Bereitschaftsdienst: Staatsoperndirektion

Kulturpolitik: Bereitschaftsdienst

SP: Kurioser Machtkampf um Holender-Nachfolge

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Man möchte meinen, der österreichische Bundeskanzler habe dringendere Sorgen, als sich um die Frage zu kümmern, wer die Wiener Opernfreunde in Zukunft mit Belcanto versorgen soll. Die SPÖ hat soeben die Hochschülerschaftswahlen symbolträchtig verloren, Behindertenverbände laufen lautstark gegen das neue Pflegegesetz sozialdemokratischer Prägung Sturm, von dem kräfteraubenden Ringen um den Ausstieg aus einem wasserdichten Eurofighter-Vertrag ganz zu schweigen.

Doch Kanzler Alfred Gusenbauer ist, wie er im Wahlkampf nicht müde wurde zu betonen, ein Mann der Kultur im Allgemeinen und ein glühender Verehrer der Oper im Besonderen. Nachdem die Nachfolge von Staatsoperndirektor Ioan Holender vergangenen März öffentlich ausgeschrieben worden war, legte der SPÖ-Chef eine Extranachtschicht ein, um in der ORF-Sendung „Treffpunkt Kultur“ kein Staatsgeheimnis aus seiner Meinung zu machen: Tenor Neil Shicoff sei für den Job der geeignete Mann.

Die Oper steht in Wien seit jeher hoch im Kurs. Staats-, Volks- und Kammeroper sowie das Theater an der Wien versorgen pro Abend bis zu 4000 Besucher mit dem hohen ABC, klassische Spitzenkräfte wie Anna Netrebko oder Elina Garanca reisen regelmäßig mit schwerem Ariengepäck an, und die Fans nehmen für eine luxuriöse Kehle auch stundenlange Wartezeiten an der Stehplatzkasse gleichmütig in Kauf.

In dieser Hinsicht zumindest liegt Gusenbauer goldrichtig: Die Ernennung eines neuen Operndirektors ist in Österreich ein Akt nationaler Bedeutung.

Kaum gab der amtierende Impresario Holender am 20. Februar via Fax bekannt, dass er „für eine etwaige Verlängerung“ seines Vertrags über das Jahr 2010 hinaus „nicht mehr zur Verfügung“ stehe, begann das heitere Kandidatenraten. Experten, Politiker und Journalisten speisen seither eifrig die Namen potenzieller Nachfolger in den medialen Durchlauferhitzer ein: Quotenfrauen wie Hamburgs Intendantin Simone Young, 45, oder die emsige Regiearbeiterin Christine Mielitz, 56, wurden genannt, kurze Zeit stand Frankfurts Opernmacher Bernd Loebe hoch im Kurs, und als bemerkt wurde, dass Valencias Opernhaus von der Österreicherin Helga Schmidt geleitet wird, horchten die Auguren freudig auf.

Farce. Um dem Gesetz Genüge zu tun, wurde der lukrative Posten öffentlich ausgeschrieben. Doch langten bei Kulturministerin Claudia Schmied bloß 15 dürre Bewerbungen ein. ÖVP-Kultursprecher Franz Morak diffamierte das Prozedere als „Beauty-Contest“, Holender nannte die Ausschreibung eine „Farce“. Kurioses Detail am Rande: Zwar hat Rudolf Berger als Volksoperndirektor erst unlängst das Handtuch geworfen, dennoch reichte das SPÖ-Mitglied ein Bewerbungsschreiben ein.

Ungerührt von dem Versuch, der Suche nach einem Nachfolger mittels Ausschreibung zumindest den Anschein von Objektivität zu verleihen, zelebriert Gusenbauer schon fast obsessiv seine Freundschaft zu jenem Mann, den er gern als neuen Herrn im Haus am Ring installieren würde: Bei der Staatsoperngala zu Placido Domingos 40. Bühnenjubiläum teilte er sich mit Shicoff demonstrativ eine Loge.

Neil Shicoff, 58, genießt in der Opernbranche einen durchaus zweischneidigen Ruf. Der gebürtige New Yorker gilt als einer der besten Tenöre der Gegenwart und ging als Eléazar („La Juive“) in die Annalen der Operngeschichte ein. Doch würzte der Stadtneurotiker seine Karriere auch mit hysterischen Absagen: Eine Aufführung von Puccinis „Tosca“ an der Wiener Staatsoper verließ er vorzeitig, in den achtziger Jahren stornierte er ganze Aufführungsserien, sagte Produktionen zu – und wieder ab.

Dass ausgerechnet dieses „Geschöpf der Nerven“ (Munzinger-Archiv) den behäbigen Staatsoperntanker durch die schweren Gewässer des internationalen Operngeschäfts steuern soll, löst bei den Kommentatoren entweder sardonisches Gelächter oder blanke Bestürzung aus. „Shicoff als Direktor wäre eine Bankrotterklärung“, urteilt Reinhard J. Brembeck von der „Süddeutschen Zeitung“. Die Sängerin Brigitte Fassbaender attestiert ihrem Kollegen „eklatanten Erfahrungsmangel“, für die „Presse“ wäre Shicoff als Operndirektor „bizarr“, für „Die Zeit“ eine „kuriose Entscheidung“, und Manuel Brug von der „Welt“ prophezeit: „Mit ältlichen Sängerstars an der Spitze wird das Haus ganz schnell Schiffbruch erleiden.“

In einem ersten Interview gab Shicoff vor Monaten freimütig bekannt, sich bereits mit „Premieren, Besetzungen, Regisseuren und Dirigenten beschäftigt“ zu haben. Gegen die landläufige Meinung, er sei zu exzentrisch für einen Management-Job, setzt sich der Stimmartist zur Wehr: „Diese Einschätzung datiert aus einer Zeit vor vielen Jahren. Wer 30 Jahre einer stabilen herausragenden Karriere hinter sich hat, dem kann nicht unterstellt werden, er wäre nicht diszipliniert und hätte nicht genug Kreativität und Leidenschaft für solch ein Amt.“

Streit. Mit Shicoffs Nominierung hat Gusenbauer nicht nur einem Freund einen gravierenden Startvorteil verschafft, sondern sich selbst und die eigentlich ressortzuständige Ministerin Schmied in eine fatale Opposition zueinander gebracht. Wer immer den heiligen Stuhl schließlich besteigen wird, einer der beiden Spitzenpolitiker wird dabei sein Gesicht verlieren: Nimmt Shicoff Platz, ist Schmied zur Handlangerin ihres Parteichefs degradiert. Setzt sie ihren Favoriten gegen Gusenbauers Willen durch, ist die Macht des Kanzlers höchstpersönlich ramponiert.

Längst hat Schmied die Öffentlichkeit nämlich wissen lassen, dass ihr Ministerium für die Bestellung zuständig sei: „Die Entscheidung treffe ich“, richtete sie ihrem Kanzler unmissverständlich via Medien aus. Bis dato bat die einstige Bankerin insgesamt 30 Kandidaten zum Gespräch. Alexander Pereira, der Zürcher Opernchef, ist schon wieder out, mit Pamela Rosenberg, der Geschäftsführerin der Berliner Philharmoniker, traf sie sich erst unlängst zum Kaffee. Weiters sprachen vor: die Dirigenten Daniel Barenboim, Daniele Gatti, Christian Thielemann und Franz Welser-Möst.

Die Ernennung des Nachfolgers von Ioan Holender ist zu einem bizarren politischen Kräftemessen innerhalb der SPÖ geworden: Eisern kämpft Schmied um die Hoheit in der Kulturpolitik. Dabei lässt sich die oberste Kulturpolitikerin des Landes intensiv vom einstigen SP-Minister Rudolf Scholten beraten. Dieser führte Gespräche mit Welser-Möst und zeigte sich von dem Österreicher durchaus beeindruckt. So beeindruckt, dass er ihn zu seinem – und wohl auch Schmieds – Favoriten erkor.

Ioan Holender hat den gebürtigen Linzer ohnedies bestens für den Nachfolgekampf in Stellung gebracht: Er vertraute Welser-Möst das prestigeträchtige Dirigat von Wagners „Ring des Nibelungen“ an (ab Herbst 2007); schon 2004 überlegte er, den einstigen Protegé Herbert von Karajans zum Chefdirigenten der Staatsoper zu ernennen. Doch dieser lehnte höflich ab.

Möst, bis 2012 Chefdirigent des Cleveland Orchestra, beherrscht das Repertoire der Gattung aus dem Effeff. Allein an der Zürcher Oper hat er über 600 Aufführungen von 45 Opern dirigiert. Beim Orchester der Wiener Staatsoper zwar nicht unbedingt als Dirigent geschätzt, ist Möst bemüht, mit Komplimenten Stimmung für sich zu machen: Eine Orchesterqualität wie jene der Staatsoper gebe „es nirgendwo sonst“, bekannte er in einem Interview.

Grabenkampf. Im Ausland wird das heimische Gezerre um den prestigeträchtigen Posten mit Staunen verfolgt: Statt über die Zukunft des Hauses zu diskutieren, verbarrikadieren sich die agierenden Politiker hinter ihren Kandidaten und führen politische Grabenkämpfe. Dabei wäre eine Diskussion darüber, wohin der neue Direktor sein Haus denn eigentlich lenken solle, von gewisser Dringlichkeit.

„So wie sie heute geführt wird, ist die Staatsoper vielleicht ein gut funktionierender Betrieb; künstlerisch hat sie jede Bedeutung verloren“, meint Peter Hagmann, der Kritiker der „Neuen Zürcher Zeitung“, nüchtern. „Wenn ich die noch immer blühende Opernlandschaft Europas überblicke, sehe ich zahlreiche Häuser, die über eine geringere Reputation (und wesentlich weniger Mittel), aber weitaus mehr künstlerische Ausstrahlung verfügen.“

Reinhard Brembeck von der „Süddeutschen Zeitung“ wünscht sich an der Donau „interessantere Regisseure und mehr Stücke des 20. Jahrhunderts“; Manuel Brug von der „Welt“ gibt zu bedenken, dass „selbst der beste Sänger in einer fünfzig Jahre alten ‚Butterfly‘ nur noch lächerlich wirkt“. Eigentlich müsse die Politik erst diese „dringenden Fragen“ klären, so Brug weiter, und dann nach einer neuen Staatsopernleitung Ausschau halten. „Doch in Österreich läuft ja alles andersherum.“

Dramatisch spitzt sich die Lage im Orchestergraben zu: Das Staatsopernorchester musste in den vergangenen zehn Jahren einen Reallohnverlust von bis zu 14 Prozent hinnehmen. Nun stehen erneut Lohnverhandlungen an, und Betriebsrat Michael Bladerer fordert 5,9 Prozent Erhöhung. „Ich habe keine Angst vor einem Streik“, stellt er der Bundestheater-Holding die Rute ins Fenster. „Während die Auslastung der Oper ständig steigt, sind unsere Gehälter eingefroren. Das Spielchen hat jetzt ein Ende. Wenn man uns nicht entsprechend entgegenkommt, wird der Vorhang unten bleiben.“

Am 13. Juni will Schmied ihre Entscheidung, wer in die Beletage der Sangesburg Einzug halten soll, im Rahmen einer Staatsopern-Aufsichtsratssitzung bekannt geben. Bis es so weit ist, stehen die Zeichen auf Sturm: Obwohl selbst seine eigenen Berater Gusenbauer davon zu überzeugen suchen, dass Shicoff nicht in der Lage sei, ein so großes Haus zu führen, stellt sich der Kanzler auf diesem Ohr taub. Um Kritiker zu kalmieren, sei er bloß dazu bereit, seinem Mann einen Profi zur Seite zu stellen: Welser-Möst habe telefonisch Bereitschaft signalisiert, auch Christian Thielemann sei noch im Gespräch.

Es dürfte eisiges Klima herrschen, wenn der Kanzler und seine Ministerin diese Woche gemeinsam die Kunstbiennale in Venedig besuchen. In der Lagunenstadt sollen die entscheidenden Gespräche stattfinden. Kommt doch Pamela Rosenberg zum Zug? Macht Barenboim überraschend das Rennen? Am Ballhausplatz schreckt man dem Vernehmen nach nicht einmal mehr vor dem Szenario zurück, Claudia Schmied aus ihrem Amt zu entlassen. Nur Oper ist dramatischer.

Von Peter Schneeberger