Kunst in Salzburg: Noblesse oblige

Die Machtverhältnisse der Kunst in der Festspielstadt

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Nikolaus Ruzicska amüsiert sich noch heute, wenn er an die Anfrage denkt, die ihn kürzlich ereilte. Die Journalistin am Telefon hatte eine dringende Bitte zu ihrer Berichterstattung über Ruzicskas Kunstaktivitäten: ob es denn möglich sei, ein Foto des Neogaleristen mit der Dirigentenwitwe Eliette von Karajan zu schießen. Wenn deutsche Boulevardmagazine über die Eröffnung einer Galerie in Salzburg berichten, dann wissen sie schon im Voraus sehr genau, welche local heroes unbedingt dabei sein sollten.

Es gibt durchaus ein Salzburg, das nicht nur aus dem Kulturfaktor Festspiele und dem Society-Faktor Aristokratie besteht, doch es wird angesichts der erdrückenden Dominanz einiger weniger zentraler Player (siehe auch Kasten Seite 134) zusehends abgedrängt. An Agnes Husslein-Arco zum Beispiel, selbst Gräfin, kommt man in Salzburgs Kunstszene nicht vorbei. Sie war lange Jahre für das internationale Auktionshaus Sotheby‘s tätig und ist seit 2001 Direktorin des Rupertinums, zu dem auch das neu eröffnete Museum am Mönchsberg gehört. „Das Tolle an Salzburg ist: Es ist eine einmalige Plattform“, schwärmt Husslein-Arco. „Das Publikum, das sich hier befindet, die vielen Kunstsammler, die zu Ostern und im Sommer immer wieder anreisen – so konzentriert finden Sie das nirgendwo. Sie müssten eineinhalb Jahre um die Welt fahren, um alle diese Menschen zu besuchen.“ Für zeitgenössische Künstler böten sich dadurch in Salzburg „einmalige Chancen“.

Die mehr oder weniger blaublütige Schickeria Salzburgs wirkt offenbar tatsächlich anziehend auf manche Künstler. Zwar stellt der Adel längst nicht mehr das Gros der Sammler – dies bestätigt auch „Stargalerist“ Thaddaeus Ropac, der mit seinen Standorten in Paris und New York einer der wenigen ist, die in Österreich tatsächlich international arbeiten. Dennoch: Salzburg fungiert als eine Art Kontaktbörse zwischen (Geld-)Adel und Kunstschaffenden, als Drehscheibe zwischen zwei Szenen, die bis heute der Hauch des Ausschweifenden und Exzentrischen umweht.

In den Fotografien der 85-jährigen Marianne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn ist das dekadente Zusammenspiel von Jet-set und Kunst in der Festspielstadt seit Jahrzehnten bestens dokumentiert. Kaum ein Event, bei dem die vitale Fotoreporterin nicht zugegen wäre, um Society-Skurrilitäten aller Art einzufangen: ein Mittagessen mit dem satt grinsenden US-Künstler Julian Schnabel, an dessen behaarte Brust sich Eliette von Karajan schmiegt; ein Abendessen bei der Pelzdesignerin Ingeborg Bergmann mit, so der Bildtext der Fürstin, „interessanten“, wenn auch sonst nicht näher benannten Künstlern; der Direktor des New Yorker Guggenheim-Museums, Thomas Krens, der stolz die Pläne für seine funkelnde Filiale in Bilbao präsentiert.

Seilschaften. Obwohl die Salzburger Kultur seit jeher von Seilschaften dominiert wird, scheint sich deren Dynamik in den vergangenen Jahren noch beschleunigt zu haben. „Refeudalisierungsprozesse“ nennt das der mit der lokalen Szene gut vertraute Kunstkritiker Anselm Wagner: „(Pseudo)adeliges Getue ist in Kunstsachen seit der Wende im Jahr 2000 wieder schick geworden“, schreibt er in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Parnass“ und meint damit eher eine forciert noble Attitüde als die tatsächlich aktive Aristokratie. Doch auch der Adel selbst ist in Salzburg weiterhin hochaktiv – und hervorragend vernetzt: Keine Geringere als die Kunstsammlerin Francesca Habsburg wurde von Husslein-Arco eingeladen, zur Festspielzeit die Ausstellung „einleuchten“ im damals noch nicht offiziell eröffneten Museum am Mönchsberg zu kuratieren, und zwar mit Leihgaben, die weit gehend aus Habsburgs eigenen Beständen stammten. Dass sich die engagierte Sammlerin als Kuratorin bis dahin keineswegs hervorgetan hatte, fiel dabei offenbar ebenso wenig ins Gewicht wie der Umstand, dass der Katalogbeitrag der Neueinsteigerin eher romantisch als kunsthistorisch anmutete.

Solcherart „geadelte“ Kunstereignisse verfehlen ihre Wirkung allerdings nicht. „Leute tauchen auf, die vorher nie auf Vernissagen waren“, bemerkt Anselm Wagner. Echtes Kunstverständnis wird dabei oft durch Aristo-Glamour ersetzt: Anfang Juni 2004 erwiesen, wie die Einladungskarten devot festhielten, „Ihre Königlichen Hoheiten Prinzessin Astrid von Belgien und Erzherzog Lorenz von Österreich“ dem Rupertinum anlässlich einer Ausstellungseröffnung die Ehre – die Schau selbst stand unter der Schirmherrschaft „Seiner Majestät König Albert II. von Belgien“. Die „Salzburger Nachrichten“ konnten sich einen sarkastischen Seitenhieb nicht verkneifen: „Selbst Salzburger Szene-Promis (…) erfuhren, was es heißt, wenn man mal draußen bleiben muss. Sie bekamen die Prinzen nicht zu Gesicht. Der Hochadel blieb unter sich.“

Society-Kultur. Auch Cyriak Schwaighofer, Fraktionsobmann der Salzburger Grünen und selbst im Kulturbereich tätig, beklagt diese Entwicklung: „Der Besucherkreis des Museums am Mönchsberg hat sich gewandelt. Es geht nun weit weg von dem, was es einmal sein sollte: kritisch und am Puls der Zeit.“ Andere, kleinere Salzburger Institutionen – etwa der Kunstverein und die Galerie 5020 – haben diese Aufgabe inzwischen übernommen, wobei es kaum Berührungspunkte mit der Society-Kultur gibt. Diese schotte sich bewusst ab, so ein Branchenkenner, „und es stellt sich die Frage: Wem nützt der Adelskram?“ Ähnlich sieht es Wagner: „Da definieren sich Gruppen, die miteinander nichts zu tun haben.“

Die Diversifizierung der Szene hat sich in Salzburg verfestigt. Das jeweilige Zielpublikum ist klar unterteilt, Fluktuation zwischen den „großen“ Kunstorten, die fast die gesamte mediale Aufmerksamkeit absorbieren, und den kleinen Initiativen gibt es kaum noch. Hildegard Fraueneder, Geschäftsführerin der Galerie 5020, grenzt ihr Programm dezidiert ein: „Uns geht es nicht darum, einen internationalen Jetset oder eine bürgerliche Ästhetik zu befriedigen. Wir versuchen vielmehr, mit Künstlern gute Arbeiten zu realisieren und diesen sozusagen eine Visitenkarte für Museumsausstellungen in die Hand zu geben.“

Eine Visitenkarte allein freilich reicht noch nicht. Die finanzielle Situation der freien Kunstszene ist äußerst angespannt: Die kostspielige Errichtung des neuen Museums am Mönchsberg etwa führte indirekt auch zu schmerzhaften Subventionskürzungen für die „Kleinen“. Zwar erhöhte das Land Salzburg sein Kulturbudget für 2004 um sieben Prozent, doch die Mehrausgaben flossen fast zur Gänze in das Museum. Und für 2005 droht einzelnen Initiativen überhaupt eine Kürzung von 50 Prozent der Förderungssummen.

Trotzdem beklagt auch Husslein-Arco mangelnde Subventionierung. Mit ihrem Ankaufsbudget von 100.000 Euro könne sie „keine großen Sprünge machen“ (profil 43/2004). Daher sei sie auf Dauerleihgaben angewiesen, „die ich aus meinen alten Beziehungen, die ich mir über die Jahrzehnte erworben habe, beziehe“. So sind in der Eröffnungsausstellung „Vision einer Sammlung“ derzeit etwa Kunstwerke aus der Sammlung des Wiener Rechtsanwaltes Ernst Ploil, aus der ominösen Pisces-Collection (der Eigentümer will ungenannt bleiben), aus der Thyssen-Bornemisza-Collection von Francesca Habsburg sowie aus der Sammlung Batliner zu sehen.

Mäzen. Prof. Dr. iur. Dr. rer. oec. Dr. h. c. Herbert Batliner, hochdekorierter Rechtsanwalt aus Vaduz und Gründer des ÖVP-nahen Forschungsinstituts für Europäische Politik und Geschichte, tritt gern als Kunst- und Bildungsmäzen auf; er finanzierte unter anderem eine vom früheren ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer gegründete Bibliothek. Dass das Museum der Moderne, das Prestigeprojekt des ehemaligen Landeshauptmanns Franz Schausberger (VP), trotz gegenteiliger Beteuerungen der Direktorin eher der schwarzen Reichshälfte zuzuordnen ist, dokumentieren nicht nur die vielen Scharmützel, die Husslein mit Salzburgs rotem Bürgermeister Heinz Schaden und der Landeshauptfrau Gabi Burgstaller ausgetragen hat, sondern auch diverse Ressortverschiebungen in den vergangenen Jahren: Unterstand das Rupertinum früher dem Kulturressort (damals vom roten Landesrat Othmar Raus geleitet), so wurde der Museumsneubau in die Chefagenden des damaligen Landeshauptmanns Franz Schausberger verschoben – gemeinsam mit anderen großen kulturellen Einrichtungen wie den Festspielen oder dem Salzburger Museum Carolino Augusteum. Nach dem Wahlsieg der SPÖ im März wurde die Zuständigkeit für das Museum an den schwarzen Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer junior weitergegeben. Dieser hatte Husslein gegen die sich häufenden Angriffe von früheren Mitarbeitern und Medien verteidigt.

Die hohe Personalfluktuation unter Husslein und ihr angeblich eisernes hausinternes Regiment wurden in den vergangenen Jahren oft kritisiert. Im Sommer 2004 brachten die Freiheitlichen im Landtag eine Anfrage zu Hussleins Führungsstil ein. Ergebnis: Zwölf Mitarbeiter hatten zwischen Jänner 2001 und Juli 2004 das Haus verlassen, elf davon freiwillig. Die durchschnittliche Verweildauer im Sekretariat betrug nicht mehr als neun, in Marketing und Kuratorenschaft zehn Monate.

Hussleins Vertrag läuft bis Ende 2005 – vor kurzem wurde die Position der Geschäftsführung des Museums neu ausgeschrieben. Obwohl dieser Vorgang durch das „Stellenbesetzungsgesetz“ vorgeschrieben ist, gab sich Husslein indigniert. „I am not amused“, erklärte sie in „News“, wo die Direktorin prompt als „großkoalitionäres Spielmaterial“ bezeichnet wurde. Sie selbst scheint gegenwärtig auch Karriereoptionen außerhalb Salzburgs ins Auge zu fassen: Gerüchteweise interessiert sich Husslein nicht nur für die Direktion des Wiener Museums moderner Kunst, sondern auch für die Leitung der Österreichischen Galerie Belvedere. Wilfried Haslauer ließ seinerseits bereits im August durchblicken, dass er Husslein gern in Salzburg halten würde: „Für die Zukunft muss gelten: Wenn wir uns dieses Museum leisten, müssen wir mit den Ausstellungen an der internationalen Spitze dabei sein. Frau Direktor Husslein hat dafür blendende Kontakte.“

Leihgaben-Coup. Ein Gutteil dieser blendenden Kontakte marschierte Ende Oktober zur Eröffnung des Museums der Moderne auf. So sprach zum Festakt Thomas Krens, den als Direktor des Guggenheim-Museums eine langjährige Geschichte mit Salzburg verbindet. An zukünftigen Kooperationen mit dem Museum ist er interessiert. Den noch größeren Coup hatte allerdings bereits Anfang Oktober Thaddaeus Ropac gelandet, für dessen Galerie Krens eine Ausstellung kuratierte. Angesichts der illustren Leihgaben – unter anderem wurde Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ eigens aus St. Petersburg eingeflogen – stand das Publikum Schlange. „Die Leute kamen von überall her – am meisten aus Deutschland, aber auch viele Amerikaner“, erzählt Ropac begeistert. Kleiner Wermutstropfen: „Vor Ort selbst zeigte man sich mäßig beeindruckt.“

Die Beziehungen zwischen Ropac und dem Museum der Moderne entwickeln sich dennoch äußerst harmonisch. Ropac stellte Husslein nicht nur Dauerleihgaben, unter anderem von Gilbert & George und Anselm Kiefer zur Verfügung, er schenkte dem Museum zudem ein Werk von Imi Knoebel. Und im Jahresprogramm des Rupertinums finden sich unter den wenigen Einzelausstellungen zeitgenössischer Künstler gleich zwei aus dem Programm der Galerie Ropac: Philippe Bradshaw und Donald Baechler.

Die Kunstterrains in Salzburg sind klar abgesteckt: eine auf Society-Ebene wirksame Szene einerseits, die freien Kulturinstitutionen auf der anderen Seite. Es bleibt abzuwarten, wo sich der neue Galerist Nikolaus Ruzicska, langjähriger Mitarbeiter von Ropac, zwischen diesen Fronten ansiedeln wird. Die Trennung von Ropac dürfte nicht ganz friktionsfrei verlaufen sein – Ropac habe, sagt Ruzicska, eben ein Problem damit, wenn sich seine Partner selbstständig machten. Jetzt demonstriert man wieder Gelassenheit, obwohl Ruzicska sowohl Kunden als auch Künstler in seine Galerie mitgenommen hat. Dennoch meint er, „dass ich hier etwas Neues kreiere, ich nehme niemandem etwas weg; ich füge nur hinzu.“

Ruzicskas Galerie wurde von der Presse anlässlich der Eröffnung als Missing Link für die Salzburger Kunstszene gefeiert. Der Brückenschlag zwischen High-Society und Off-Society wird dennoch kein leichtes Unterfangen sein. Ruzicska hat auch schon einen Plan: „Mit Leuten vor Ort zu kooperieren, wünsche ich mir.“ Wen er damit meint, wird sich zeigen.