Südosteuropa: Ru-mäniens Weg zur EU

Landesporträt: Die Verwandlung

Der schwierige Weg vom Kommunismus in die EU

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Fast ungläubig, aber glücklich wirkte Traian Basescu Montag vergangener Woche in der Neumünster Abbey in Luxemburg. Stolz stand der rumänische Präsident in einer Reihe mit seinem bulgarischen Amtskollegen und weiteren Politikern beider Länder und sah zu, wie die 25 EU-Außenminister, einer nach dem anderen, feierlich den EU-Beitrittsvertrag seines Landes unterzeichneten. „Dieser Vertrag gibt uns das Recht, nach Europa zurückzukehren. Danke Europa!“, erklärte Basescu anschließend feierlich und mit fester Stimme. Bevor alle 54 Unterschriften unter das Vertragswerk gesetzt werden konnten, hatte es heftige Debatten gegeben. Vor allem waren Bedenken geäußert worden, ob es das Karpatenland überhaupt schaffen könne, den Anforderungen der EU zu entsprechen.

Während Traian Basescu in Luxemburg mit seinen künftigen EU-Kollegen den Anlass mit einem Glas Champagner feierte, versuchte Angela Filote, Sprecherin der EU-Delegation in Bukarest, einem ungarischen Fernsehteam ihre Freude zu vermitteln: „Das ist der Moment, für den wir dreizehn Jahre lang hart gearbeitet haben.“

Filote stand, umgeben von feiernden Menschen, in einem Meer von blau-gelben EU-Fahnen auf dem Platz der Revolution – jenem geschichtsträchtigen Ort, an dem das rumänische Volk im November 1989 beschlossen hatte, sein Schicksal nach fast fünfzig Jahren Unterdrückung wieder selbst in die Hand zu nehmen. Zuerst befreiten sich die Rumänen gewaltsam von ihrem Diktator Nicolae Ceausescu und seither, Schritt für Schritt, von ihrer kommunistischen Vergangenheit. Das Land, das mit seinen 22 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Europas gehört, hat einen radikalen Transformationsprozess hinter sich – und einen ebensolchen noch vor sich.

Problemfelder. „Heute ist ein wichtiger Tag mit einem hohen symbolischen Wert“, erklärte Filote, „aber es ist noch nicht der Beitritt selbst.“ Denn je nachdem, ob es der im November 2004 neu gewählten wirtschaftsliberalen Regierung gelingt, die EU-Standards zu erfüllen, wird das Karpatenland am 1. Jänner 2007, spätestens aber ein Jahr danach, vollwertiges Mitglied der Europäischen Union werden. Vor allem die großen Probleme wie Korruption, Justiz, Inneres und Wettbewerb gilt es dabei noch in den Griff zu bekommen.

Als EU-Delegationsmitglied der ersten Stunde versucht Filote, seit 1992 ihren Mitbürgern klar zu machen, was es bedeutet, Mitglied im europäischen Klub zu sein. Vor allem die einfachen Leute muss sie überzeugen, dass es die EU wirklich ernst meint, Rumänien aufzunehmen. „Viele sind der Meinung, das sei einfach zu schön, um wahr zu sein“, berichtet sie.

Marktwirtschaft, Wettbewerb, Vertrauen und Eigentum sind die neuen „europäischen Werte“, welche die Dogmen des Kommunismus, der Planwirtschaft und der Denunziationen im ehemaligen Securitate-Staat ablösen sollen. Mit zahlreichen Vorträgen, Reisen und Medienkampagnen versuchen Filote und ihre Mitarbeiter, genau diese Werte zu vermitteln. In jahrelanger Kleinarbeit haben sie außerdem ein Netzwerk aus EU-Fachleuten aufgebaut, welches dafür sorgen soll, dass zum Beispiel das Wissen um die vielen Förderungen und Projekte der EU auch bis zum letzten Bewohner im Karpatenstaat durchdringt.

Wahre Träume. Doru Talaba ist einer jener Rumänen, bei dem dies bereits gelungen ist. „Ich träumte immer von einer besseren Ausbildung und Forschungsmöglichkeit für mich und mein Umfeld. Diesen Traum kann ich nun verwirklichen“, schwärmt der Professor für Ingenieurwesen an der Transsilvanischen Universität Brasov. Talaba war einer der Ersten, die 1992 mithilfe von EU-Geldern die Gelegenheit nutzten und das Land verließen, um an europäischen Universitäten westliche Standards zu erlernen.

Mittlerweile eilt ihm unter Kollegen der Ruf eines EU-Experten voraus, der es wie wenige andere verstehe, Projekte einzureichen und erfolgreich Förderungen zu lukrieren. Im Moment betreut Talaba drei internationale Weiterbildungsprojekte mit einem Fördervolumen von 1,4 Millionen Euro. „Die Ausbildung ist um ein Vielfaches besser geworden“, findet der Professor.

Nicht zuletzt aufgrund des Engagements von Talaba hat sich auch der Technologiekonzern Siemens Österreich vor drei Jahren am Campus der Universität Brasov angesiedelt. Dort werden großteils Universitätsabgänger beschäftigt und gemeinsam Produktneuheiten entwickelt. Trotz der Fortschritte und der erfolgreichen Projekte ortet der Professor noch großen Aufholbedarf. „Die Gesellschaft hat sich noch nicht neu formiert, und auch der Industrie geht es schlecht“, sagt Talaba. „Die Leute haben noch immer nicht verstanden, dass arbeiten und Geld verdienen nicht die beschämende Bereicherung eines Einzelnen ist, sondern zu Wohlstand für die gesamte Gesellschaft führt. Sie haben noch nicht verstanden, was der Kapitalismus ist.“

Ein Problem, mit dem auch Angela Filote zu kämpfen hat. „Die Leute haben kein Vertrauen, sie glauben, hinter jedem Deal steht eine versteckte Absicht“, konstatiert sie. „Die Werte der Menschen verändern sich nicht so schnell.“

Armes Land. Während es einige wenige nach der Wende verstanden, die begehrtesten Pfründen an sich zu reißen, leben noch immer weite Teile der Bevölkerung in großer Armut. Mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von jährlich 2700 Euro liegt Rumänien im europäischen Vergleich weit abgeschlagen. Das ärmste Land der heutigen EU, Lettland, bringt es auf 4800 Euro, Österreich hingegen auf mehr als 28.000 Euro.

„Korruption ist eine der Hauptgefahren für unsere nationale Sicherheit“, weiß Staatspräsident Basescu. Von jenen 557 Personen, die 2004 wegen Korruption angeklagt wurden, waren neun ehemalige hohe Regierungsvertreter, drei Richter, acht Bürgermeister, 20 Offiziere und 21 Polizisten. Mit der neu geschaffenen Antikorruptionsbehörde soll der verbreiteten Bakschisch-Mentalität nun der Kampf angesagt werden. Aus diesem Grund wurde auch die Immunität von Ministern abgeschafft, die Definition von Korruption verschärft, die Gehälter von Beamten wurden erhöht und die Konten tausender Unternehmen gesperrt.

„Jeder Investor, der heute ins Land kommt, kann das veränderte Klima spüren“, ist Finanzminister Ionel Popescu überzeugt. Dennoch sei es nicht realistisch anzunehmen, dass innerhalb weniger Monate jegliche Korruption verschwinden könne. „Die Rumänen sind sehr einfallsreich“, erklärt Dan Pascariu, Chef der rumänischen BA-CA-Tochter HVB Romania. „Sie mussten sich über Jahrzehnte mit Tricks und Schmiergeld ihre Vorteile sichern, das hört nicht von einem Tag auf den anderen auf.“

Neben den großen Betrugsfällen, bei denen meist die postkommunistischen Sozialisten ihre Seilschaften zu nutzen wussten, berichtet Pascariu aber vor allem von der kleinen, täglichen Korruption. „Nahezu alle staatlichen Berufsgruppen mischen im Korruptionsnetzwerk mit“, weiß auch Cristian Parvalescu von der Organisation Pro Democratia, „Geschäftsleute, Staatsanwälte, Polizisten sind alle Teil des Systems. Und das System ist mächtig.“

Kulturhauptstadt. Klaus Johannis, der Bürgermeister der siebenbürgischen Stadt Sibiu, kann dies nur bestätigen. „Es ist evident, dass immer wieder Entscheidungen fallen, die nicht im Sinne der Gesellschaft sind“, formuliert Johannis diplomatisch. Deswegen versucht er mit anderen Mitteln, zumindest in seiner Stadt etwas zu bewegen. Unter Johannis’ Führung wird Sibiu gemeinsam mit Luxemburg Europäische Kulturhauptstadt 2007.

Aus diesem Grund wird auch der Großteil der mittelalterlichen Stadt im Moment von Baustellen dominiert. Mit Geldern der EU werden Hotels und Pensionen errichtet und viele der historischen Bauten renoviert. Der Korridor IV, jene Autobahn, die von Budapest und Temesvar über Sibiu nach Bukarest und in der Folge bis nach Istanbul führen soll, ist gerade im Entstehen. Zudem werden die Wasserwerke der Stadt mit 25 Millionen Euro aus dem EU-Strukturförderungsfonds ISPA renoviert.

„Ich erwarte mir einen lang anhaltenden Touristenfluss und eine bessere Sichtbarkeit der wirtschaftlichen Attraktivität von Sibiu“, sagt Johannis mit Verweis auf die investitionsfreundliche Verwaltung, den internationalen Flughafen und die gut ausgebildeten Arbeitskräfte in seiner Stadt. „Wir sind wirklich in einer positiven Entwicklungsphase“, meint der Bürgermeister.

Dies ist vor allem der EU zu verdanken: Denn seit 1992 flossen insgesamt 6,7 Milliarden Euro an Fördergeldern ins Land am Schwarzen Meer – unter anderem in Infrastrukturprojekte wie in Sibiu, in den Aufbau eines funktionierenden Staatsapparats, in Strukturhilfe für Bauern, die Gesundheitsversorgung, Ausbildung und die Unterstützung von Klein- und Mittelbetrieben. Insgesamt soll die Erweiterung der Union um Rumänien und Bulgarien bis zum Beitritt laut Berechnungen des deutschen Nachrichtenmagazins „Focus“ 44,3 Milliarden Euro kosten.

Gutes Geschäft. Immer öfter wird angesichts dieser Summen die Frage aufgeworfen, ob die EU dies überhaupt verkraften kann. „Ja“, sagt Gabor Hunya, Südosteuropaexperte am Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). „Mit der vereinbarten Förderobergrenze von vier Prozent des rumänischen Bruttosozialproduktes kann die EU einen Beitritt sogar locker verdauen“, ist der Experte überzeugt. Nicht nur Rumänien, so Hunya, sondern auch der Westen werde von einem Beitritt des Karpatenlandes auf längere Sicht profitieren: Direktinvestitionen werden einfacher, der Wegfall der Zölle erleichtert den Warenaustausch. Die steigende Kaufkraft und der große Binnenmarkt würden zudem für vermehrten Kauf westlicher Produkte sorgen. „Die Hälfte aller Investitionen wird wieder in die Taschen der EU fließen“, ist Hunya sicher.

Debattiert wird nach wie vor überdies auch der geeignete Zeitpunkt für einen Beitritt. Außenminister Mihai Ungureanu glaubt, dass ein Beitritt erst 2008 zu großen Schwierigkeiten führen würde: „Wenn wir unseren Job nicht gut machen, wäre der politische Preis furchtbar hoch“, ist der 36-Jährige überzeugt. HVB-Romania-Chef Dan Pascariu geht davon aus, dass nach dem Beitritt Rumäniens die Entwicklung in Richtung Marktwirtschaft viel schneller vonstatten gehen wird. WIIW-Experte Hunya gibt zu bedenken, dass sich nach dem Beitritt der Reformprozess auch verlangsamen könnte, falls aufgrund des dann bereits erfolgten Beitritts die entsprechende Motivation nachlässt.

Sicher ist jedoch, dass bis zum großen Tag noch eine Menge getan werden muss. „Bis 2007 müssen wir jeden einzelnen Tag nützen und kämpfen, um all unsere Versprechen auch einhalten zu können“, sagt EU-Delegierte Angela Filote.

Von Julia Heuberger