener Woche.

Es war ein dramatischer Schritt. Und dennoch erwartet kaum jemand eine unmittelbare und grundlegende politische Änderung auf der Karibikinsel, 140 Kilometer vor der amerikanischen Küste. Die jetzige Entscheidung, nicht mehr als Präsident zur Verfügung zu stehen, war nur einer der Schritte im langen Abschied von der Macht, der bereits im Sommer 2006 begonnen hatte. Nach einer schweren Darmoperation legte er die Staatsführung interimistisch in die Hände seines jüngeren Bruders und Mitstreiters Raul Castro. Fidel will zudem aktiv bleiben: Als Kolumnist in der Parteizeitung wird er weiter zumindest symbolisch Macht ausüben. Und seine führende Position in der Regierungspartei dürfte er behalten.

Zum anderen aber traut niemand der neuen Führung um den uncharismatischen und pragmatischen Bruder Raul einen abrupten Kurswechsel zu. Kleine pragmatische Öffnungen werden erwartet, vorsichtiges Zulassen von ein wenig Privatinitiative. Größere Schritte oder gar ernsthafte politische Reformen sind nicht angesagt: „Raul Castro und die herrschenden ­­Eliten, auch die neuere Generation, wissen ganz genau um die Gefahren für das Re­gime, die drohen, wenn man zu schnell und zu weit geht“, sagt Frank Mora, Kuba-Experte und Professor am National War College in Washington.

Ein neues Kapitel in der kubanischen Geschichte könnte in den kommenden Monaten dennoch aufgeschlagen werden. Das hat freilich weniger mit dem Rückzug des Maximo Lider zu tun als mit einem nicht unwahrscheinlichen Kurswechsel der USA. US-Präsident George W. Bush machte zwar am Dienstag klar, dass er nicht daran denkt, den konfrontativen Embargo-Kurs gegenüber Kuba aufzugeben. Er rief Raul Castro auf, doch endlich zu freien und fairen Wahlen fortzuschreiten und politische Gefangene freizulassen. „Regimechange“ ist nach wie vor Bushs Devise. Die Sanktionen bleiben aufrecht, so machte Bush klar. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass in absehbarer Zeit das Handelsembargo aufgehoben wird“, versichert der stellvertretende US-Außenminister John Negroponte. Aber Bush ist nur mehr wenige Monate im Amt. Für die Zeit danach zeichnet sich eine Änderung der US-Haltung zu Kuba ab. Vor allem wenn Barack Obama ins Weiße Haus einziehen sollte.

Kurswechsel. Bereits im Sommer des Vorjahres hat der demokratische Senator aus Illinois in einem aufsehenerregenden Zeitungsartikel im „Miami Herald“ klar seine Vorstellungen einer veränderten Kuba-Politik dargelegt: Zwar hält auch er am langfristigen Ziel fest, Demokratie und Freiheit auf der Karibikinsel zu etablieren. Konkret aber schlägt er vor: Bilaterale Gespräche der amerikanischen und kubanischen Regierung sollen beginnen. Die US-Kubaner sollen, was bisher kaum möglich ist, unbeschränkt ihre Familien auf der Insel besuchen können.

Die US-Kubaner sollen Geld an ihre Familien auf der Insel senden können.
Obama analysiert: „Die Verbindung der US-Kubaner zu ihren Familien in Kuba ist nicht nur ein humanitäres Grundrecht, sondern auch das beste Mittel, um das Entstehen ­einer Demokratie von unten zu fördern.“ Der demokratische Präsidentschaftskandidat will das Wirtschaftsembargo zwar nicht aufheben, aber graduell soll sich die Sanktionspolitik in dem Maße abschwächen, als die Regierung in Havanna Schritte in die demokratische Richtung setzt.

Auffällig ist Obamas Wortwahl: Er spricht, anders als die Bush-Regierung, nicht von der Post-Castro-Ära, er verwendet den Begriff „Post-Fidel“. Das signalisiert die Absicht, direkt mit der kubanischen Führung, das heißt auch mit Raul Castro, zusammenzutreffen. Auch in einer Debatte mit Hillary Clinton, der Rivalin um die demokratische Präsidentschaftskandidatur, bekräftigte Obama am Donnerstag vergangener Woche, dass er „without precondition“, also ohne Vorbedingung, mit Fidels Nachfolger Gespräche zu führen bereit ist.

Während der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain Anfang vergangener Woche meinte, die Abdankung Fidels wäre kein Grund, die Politik gegenüber den Karibik-Kommunisten zu überdenken, und Hillary Clinton sich nicht prinzipiell von dieser absetzen will, dürfte Obama einen fundamentalen Bruch mit dem fast ein halbes Jahrhundert alten Washingtoner Kuba-Kurs vorhaben. Er will Schluss machen mit der bisherigen konsequenten Isolierung Kubas. Obama steht damit nicht allein da. Mehr als hundert US-Kongress-Mitglieder sandten Mitte vergangener Woche einen Brief an Außenministerin Condoleez­za Rice, in der sie eine „ernsthafte Revisi­on der US-Politik“ forderten: „Unsere Politik lässt uns in diesem kritischen Moment der kubanischen Entwicklung ohne Einfluss und dient weder den Interessen der USA noch jenen des durchschnittlichen Kubaners, der letztlich der Nutznießer unserer Politik sein sollte.“ Jake Colvin, Vertreter der US-Außenhandelsorganisation NFTC, plädiert sogar für die sofortige ­Beendigung des Handelsembargos: „Wenn wir das nicht tun, riskieren wir eine weitere Generation von Kubanern uns zu entfremden und die kubanische Regierung weiter in die Arme von Staaten wie Venezuela und China zu treiben.“

Auch die jüngere Generation der Exil-Kubaner in den USA sind nicht mehr solche Hardliner wie ihre Eltern. Vor allem die von Obama vorge­schlagenen Erleichterungen bei Familienbesuchen und Geldüberweisungen sind nach ihrem Geschmack. ­Eine Mehrheit von ihnen ist dafür. Selbst einige aus der Partei von Georg W. Bush sehen inzwischen die Sanktionen als kontraproduktiv an. „Das US-Embargo war einer der Gründe, warum Fidel Castro sich so lange an der Macht halten konnte“, meint Jeff Flake, republikanischer Abgeordneter von Arizona. „Es wäre doch nicht klug, jetzt seinem Nachfolger die gleichen Chancen zu geben.“ Wie es aussieht, liegt der Schlüssel für die Zukunft Kubas nach Fidel weniger in Havanna als in Washington.

Von Georg Hoffmann-Ostenhof