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Kult: Das Apfel-Prinzip

Das Apfel-Prinzip

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Die Kontrahenten könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine ist groß und stark, leidet aber unter einem lausigen Image. Als humorloser, machtgeiler Moloch ist er verschrien, der mit allen, notfalls auch unsportlichen Mitteln seine Vorherrschaft verteidigt. Auf der anderen Seite tänzelt der Gegner: Geradezu winzig nimmt er sich gegenüber der feindlichen Übermacht aus, doch tapfer und leichtfüßig behauptet er seinen Platz im Ring und lässt sich von keiner noch so wuchtigen Attacke beirren.

David gegen Goliath, Apple gegen Microsoft: ein Szenario, dessen Dynamik die Computer-Community seit Jahrzehnten bei Laune hält. Dabei scheint es absurd, dass zwei so unterschiedliche Unternehmen – Microsoft ist auf dem PC-Sektor mit seinen Betriebssystemen längst Marktführer, Apple pendelt zwischen drei und acht Prozent Marktanteil – überhaupt aneinander gemessen werden. Trotzdem: Wenn Apple seine Innovationen aus der digitalen Wundertüte zaubert, hält die Fachwelt den Atem an.

Dieses Jahr feiert Apple ein ganz besonderes Jubiläum. Vor 20 Jahren, am 24. Jänner 1984, stellte Steve Jobs zu den Klängen von Bob Dylans „The Times They Are A- Changin’“ den ersten Apple-Macintosh vor. Waren Computer bis dahin klobige, sündteure Rechenmaschinen gewesen, die nur von Experten bedient werden konnten, punktete der Mac, wie man ihn bald liebevoll nannte, mit einer kompakten Plastikbox und all jenen Elementen, die nach unserem heutigen Verständnis einen Computer ausmachen. Auf dem Schwarz-Weiß-Bildschirm konnten Prozesse durch das Anklicken anschaulicher Symbole (Ordner, Papierkorb) auch von Laien mit dem neuen Zauberstab, der so genannten Maus, aktiviert werden. Die Arbeit am Computer wurde zum Kinderspiel. Steve Jobs bescheinigte dem Mac als erstem echtem Personal Computer eine große Zukunft und behielt Recht: Mit seinem Garagen-Spirit bot er dem uneingeschränkten Branchenführer IBM die Stirn. Der Mac wurde zum Prototypen, nach dessen Vorbild zehn Jahre später Microsoft mit seinem Betriebssystem Windows 95 den Markt aufrollte. Apple blieb, zumindest in kommerzieller Hinsicht, weit zurück.

Fans. „Mein halbes Leben ist mit Apple verknüpft“, sagt Walter Kuntner, Geschäftsführer des Apple-Vertriebs Tools At Work in Wien. 1983 hatte Kuntner in den USA den Mac-Vorläufer Apple II entdeckt. „Der Mac war dann der erste Computer mit einer Seele“, sagt er. „Apple-Computer sind Kunstwerke.“ Kuntner dreht den Sockel seines iMac um, um die makellose Unterseite zu zeigen. „Apple-Computer sind Arbeitsgeräte und Hobbymaschinen, zu denen jeder ein persönliches Verhältnis entwickelt“, sagt Gerhard Walter, Apple-Veteran mit Sammelleidenschaft. Mitte des Jahres wird er an der Wiener Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt eine Ausstellung aus eigenen Beständen zum Mac-Jubiläum organisieren.

Computer, das war 1985 ein zentraler Antrieb für Jobs, sollten Spaß machen. Designer, Grafiker, Film- und Musikproduzenten verstanden diese Message; sie zählen, neben Werbeagenturen, bis heute zu Apples treuesten Kunden. „Starmania“-Macher Thomas Rabitsch etwa arbeitet seit Jahren in seiner Musikproduktionsfirma mit Apple-Computern: „Als ich 1992 auf der Frankfurter Musikmesse sah, wie man Audiofiles auf dem Mac II visualisieren und bearbeiten kann, musste ich diesen damals sündteuren Computer unbedingt haben“, erzählt er. Auch der österreichische Filmemacher Virgil Widrich würde Windows-PCs „nur unter Zwang“ verwenden. „Mein PowerBook G4 ist ein mobiles Filmstudio“, erklärt er.

Doch auch Nichtprofis kommen mit Apples benutzerfreundlichen Systemen problemlos zurecht. Für Hobbyfotografen und -filmer bietet Apple Werkzeuge, mit denen sich die digitale Ausbeute unkompliziert bearbeiten und archivieren lässt. „Apple ist eine Philosophie, ein Luxus und Anlass steter Freude“, sagt Sat.1-Moderator und Hobbyfilmer Christian Clerici. Die ORF-Moderatorin Dodo Roscic ist nach einigen Jahren Abstinenz reumütig ins Lager der Apple-User zurückgekehrt. „Apple-Geräte sind hübsch, und das Verwalten von Fotos und Musik-Files funktioniert einfach reibungslos.“ Hobby-filmer Herbert Bialas, mit 80 Jahren wohl einer der ältesten Apple-User in Österreich, betreibt sein privates Filmstudio am Apple seit 1976. „Seit ich 1983 in Pension gegangen bin, habe ich mir privat zu Hause ein kleines Filmstudio aufgebaut“, erzählt er. Seine Passion, Eisenbahnfilme, archiviert er auf DVD.

Weniger rosig sieht die Welt für Apple im Business-Segment aus. Dort ist der Apfel-Rechner fast vollkommen verschwunden. Filmemacher Virgil Widrich, auch an der Multimediaproduktionsfirma Checkpoint beteiligt, kann das nicht verstehen: „Meine Kollegen müssen alle paar Wochen ihren Rechner neu aufsetzen.“ Außerdem hat sich Widrich nie mit Computerviren herumschlagen müssen.

Das einzige Großunternehmen, das Walter Kuntners Apple-Vertrieb in Österreich heute noch betreut, ist der Rechnungshof. „Der Sicherheitsfaktor spielt dort eine zentrale Rolle. Apple-Systeme sind vollkommen immun“, weiß Kuntner.

Neben pragmatischen Argumenten ist es aber die Euphorie der Anwender, die Apple als Player in der technokratisch grauen Welt am Leben erhält. „Apple hat es mit einer genialen Werbestrategie geschafft, über seine Produktwelt hinauszuwachsen und eine Marke aufzubauen, die eine Lebenshaltung vermittelt“, erklärt Mariusz Jan Demner von der Werbeagentur Demner, Merlicek & Bergmann. Apple kommuniziere mit seinem Logo, seinen Slogans („Think different“) und seinen Kampagnen (Mahatma Gandhi, Albert Einstein) Individualität und Unkonventionalität.

Dass sich Apple selbst dabei stets als David der Computerwelt positionierte, hat Konzept. Schon zur Einführung des Mac ließ Steve Jobs 1984 von Starregisseur Ridley Scott („Blade Runner“) einen Werbespot drehen, der alle Elemente des kämpferischen Außenseiters ins Spiel brachte: Eine athletische Läuferin als Apple-Symbol wird von kahl geschorenen Bösewichtern gejagt, im Hintergrund läuft „1984“ nach George Orwell. Die Frau zertrümmert den Bildschirm. Dazu ertönt eine Stimme aus dem Off: „Am 24. Jänner wird Apple Computer den Macintosh einführen. Sie werden sehen, warum 1984 nicht ‚1984‘ sein wird.“ Damals war IBM der übermächtige Gegner, mittlerweile heißt er Microsoft.

1985 verließ Steve Jobs Apple überraschend: interne Streitigkeiten. Als er 1997 zurückkehrte, stand das Unternehmen vor dem Bankrott. Jobs gab die Losung aus, wieder an Apples traditioneller Markenqualität, dem „innovativen Anderssein“, anzuknüpfen, stellte 1998 den farbenfrohen iMac vor und katapultierte das Unternehmen mit sensationellen Verkaufszahlen aus der Krise. Es folgte der iMac in Form einer Halbkugel, das elegante Notebook Titanium mit Riesenbildschirm – Design hieß diesmal der Innovationsfaktor. „Der große Unterschied zu allen anderen Computerherstellern besteht darin, dass für Apple Technik und Design einen vergleichbaren Stellenwert haben“, analysiert Gerhard Heufler, Studienlehrgangsleiter von Industrial Design am Joanneum in Graz.

Die jüngste Revolution heißt iPod. Mit dem MP3-Player ist der Apple 2001 in die Unterhaltungselektronik vorgedrungen. Als Draufgabe stellte Jobs in den USA in Kooperation mit den großen Plattenlabels den legalen Musik-Download-Dienst Apple Music Store auf die Beine. Wieder hatte Jobs den richtigen Riecher: Drei Millionen Songs zu je 99 Cent wurden über Apples Music Store bisher geordert, eine iPod-Version für PC auf den Markt gebracht und ein Marktanteil bei MP3-Playern von 31 Prozent erkämpft. „Eigentlich bin ich kein MP3-Fan, aber der iPod ist Wahnsinn“, schwärmt Universal-Chef Hannes Eder: „Wir sehen ungeheures Potenzial für die Vermarktung unseres Musikkatalogs.“ In Europa konnten sich die Major-Labels, im Gegensatz zu den USA, allerdings noch auf keine gemeinsame Strategie einigen, was MP3-Aficionados wenig stört. Der Wiener Apple-Händler Florian Scheibner von MacShark sieht den Erfolg an den Verkaufszahlen: „iPods sind die Renner und bringen neue Kunden, viele kaufen sich nach dem iPod ein iBook dazu.“

Apple muss für Product Placements in Hollywood-Filmen kein Geld zahlen, weil die Marke es geschafft hat, Kultappeal zu erzeugen und vor allem: ihn zu bewahren. Apple gilt auf eine aparte Weise als schick und spricht deshalb eine Elite an, die genau diesen Chic repräsentieren will und dabei Werte vereint, die eigentlich als inkompatibel gelten: Wohlstand und Rebellion, Nonkonformismus und Karrierismus. Aus diesem Grund bedient Apple Trendsetter, die Wert auf Stil und Qualität legen und bereit sind, für gutes Design mehr Geld auszugeben; für deren Shopping-Erlebnis wurden in den USA elegante Apple-Flagshipstores gebaut.

Apple bleibt aber auch ein Hafen für all jene, die um die Freiheit der Informationsgesellschaft fürchten und Apple aus weltanschaulichen Gründen nutzen. Prominentes Beispiel ist die Internet-Ikone John Perry Barlow, seit Jahren als Vorstand in der Electronic Frontier Foundation für die Rechte im Internet engagiert: „Ich verstehe nicht, warum die Menschen sich von Microsoft versklaven lassen. Die Techno-Bauern, die sich an Microsoft ketten, sind das Proletariat von heute.“

Als Steve Jobs auf der Macworld vergangene Woche in San Francisco das Jubiläum des ersten Mac feierte, „Digital Lifestyle“ predigte und vorführte, wie die richtige Software jeden zu einem kreativen Kopf macht, jubelte die Community. „Produziert eure eigene Musik und stellt sie ins Netz, ihr werdet keine Probleme mit dem Copyright haben“, rief der charismatische Entertainer, dem die Fans auch Flops verzeihen. Einer der glühendsten Apple-Fans ist in der österreichischen Szene als „Teddy the Bear“ bekannt: Er hat seit 1986 keine Apple-Messe versäumt und nennt die „Macworld neben Weihnachten als wichtigsten Fixpunkt seines Jahres. Da sitzt du und weißt als Experte, dass nicht alles, was Steve sagt, stimmen kann, aber du glaubst es ihm trotzdem.“

Denn nicht nur Apple, auch Steve Jobs ist Kult. Wird Jobs mit seiner visionären Innovationskraft die IT-Branche noch weiter in Atem halten? „Die Frage ist, ob Apple seiner ungemein magischen Marke in Zukunft selbst gerecht werden kann“, sagt Zukunftsforscher Matthias Horx, selbst leidenschaftlicher Apple-User.

Paradoxerweise könnte Apple nämlich nur ein zu großer Erfolg richtig gefährlich werden. In diesem Fall nämlich müsste der Konzern seine gut eingeführte Markenstrategie ändern. Schluss mit Sympathiewerten für den Zwerg, vorbei das Privileg, Eliten zu bedienen. Konrad Becker von der Wiener Internet-Plattform Public Netbase bringt das Phänomen auf den Punkt: „Apple macht seine User genauso abhängig, wie Microsoft immer vorgeworfen wird.“ Der Unterschied: Weil Apple klein ist, stört das niemanden. Tatsächlich pflegen Apple und Microsoft längst gute Geschäftsbeziehungen. Wenn der Zwerg also eines Tages selbst zum Riesen wird, muss sich Steve Jobs mal wieder etwas ganz Neues überlegen.