Kunst: Zur Goya-Ausstellung im KHM

Kunst: Schlachtbesessen

Die Werke des zwiespäl-tigen Spaniers in Wien

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Ein alter Mann und ein kleines Mädchen wandeln nächtens einen endlos scheinenden Gang entlang. „Weißt du, wer das größte Ungeheuer im Universum ist?“, fragt der Greis seine Tochter und gibt die Antwort gleich selbst: „Der Mensch.“ Der weißhaarige Alte, der sich mühsam dahinschleppt, heißt Francisco José de Goya y Lucientes (1746–1828). In seinem Historienfilm „Goya in Bordeaux“ lässt der spanische Regisseur Carlos Saura keine der vielen Legenden aus, die sich um Leben und Werk des Malers ranken: Goya als feuriger Liebhaber, der Herzoginnen ebenso wie Nonnen verführt. Goya als einsamer Besessener, den im flackernden Kerzenschein die Gestalten aus den eigenen Bildern überfallen. Goya als Wahrheitsfanatiker, der vor den berühmten „Meninas“ von Diego Velázquez das Leben als „Zerrspiegel“ erkennt.

Nun stellt das Wiener Kunsthistorische Museum Gemälde, Zeichnungen und Tapisserien des spanischen Meisters aus – um damit das Bild Goyas zu „normalisieren“, wie Kurator Wolfgang Prohaska sagt, indem man ein möglichst breites Spektrum seines so ausufernden wie widersprüchlichen Schaffens präsentiere.

Gut arrangiert. 1746 als Sohn eines Vergolders in der Nähe von Saragossa geboren, machte sich Goya zunächst mit Entwürfen für die königliche Teppichmanufaktur einen Namen. 1789 ernannte ihn Karl III. zum „Hofmaler“. In jener Zeit widmete sich Goya vorwiegend der höfischen Repräsentationsmalerei, die er mit wenig schmeichelhaften Darstellungen zwar bisweilen subtil unterwanderte, ohne dabei aber von den Wegen der gefälligen Malerei allzu weit abzuweichen.

Dies sollte sich jedoch schlagartig ändern. Eine Krankheit, möglicherweise Meningitis, raubte dem Künstler 1792 das Gehör. In der Isolation begann er, in zynischen wie fantastischen, gewitzten wie unheimlichen Zeichnungen, Radierungen und Gemälden, die Bösartigkeit von Politik und Gesellschaft anzuprangern, die niedrigen Triebe des Individuums zu verspotten – wie etwa in seinen berühmten „Caprichos“. Später fanden die Napoleonischen Kriege ihren Niederschlag in der berühmten „Erschießung der Madrider Aufständischen am 3. Mai 1808“ sowie im Radierzyklus „Desastres de la Guerra“. Die Wände seines Hauses nahe Madrid überzog Goya mit düsteren Bildern, ehe er es 1824 verließ, einige Jahre nach dem Ableben seiner Frau Josefa, die er offenbar vor allem aus Karrieregründen geheiratet hatte. Er emigrierte nach Bordeaux, wo er 1828 starb.

Trotz seiner spöttischen Darstellungen politischer wie religiöser Würdenträger arrangierte sich Goya offenbar stets mit den Mächtigen. Sein Status als „Pintor del Rey“ scheint ihm früh zu Kopf gestiegen zu sein. Die Goya-Forscher Pierre Gassier und Juliet Wilson stellen fest: „Wie alle Emporkömmlinge neigte er dazu, den Gecken zu spielen.“ Sauras Film zeigt einen Goya, der stolz von sich behauptet, „keine Zugeständnisse gemacht“ zu haben. Angesichts der harmlosen Porträtmalerei, die immerhin weite Teile seines Werks ausmacht, scheint das Image des kompromisslosen Draufgängers allerdings wenig haltbar.

Attackierte Sensibilität. Heute wird Goya als Vorläufer von Symbolismus und Surrealismus betrachtet, als prägender Einfluss für moderne Maler, etwa Manet, und sogar Filmemacher wie Stanley Kubrick. In Berlin, wo die Goya-Ausstellung – mit einigen Unterschieden in der Werkauswahl – während der vergangenen drei Monate gezeigt wurde, titulierte man Goya etwas reißerisch sogar als „Prophet der Moderne“.

Den wohl spannendsten Beitrag zur Aktualität der Kunst Goyas lieferte die im Vorjahr verstorbene Essayistin Susan Sontag. In ihrem 2003 erschienenen Text „Das Leiden anderer betrachten“ verglich sie Goyas „Desastres de la Guerra“ (die „Schrecken des Krieges“) mit dem Genre der Kriegsfotografie. Vor Goya hatte man Kriege ausschließlich in Schlachtengemälden dargestellt, in denen das Individuum nur als winzige Figur in der Menge erschien, meist weit entfernt. Goya dagegen rückte das Leiden des Einzelnen massiv in den Vordergrund, stieß mit seinem erbarmungslosen Blick das Publikum förmlich ins Geschehen hinein. „Mit Goya tritt innerhalb der Kunst ein neues Maß an Empfänglichkeit für das Leiden in Erscheinung“, schrieb Sontag. „Die Darstellung von Kriegsgräueln wird als Attacke auf die Sensibilität des Betrachters vorgetragen.“ Zwar sah Goya nicht alle seiner Motive mit eigenen Augen. Dennoch nahm er mit seiner sehr direkten Darstellung realen Kriegsgeschehens vieles von dem vorweg, was heute den Medienalltag bestimmt. Nicht ohne Grund wählte Goya für seine „Desastres“ die Radierung – sollte der Zyklus doch in hoher Auflage gedruckt werden und vor Kriegstreiberei warnen. Dazu kam es allerdings erst nach Goyas Tod: Wären die Drucke publiziert worden, hätte er sein Leben riskiert.

Der Zyklus wird bis heute gerne von Künstlern aufgegriffen, schon seiner Drastik wegen. So bauten etwa die Briten Jake und Dinos Chapman eines der Schreckensbilder Goyas als Skulptur nach und übermalten sogar eine 1937 gedruckte Version der „Desastres“ mit comicartigen Fratzen. Etwas respektvoller agierten die Österreicher Arnulf Rainer (siehe Interview) oder Herwig Zens, die sich in vielen ihrer Arbeiten ebenfalls auf Goya beziehen.

Fest steht, dass sich Goyas schonungslose Anklagen, aber auch seine höfischen Repräsentationsgemälde heute hervorragend vermarkten lassen. Bereits im Vorjahr zeigte das Wiener Leopold Museum einige seiner Druckzyklen: 150.000 Besucher sahen die Ausstellung. In der Alten Nationalgalerie in Berlin zog Goya bereits 230.000 Menschen an – die sich auch drei Stunden lang dafür anstellten oder zu nachtschlafender Zeit kamen: Zuletzt war das Museum von morgens um acht bis drei Uhr Früh geöffnet. Im Kunsthistorischen Museum ist man auf vergleichbare Anstürme vorbereitet und wird an den Wochenenden abendliche Exklusivbesichtigungen anbieten. Dafür wird der Besucher allerdings auch 20 Euro, den doppelten Eintrittspreis, bezahlen müssen. Diese saftige Preispolitik rechtfertigt die Direktion des KHM mit erhöhten Personalkosten. Zudem müsse sich das Publikum dann nicht so drängeln: „Nur“ 500 Personen dürfen jeweils gleichzeitig die Ausstellung besuchen.

Heerscharen. Längst werden also die Besuchermassen in der Planung berücksichtigt. Mit gutem Grund: Gerade in den vergangenen Jahren waren Ausstellungen alter Meister Publikumsmagneten. So konnte die Albertina vor zwei Jahren mit ihrer Dürer-Ausstellung 470.000 Besucher und damit die bestbesuchte Kunstschau verbuchen, die je in Österreich gezeigt wurde. Auch für Rubens und Rembrandt interessierten sich weit über 200.000 Menschen. Im Kunsthistorischen Museum sahen 2001 rund 375.000 Besucher die Ausstellung zum Werk El Grecos, wenige Jahre zuvor 368.000 jene zu Pieter Breughel. Im Jahr 2004 stand die Albertina auf Platz drei, das Kunsthistorische auf Platz sechs der Wiener Tourismus-Hits – noch vor der Schatzkammer, der Kaisergruft und der Spanischen Hofreitschule.

Um an wichtige Leihgaben für publikumsträchtige Ausstellungen zu kommen, sind die Häuser gezwungen, Hochkarätiges aus dem eigenen Bestand rund um den Globus zu schicken. Erst im Frühjahr erregte Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder die Gemüter, als er Dürers „Hasen“ ohne Genehmigung an den Prado in Madrid verlieh. Als recht reisefreudig erwies sich auch das Werk „Die Malkunst“ von Jan Vermeer van Delft aus dem Kunsthistorischen Museum nach seiner Restaurierung vor einigen Jahren. Im Zuge seiner Welttournee legte es auch einen Zwischenstopp im Prado ein – der mit vielen Leihgaben die aktuelle Goya-Ausstellung erst ermöglichte.

Dass diese ein Selbstläufer wird, ist absehbar; bereits bei 2500 Besuchern pro Tag würde das KHM die Zahlen der Berliner Schau erreichen. Auch ohne Sensationsausstellung kommen täglich 1500 bis 2000 Menschen ins Kunsthistorische. Die hohen Besucherfrequenzen haben allerdings auch ihre Schattenseiten. Über „Heerscharen unbedarfter Touristen“ ätzte etwa die linke Wochenzeitung „Jungle World“, die sich in der Berliner Ausstellung „lauthals plappernd durch die Räume drängten und eine Art Jahrmarktsstimmung aufkommen ließen“.

Jahrmarktsstimmung bei Goya? Das passt tatsächlich schlecht zu den Elenden, die Goyas „Irrenhaus“ bevölkern, oder der düsteren Atmosphäre des „Hospitals für Pestkranke“. Zur dekadenten Ausgelassenheit des „Picknicks“ allerdings oder zur burlesken Heiterkeit des „Hampelmanns“ passen gut gelaunte Zuschauermengen bestens. Auch dies mag ein Zeichen für die kreative Kraft dieses Künstlers sein: Der Name Goya steht für die Lebenslust ebenso wie für die Morbidität.

Von Nina Schedlmayer