Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts

Kunst: Zeit im Bild

Jahre zwischen 1938 und 1945 bleiben ausgespart

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Die Ausstellung war gut besucht. Bilder von verschneiten Landschaften, Wirtshausszenen mit Musikanten und heroische Aktdarstellungen erfreuten sich großer Beliebtheit bei der Bevölkerung. „Erleben Sie mit uns die wunderbare Schönheit der Ostmark“, warb das Wiener Künstlerhaus für die Schau „Berge und Menschen der Ostmark“, die am 4. März 1939 eröffnet wurde.

Heute wird über die Kunst der NS-Zeit wohlweislich der Mantel des Schweigens gebreitet. Im Kunstbetrieb kommt sie praktisch nicht vor. Ein aktuelles Beispiel dafür bieten zwei Ausstellungen über die österreichische Kunst des 20. Jahrhunderts: „Österreich 1900–2000. Konfrontationen und Kontinuitäten“ heißt die Schau, die am 16. Februar in der Klosterneuburger Sammlung Essl eröffnet wird; seit vergangenem Freitag ist „Kunst fürs 20er Haus“ im Wiener Belvedere zu besichtigen. Die Liste der Exponate vermittelt den Eindruck, zwischen 1938 und 1945 wäre so gut wie keine Kunst produziert worden. Die wenigen Arbeiten, die aus dieser Zeit gezeigt werden, stammen ausschließlich von Emigranten wie etwa der Malerin Erika Giovanna Klien, die bereits 1928 nach New York ausgewandert war.

In Österreich haben solche Auslassungen Tradition: Als die Wiener Secession 1998 das „Jahrhundert der künstlerischen Freiheit“ anlässlich ihres 100-jährigen Jubiläums mit einer Überblicksschau feierte, sparte das Ausstellungshaus darin die Zeit der Unfreiheit geflissentlich aus – obwohl viele Mitglieder der Künstlervereinigung mit den Nazis sympathisiert hatten, schon vor dem „Anschluss“ und auch während der darauf folgenden Fusionierung der Secession mit dem Künstlerhaus.

Lücken weist auch der vor wenigen Jahren erschienene Sammelband „Geschichte der bildenden Kunst in Österreich – 20. Jahrhundert“ auf: Viele Maler und Bildhauer, die damals wichtige Ämter bekleideten oder große Aufträge erhielten – etwa der Rektor der Akademie der bildenden Künste in Wien, Ferdinand Andri, der Künstlerhaus-Präsident Rudolf Hermann Eisenmenger, die Bildhauer Josef Dobner oder Josef Thorak –, verschweigt das Kompendium entweder ganz oder handelt deren Tätigkeit während des Nationalsozialismus mit wenigen Zeilen ab.

Herausgegeben wurde das Buch von Wieland Schmied, einem der wichtigsten Kunsthistoriker im deutschsprachigen Raum, der nun auch die Ausstellung „Österreich 1900–2000“ in Klosterneuburg kuratiert hat. „Wir wollen nichts verschweigen“, stellt Schmied klar. „Ich möchte mich aber nicht mit dieser ‚Kunst‘ beschäftigen. Nazikunst ist die Kunst der Lüge, eine potemkinsche Fassade: Dahinter standen die KZs. Ich habe Abscheu davor. Es wäre eine Beleidigung für Künstler wie Oskar Kokoschka oder Richard Gerstl, würde ich das daruntermischen.“

„Natürlich zeigen“. Doch nicht alle lehnen eine Auseinandersetzung mit Nazi-Kunst derart entschieden ab. Peter Bogner, Leiter des Künstlerhauses und Vorsitzender des österreichischen Kunsthistorikerverbandes, meint: „Natürlich sollte man so etwas zeigen. Es gibt Arbeiten, die für die Zeit sprechen – warum soll ich das ausblenden? Es gehört zur österreichischen Kunstgeschichte dazu. Wie in allen Bereichen erfolgt auch hier die Aufarbeitung in Österreich sehr verzögert.“ Freilich könne man „nicht einfach ein Hitlerbild aufhängen: Das muss ich kommentieren“, meint Bogner. Ähnliches fordert auch Carl Aigner ein, Direktor des Landesmuseums Niederösterreich und Präsident der Österreich-Sektion des International Council of Museums: „Wir können nicht so tun, als hätte es sieben Jahre nicht gegeben. Man muss aber behutsam und überlegt vorgehen – sonst besteht die Gefahr der Affirmation. Dass dieses Kapitel gemieden wurde, ist bedauerlich. Schließlich ist es ein Teil der heimischen Kunstgeschichte, dem wir uns stellen müssen.“

Ein fast unbekannter Teil jedoch. „Mir fehlen Beispiele für den damaligen Stil, den man zu kennen meint“, sagt der ehemalige Kulturminister Rudolf Scholten, der ebenfalls dafür plädiert, „diese Erfahrungslücke zu schließen und die Bilder nicht im Keller unter Verschluss zu halten“: „Ich fände es hochinteressant, die Bilder zu sehen.“

Wie problematisch das Ausstellen nationalsozialistischer und faschistischer Malerei und Plastik ist, zeigte sich erst vor einigen Wochen in Saalbach: Das örtliche Heimatmuseum hatte ein Hitlerporträt des Malers Fritz Reichel ausgestellt – und damit prompt Medien und Oppositionspolitiker auf den Plan gerufen, die Applaus von der falschen Seite fürchteten. Einen Applaus, den die Universität Wien in unliebsamer Erinnerung hat: 1923 wurde im Auftrag der deutsch-nationalen und antisemitischen Studentenschaft der „Siegfriedskopf“ errichtet, dessen Schöpfer, der Bildhauer Josef Müllner, während der NS-Zeit als hochdekorierter Akademieprofessor zahlreiche Studenten unterrichtete. Regelmäßig versammelten sich bis in die jüngste Vergangenheit schlagende Burschenschaften zu Kranzniederlegungen vor dem „Siegfriedskopf“, was für hitzige Debatten sorgte. 2002 schlugen Unbekannte dem Kopf die Nase ab. Derzeit wird von Künstlern eine neue Präsentation des „Siegfriedskopfs“ entwickelt, die ihn für rechtsextreme Weihestunden unbrauchbar machen soll.

Gerade bei Kunst in öffentlichen Gebäuden war und ist der Umgang mit nationalsozialistischer Bildproduktion immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Im Kärntner Landhaus etwa waren bis vor wenigen Jahren Fresken des Malers Switbert Lobisser, die den „Anschluss“ feierten, unter einer Holzvertäfelung versteckt. Unter großem Aufwand wurden sie schließlich im Jahr 2000 freigelegt und restauriert. Derzeit lagern die Fresken in einem Depot, sollen jedoch im geplanten Museum für Zeitgeschichte in Kärnten präsentiert werden.

„Kunst und Diktatur“. Ein Kenner der Materie ist der Architekturhistoriker und Ausstellungskurator Jan Tabor, der im Wiener Künstlerhaus 1994 die in Österreich wohl größte Schau zum Thema gestaltete: „Kunst und Diktatur“. Er weist auf ein nationalsozialistisches Fresko von Franz Köck hin, das in den neunziger Jahren in einem Gebäude der Grazer Hochschülerschaft auftauchte. Dafür wurde, wie Tabor meint, „eine gelungene Lösung“ gefunden: Der Künstler Richard Kriesche montierte eine Glasplatte davor. Darauf ist ein Text über die Rolle der Grazer Uni vor und während des NS-Regimes zu lesen. Tabor spricht sich gegen eine Zerstörung derartiger Bilder aus; in Ausstellungen jedoch solle strikt getrennt werden: „Entweder man präsentiert so etwas in einem historischen Kontext – dann ist es kein Problem. In einer Ausstellung, in der es um künstlerische Qualität geht, hat das aber nichts verloren. Im Gegensatz zu anderen totalitären Systemen – dem sowjetischen Kommunismus oder dem italienischen Faschismus – gab es im Nationalsozialismus keine Kunst, die nur den geringsten Ansprüchen genügt.“

Hitler definierte seinen Anspruch an die Kunst denkbar deutlich: „Verständlich, gekonnt, klar, rein und sauber“ sollte sie sein. Hitlers Lieblingskünstler, wie etwa der deutsche Bildhauer Arno Breker oder der Salzburger Josef Thorak, propagierten mit muskulösen Figuren das männliche „Heldentum“ ebenso wie den Fortpflanzungs- und Aufopferungswillen der deutschen Frau.

In der Malerei dominierten neben NS-Symbolen schwülstige Aktszenen (Ivo Saliger), ländliche Idyllen (Fritz Fröhlich) und detailverliebt gemalte Figuren, die oft in symmetrisch-starren Kompositionen arrangiert wurden (Switbert Lobisser). Häufig orientierten sich die Maler dabei an längst Vergangenem: Albrecht Dürer musste als „Vorbild“ für einen abgeschmackten Realismus herhalten, wie etwa in Hubert Lanzingers „Bannerträger“, der Hitler zum mittelalterlichen Ritter stilisiert. Man übernahm aber auch stilistische Merkmale der Neuen Sachlichkeit, die in den zwanziger Jahren Avantgarde war.

Für die Kunsthistoriker ist die geringe Qualität der Nazi-Kunst ein gewichtiges Argument, sich nicht damit auseinander zu setzen – darauf weist auch Belvedere-Direktor Gerbert Frodl hin (siehe Interview). Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina, sieht das im Wesentlichen ähnlich: „Die Bilder der Maler, die nur für die Nazis gearbeitet haben, sind von so minderer ästhetischer Qualität, dass sie keine Bedeutung haben.“ Anders verhalte es sich aber mit der Fotografie und der Architektur dieser Zeit, die sich „ästhetisch auf einem ganz anderen Niveau befanden als die Malerei“. Als Beispiel dafür nennt Schröder den Fotografen Wilhelm Angerer, dessen Winterlandschaften „ästhetisch und fototechnisch virtuos“ seien. „Wir würden seine Werke in der Albertina jedoch nie losgelöst von ihrem historischen Hintergrund zeigen.“

Manchmal aber, so scheint es, will man gar nicht so genau Bescheid wissen über die Rolle anerkannter Künstler während des NS-Regimes. Dass etwa der Maler Arnold Clementschitsch, der mit einigen „Straßenszenen“ in der Ausstellung der Sammlung Essl vertreten ist, auch Hitler-Porträts gemalt hat, ist nicht einmal dem Kurator Wieland Schmied bekannt. Eines davon wird derzeit auf der Homepage des Holocaust-Leugners David Irving zum Verkauf angeboten. Selbst der kunsthistorisch unumstritten bedeutende Zeichner und Grafiker Alfred Kubin hatte, wie der Direktor der oberösterreichischen Landesmuseen Peter Assmann erzählt, „das Hitler-Porträt in der Schublade, um es bei Bedarf herausziehen zu können“, obgleich Kubin sonst „systemkritische Zeichnungen“ angefertigt habe. Assmann plädiert dafür, „nicht in Schablonen zu denken, wenn man diese Zeit erforscht. Man muss genau auf die Realitäten schauen.“

Die ambivalente Haltung vieler Künstler wurde bislang wenig erforscht und findet selbst bei bekannten Künstlern höchstens in Fußnoten Erwähnung in den Biografien. Der Spätimpressionist Carl Moll etwa unterstützte zwar viele als „entartet“ geltende Künstler – war aber gleichzeitig deutsch-national gesinnt. Herbert Boeckl, ein Vertreter der österreichischen Moderne und nach dem Krieg kurzfristig Akademie-Rektor, war 1941 der NSDAP beigetreten – wohl aus finanziellen Nöten, wie Schmied betont.

Dabei hatten die Arbeiten vieler Maler mit Propagandakunst im engen Sinn nichts zu tun; lieber entwarf man idyllische Landschaften oder gefällige Akte. Andere bedienten alle möglichen Machthaber – wie etwa der Bildhauer Gustinus Ambrosi. Seine Arbeiten sind heute in einer Dependance des Belvedere ausgestellt: Hier finden sich Büsten von Dollfuß und Mussolini ebenso wie jene von Karl Renner oder Julius Raab. Auch während des Nationalsozialismus dürfte es ihm nicht an Aufträgen gemangelt haben – entsprechende Arbeiten fehlen allerdings: Ambrosis Lebenslauf, der im Belvedere aushängt, lässt zwischen den Jahren 1937 und 1951 einfach eine Lücke.

„Während in Deutschland die Frage längst diskutiert wurde, wie mit Nazi-Kunst umzugehen sei, wird diese Debatte in Österreich noch immer verweigert“, ärgert sich Wiens ehemalige Kulturstadträtin Ursula Pasterk. Stritten die Nachbarn in den siebziger Jahren über den ästhetischen Wert und Unwert der Skulpturen Arno Brekers und wiederholten die Debatte anhand der DDR-Kunst in den neunziger Jahren, wird regimetreue Kunst hierzulande bloß vereinzelt untersucht. Im Belvedere denkt man über ein Forschungsprojekt zum Werk von Gustinus Ambrosi nach. In Linz plant Assmann für das Jahr 2008 anlässlich des Gedenkens an 1938 eine Ausstellung über die NS-Kulturpolitik.

Der Journalist und Historiker Peter Huemer stellte bereits anlässlich der Ausstellung „Kunst und Diktatur“ vor zwölf Jahren die entscheidende Frage: „Wie lange wird es noch dauern, bis Sie etlichen der hier ausgestellten Werke im Museum wieder begegnen werden? Thorak zwischen Arp und Wotruba. Da, wo immer das Loch geklafft hat.“ Das Loch klafft bis heute.

Mitarbeit: Peter Schneeberger
Von Nina Schedlmayer