Lebe Liebe ungewöhnlich

Gleich viel Liebe und trotzdem kaum Rechte

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Es war, er muss es so sagen, „wirklich Liebe auf den ersten Blick“. Als Renaud Lagabrielle, französischer Erasmus-Student auf Österreich-Station, und der Medizinstudent Christian sich bei einem gemeinsamen Freund in Graz sahen, machte es „oh, là, là“ – und seither sind sie zusammen.

Das war vor fünf Jahren. Die beiden zogen in eine gemeinsame Wohnung, Christian arbeitet inzwischen als Arzt, Renaud an seiner Dissertation. Ab und zu streiten sie ein bisschen, genau wie andere Paare auch. Doch dann tauchte ein Thema auf, das den Freundeskreis in zwei Lager teilte: Die einen können die anderen zu ihrer Hochzeit einladen. Umgekehrt geht das nicht.

„Wir waren schon auf zahlreichen schönen Festen“, sagt Renaud. Und jedes Mal habe er sich gedacht: „Eines Tages möchte ich mein eigenes machen.“ Am liebsten in einem Herrenhaus im Salzkammergut, „so ganz auf romantisch und kitschig“. Renauds Familie aus Nantes würde anreisen, Christians Familie, Freunde und Bekannte. Und irgendwann würden sie ein Kind haben – „sogar mehrere, weil es, glaube ich, nicht lustig ist, allein zu sein“.

Da hält Renaud inne. Zu oft schon hat er mit seinem Partner darüber nachgedacht, was wäre, wenn. Mittlerweile, sagt Renaud, sei er diese Gespräche leid, die jedes Mal an der Stelle abbrechen, an der einer von ihnen sagt: „Es ist ein Hirngespinst.“
Vor allem aber ist es ein Wunsch, mit dessen Unerfüllbarkeit sich der 26-Jährige nicht abfinden will. „Ich verstehe nicht, was Heterosexuelle dagegen haben, wenn Homosexuelle heiraten und Kinder adoptieren“, sagt Renaud. „Deswegen gibt es doch nicht weniger Eheschließungen, die Leute werden auch nicht mehr oder weniger Kinder bekommen.“ Die Angst, ein Kind gedeihe nur in der klassischen Mutter-Vater-Kind-Familie prächtig, hält Renaud erst recht für konstruiert: „Wir sind doch nicht zwei Männer, ein Kind und sonst nichts.“ Es gebe Großmütter, Tanten, Freundinnen.

Ablehnung? Neugierde! Elisabeth J. lebt die Praxis zur Theorie seit fünf Jahren. Wenn sie mit der Bahn auf Urlaub fährt, kauft sie eine Familienkarte: für sich, ihren neunjährigen Sohn Philip und ihre Lebensgefährtin. „Wir sind eine heile Familie“, sagt die 37-jährige Wienerin. „Denn eine Familie ist dort, wo Kinder sind.“
In den vergangenen fünf Jahren, seitdem sie den leiblichen Vater verlassen hat und gemeinsam mit ihrer Partnerin den Sohn aufzieht, habe sich in Österreich vieles zum Besseren gewandt. Das Land sei offener geworden. In der Volksschule stoßen Philips Familienverhältnisse bei Mitschülern, Eltern und Lehrern eher auf Neugierde als auf Ablehnung. Auf die Frage, wo Philips Vater sei, kam von Anfang an eine klare Antwort: „Am ersten Elternabend habe ich gesagt, der Philip lebt mit zwei Müttern. Ich will nicht Verstecken spielen.“

Ob Ehe oder Zivilpakt für gleichgeschlechtliche Partnerschaften – am wichtigsten ist Elisabeth J. die juristische Anerkennung. Denn derzeit befindet sich Elisabeths Familie im rechtsfreien Raum. „Solange alles gut geht, brauche ich mir keine Sorgen zu machen“, sagt sie. „Aber was passiert, wenn ich krank werde?“

Auf der Suche nach einer Antwort ist Elisabeth J. vergangenen Sommer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gelandet. Bisher haben die Richter kein Urteil gefällt, spätestens in einem Jahr soll es jedoch so weit sein.

Beim Bezirksgericht hatte die Angestellte zuvor versucht, die Obsorge für Philip auf ihre Lebensgefährtin auszudehnen. „Die haben gemeint, eigentlich müssten sie meine Partnerin als Stief- und Pflegemutter anerkennen, aber leider fehle ihnen dafür die Rechtsgrundlage.“ Bis zu einem positiven Entscheid bleibt die Befürchtung, Philip könnte im Falle des Todes seiner Mutter zu seinem leiblichen Vater zurückgeschickt werden. „Dabei will er nicht bei seinem Vater aufwachsen“, ist sich Elisabeth sicher. „Das hat er mehrmals gesagt.“

Auf kleinere Hindernisse stößt die Familie jeden Tag. Ist Elisabeth auf Dienstreise, kann ihre Lebensgefährtin dem verschnupften Philip keine Entschuldigung für die Schule schreiben. Eine Adoption steht deshalb ganz oben auf der Liste der unerfüllten Wünsche. Die politischen Widerstände gegen die Gewährleistung des Adoptionsrechts an homosexuelle Paare ließen nach Elisabeths Ansicht einen wichtigen Aspekt außer Acht: „Was passiert in der Zwischenzeit mit den tausenden Kindern, die bereits in gleichgeschlechtlichen Familien leben?“, fragt Elisabeth. „Solange sich politisch nichts ändert, bleiben sie rechtlich ohne zweiten Elternteil.“