Kunst: Viermal Rubens, bitte!

Pläne zur Neuordnung der Museumslandschaft

Drucken

Schriftgröße

Im Eröffnen von Museen dürfte sie mittlerweile sämtliche Rekorde gebrochen haben: In keiner Stadt der Erde hat eine Ministerin wohl mehr neue Museen eingeweiht als Elisabeth Gehrer innerhalb der letzten vier Jahre in Wien. 2001 nahmen das Museum Moderner Kunst, die neue Kunsthalle, das Leopold-Museum und die zahlreichen anderen Institutionen des Wiener Museumsquartiers den Betrieb auf, 2003 knallten in der Albertina die Korken, 2004 öffnete die fürstliche Sammlung im Palais Liechtenstein ihre Pforten: Von „einem großen Tag“ war 2001 die Rede, von „einem großen Tag“ sprach man auch 2003 – die Weihereden mussten kaum noch überarbeitet werden.

Während Wiens Kulturpessimisten einhellig die „Überforderung des Publikums“ und „musealen Overkill“ prophezeiten, übten sich die zuständigen Direktoren in Zuversicht: „Konkurrenz kann nur gut tun“, erklärte Johann Kräftner im März 2004, und auch heute noch ist der Direktor des Liechtenstein-Museums überzeugt: „In Wien ist mehr los als in anderen Städten.“

Binnen kürzester Zeit wuchsen die institutionalisierten Ausstellungsflächen von 80.000 auf 97.000 Quadratmeter, insgesamt 154 Museen versorgen heute die Bundeshauptstadt mit allen denkbaren Spielarten von Kunst. In den Besucherstatistiken herrscht unumschränkt der Superlativ: 700.000 Besucher im Jahr 2004 vermeldet allein die Albertina, 3,6 Millionen Gäste verzeichnen die Bundesmuseen insgesamt. Auch die alteingesessene Konkurrenz hat die neue Gründerzeit erstaunlich gut überstanden: „Zuerst haben wir Publikum ans Museumsquartier und die Albertina verloren“, sagt Ingried Brugger vom Kunstforum. „Aber inzwischen habe ich es mir zurückgeholt.“

Doch während das Publikum zahlreicher denn je in die Museen strömt, fällt die Diagnose der Experten wenig euphorisch aus: Als „provinziell“ wird die Sammlung Leopold gescholten, auch auf die Bestände des Museums Moderner Kunst (Mumok) „müssen wir nicht unbedingt stolz sein“, wie Ingried Brugger gegenüber profil urteilt. Ist der Plan, mit dem Museumsquartier ein „vitales Kunstzentrum“ zu schaffen, also tatsächlich „gescheitert“, wie Matthias Herrmann von der Secession ernüchtert resümiert?

Kritik. Laut Kunsthallen-Chef Gerald Matt herrscht Alarmstufe Rot: „Bedenkt man die enormen Investitionskosten, konnten weder die Kunsthalle noch das Leopold-Museum, noch das Mumok die erwarteten Besuchersteigerungen erfüllen.“ Das Geld sei an allen Ecken und Enden zu knapp: „Allein die Betriebskosten der Kunsthalle sind durch die neuen Ausstellungshallen um 300 Prozent gestiegen, die Subvention hingegen ist gleich geblieben.“ Das 145 Millionen Euro teure Kunstareal sei weder „trendy“ noch ein „Hot Spot“.

Die Kritik am Museumsquartier macht freilich auch vor der Kunsthalle nicht Halt: „Matt bespielt eine weit gehend unter der Wahrnehmungsschwelle sich bewegende Kunsthalle mit Ausstellungen, die in den beiden letzten Jahren von einer unbeschreiblichen Bedeutungslosigkeit waren“, zieht Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder vom Leder (siehe Interview). Matt kontert: „Die Albertina hat sich unter Schröder von einem Spezialmuseum zu einem Allerweltsmuseum entwickelt.“

Der launige Infight unter Wiener Museums-Chefs dokumentiert nicht nur geschwollene Egos – er ist ein Charakteristikum der hiesigen Szene: Mit ähnlich populären Programmen und oftmals denselben Malerstars führen die Direktoren ihre Häuser in die Kampfzone der Gewinnmaximierung. Was hängten Mumok, MAK und Albertina an ihre Wände? Hauptwerke des österreichischen Aktionismus. Womit ködern das Leopold-Museum, das Wien-Museum, die Albertina und die Österreichische Galerie das Publikum? Immer wieder gern mit Schiele und Klimt.

„Zu viele Museen machen Ähnliches“, urteilt Wilfried Seipel vom Kunsthistorischen Museum (KHM) und stößt mit seiner Kritik auf breite Resonanz: „In Zukunft sollte es weniger Parallelen geben“, fordert Gerbert Frodl von der Österreichischen Galerie. Museumsplaner Dieter Bogner meint: „Es ist nicht sinnvoll, dass Direktoren untereinander Schlachten austragen.“

Zuletzt zeigten vier Museen fast zeitgleich Rubens’ dralle Frauen und heroische Figuren: „Dass die Albertina ihre Rubens-Schau über Nacht vorzog, um das Kunsthistorische Museum zu konkurrieren, ist an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten“, schimpft Matthias Herrmann von der Secession. „Schließlich war der Geldgeber für beide Ausstellungen der Staat.“

Studie. Schon 1998 versprach Ministerin Elisabeth Gehrer eine Evaluierung der Wiener Häuser: Die Museums-Debatte reicht weit in die neunziger Jahre zurück, als SPÖ und ÖVP die Ausgliederung der Bundesmuseen aus dem Staatshaushalt beschlossen. Nach vielen ungenützten Jahren hat Gehrer das Versprechen nun eingelöst: Jedes Bundesmuseum wurde im vergangenen Jahr von internationalen Museumsexperten auf Herz und Nieren untersucht.

„Die Evaluierung hat den Sinn, der Öffentlichkeit zu zeigen, wie es in den Museen wirklich aussieht“, sagt KHM-Direktor Wilfried Seipel. Die Erwartungen, die sich an die „Gesamtstudie zur Museumslandschaft“ knüpfen, sind groß: „Es besteht massiver Handlungsbedarf seitens der Kulturpolitik“, sagt Gerald Matt. Auch Direktor Edelbert Köb vom Mumok meint: „Es bedarf einer Neuordnung der Museen und der Sammlungen ohne Rücksicht auf Namen, Häuser und Direktoren.“

Die Studie wird Anfang Februar präsentiert, ein Ergebnis freilich steht schon fest: Auch in den kommenden Jahren dürfte der Expansionsdrang der Szene nicht erlahmen. Die Albertina soll ihren Tiefenspeicher fertig stellen, die Österreichische Galerie will das ehemalige 20er-Haus für 3,5 Millionen Euro als Ausstellungshalle adaptieren. Das Naturhistorische Museum muss Kriegsschäden im zweiten Innenhof beseitigen, das KHM eröffnet 2006 ein rundum erneuertes Völkerkundemuseum und plant unter dem Maria-Theresien-Platz neue Ausstellungsräume: „Die Stadt Wien und die Wiener Wirtschaftskammer sind bereit, gemeinsam mit uns über eine Erweiterung nachzudenken“, nennt Seipel erstmals Finanzierungsmöglichkeiten. Gehrer gibt sich skeptisch: „Einerseits wird gesagt, wir haben zu viele Ausstellungsräume, andererseits heißt es, wir brauchen neue. Ich halte die Erweiterung des KHM für eine faszinierende Idee, die aber in den nächsten zwei Jahren nicht zu verwirklichen sein wird.“

Kein anderes Thema allerdings erhitzte die Gemüter in den vergangenen Wochen heftiger als der Vorschlag von Klaus Albrecht Schröder, die Albertina mit der Österreichischen Galerie Belvedere zu fusionieren – wohl unter Schröders Leitung (siehe Interview). Der Widerstand gegen diesen Plan fällt ausnahmsweise erstaunlich geschlossen aus: Gerald Matt, Matthias Herrmann, Dieter Bogner, Ingried Brugger, Wilfried Seipel, Rudolf Leopold, Johann Kräftner sowie Gerbert Frodl selbst lehnten gegenüber profil Schröders „Take-over“-Visionen einhellig ab. Ministerin Gehrer informierte den Kulturausschuss des Parlaments: Die beiden Museen, versicherte sie, würden vorerst „nicht zusammengelegt“ (siehe Kasten Seite 114).

Fusionen. Schröders Vorstoß hat jedoch eine intensive Debatte über Sinn und Unsinn von Fusionen in Gang gesetzt. Ob sich etwa Leopold-Museum und Österreichische Galerie weiterhin mit ihren Klimt- und Schiele-Beständen konkurrieren sollten, fragen Experten. „Mit einer Fusion dieser beiden Institutionen wäre ich einverstanden“, lässt Seipel aufhorchen. Der KHM-Chef befindet sich in guter Gesellschaft: Auch Kräftner, Brugger und Herrmann finden einen Zusammenschluss „überlegenswert“. Museumsdirektor Leopold winkt jedoch ab: „Wir arbeiten mit der Österreichischen Galerie eng zusammen. Das genügt. Eine Zusammenlegung hat wenig Sinn.“

Das Placet der Ministerin dürfte Seipel hingegen für seine eigenen Expansionspläne in der Tasche haben: Nach der Übernahme des Theatermuseums und des Völkerkundemuseums im Jahr 2001 hat der regierungsnahe Direktor nun das kleine Österreichische Volkskundemuseum in der Wiener Laudongasse im Visier: „Das Museum steckt wie viele Vereine in finanziellen Schwierigkeiten“, erklärt Seipel. „Deshalb gibt es hier Überlegungen, denen die Ministerin nicht abgeneigt gegenüber steht. Details wurden aber noch keine diskutiert.“

Dass die Evaluierung zu einer raschen Neuordnung der Museumsbestände führen wird, glaubt freilich niemand. „Das wäre eine völlig falsche Erwartungshaltung“, meint Seipel. Ingried Brugger gibt sich sarkastisch: „Ich wette, dass alle Bundesmuseen ganz hervorragend abschneiden werden.“ Bereits vor einigen Monaten wurden die Prüfungsergebnisse den einzelnen Häusern zugestellt, um ihnen Gelegenheit zu bieten, auf Kritik zu reagieren: Für die Albertina, die Österreichische Galerie und das KHM fiel die Evaluierung „sehr zufrieden stellend“ aus, berichten die jeweiligen Direktoren.

Moderne. Kein Wunder, meint Edelbert Köb vom Mumok, gehe doch die seit langem virulente Diskussion am einzigen Problem der Wiener Museumslandschaft vorbei: „Wir verfügen aufgrund unserer imperialen Vergangenheit über eine dichte, differenzierte und hochklassige Szenerie von Bundesmuseen, deren inhaltliche Gliederung in etwa den anderen europäischen Metropolen entspricht“, hält Köb in einem Thesenpapier fest. „Was wir nicht haben, ist ein konkurrenzfähiges Museum moderner und Gegenwartskunst.“

Tatsächlich leidet das Mumok unter erheblichen architektonischen Mängeln und verfügt außerdem über weniger Ausstellungsfläche als die zwei Gebäude, in denen die Sammlung zuvor untergebracht war. Die Depots waren schon bei der festlichen Eröffnung im Jahr 2001 überfüllt: „Das Haus hat keinerlei Entwicklungsperspektiven“, hält Köb ernüchtert fest – und träumt von der Zusammenlegung der zurzeit über Wien zerstreuten Bestände in einem neuen Zentrum der Moderne, wie sich München mit der Pinakothek Modern erst unlängst eines leistete.

Während Wiens Museen auf so vielen Rembrandts, Rubens und Tizians sitzen, dass die Bilder in den Speichern gebunkert werden müssen, fehlen in den Beständen die Stars des 20. Jahrhunderts: Jackson Pollock, Pablo Picasso & Co. „Wien ist in dieser Hinsicht das Armenhaus Europas“, urteilt Kräftner vom Liechtenstein-Museum. „Andere Städte haben immer international gesammelt. Bei uns gibt es auf hohem Niveau nur die klassische Wiener Moderne.“

Kunst ist eine Frage des Geldes. Verfügt das New Yorker Museum of Modern Art jährlich über 50 Millionen Dollar Budget, so muss das Wiener Mumok mit einem Ankaufsbudget von 600.000 Euro das Auslangen finden. Die Tate Modern in London gibt jährlich 35 Millionen Pfund aus, das Pariser Centre Pompidou 30 Millionen Euro. Das Ankaufsbudget der Österreichischen Galerie liegt bei 300.000 Euro. Das MAK verfügt nicht einmal mehr über diesen Betrag.

„Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um international konkurrenzfähig zu werden“, fordert Köb die Zusammenlegung der Kräfte. Schützenhilfe erhält er von der Österreichischen Galerie und der Secession, die sich eine „Konzentration der Mittel“ durchaus vorstellen können. KHM-Chef Seipel sekundiert: „Das MAK, die Österreichische Galerie und das Mumok sammeln Wiener Aktionismus. Hier wäre eine Absprache sinnvoll.“

Die Evaluierung durch das Ministerium betrifft nur die jüngste Vergangenheit: Haben die Wiener Museen seit der Ausgliederung 1999 ihre kulturpolitischen Aufgaben erfüllt oder jegliches Profil verloren? Entsprechen die Häuser ihrem Bildungs- und Forschungsauftrag, oder wollen sie bloß mit hochkulturellen Blockbuster-Ausstellungen Kasse machen? Wie auch immer die Antwort ausfällt: Auf dem Spiel steht vor allem die Zukunft, stellt Museumsexperte Bogner klar: „Das 20. Jahrhundert haben wir verpasst. Die Frage ist, ob wir auch das nächste Jahrhundert verpassen wollen.“