Leberwurst, flieg! Der Airbus A380

Leberwurst, flieg!

Wird er seinen Jungfern-flug überstehen?

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Seit wenigen Tagen erhält der Riesenvogel regelmäßig Auslauf. Dann fährt er auf einer drei Kilometer langen Bahn hin und her, bremst, beschleunigt wieder, rollt sich eben warm. Flügge ist er noch nicht. Deshalb wuchs zuletzt die Dringlichkeit der für ein Flugzeug alles entscheidenden Frage: Wann hebt er endlich ab? Der Airbus A380 macht es spannend. Mit einem Monat Verspätung soll die größte je gebaute Passagiermaschine in den nächsten Tagen zum Jungfernflug starten – entgegen allen Gerüchten aus der riesigen Montagehalle im südfranzösischen Toulouse, die zuletzt zu einer Art Sixtinischen Kapelle der Luftfahrt geworden war, aus der nichts nach außen dringen sollte.
Gab es wirklich Probleme mit dem Fahrwerk? Neigt das gigantische Heck zu instabilem Flugverhalten? Keine Spur, entgegneten Bataillone von Airbus-Sprechern knapp; es werde bloß alles getan, um den Erstflug zum Erfolg zu machen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass die Windverhältnisse passen; ein Start über die Stadt Toulouse hinweg kommt beim Erstflug nicht infrage. Der Airbus muss möglichst rasch hinaus über den Atlantik.
Schon vor einem Jahr hatte der pensionierte Flugingenieur Jürgen Thomas, der von 1995 bis 2000 die Entwicklungsphase des Großraumflugzeugs leitete und als „Vater des A380“ gilt, in unüblicher Offenheit erklärt: „Bei der Flugerprobung wird es sicher Überraschungen geben.“ Welche, das wissen nicht einmal die Airbus-Leute genau. Fest steht nur, dass selbst exakte Computersimulationen nie das tatsächliche Flugverhalten widerspiegeln können. „Wenn sich das Flugzeug so verhält wie der Simulator, könnte es heute in Dienst gestellt werden“, sagt Jacques Rosay, einer der beiden Chefpiloten, die diese Woche – mit vier Testingenieuren an Bord – mit dem A380 abheben wollen. Zum ersten Mal wird die Crew dann echte Daten sammeln, Verhaltensforschern gleich, die ein gefangenes Tier endlich in freier Wildbahn beobachten können.
Wie liegt der A380 in der Luft? Um das herauszufinden, werden Rosay und sein Kollege Claude Lelaie schon bei der Premiere ein riskantes Manöver durchführen – und sie hoffen, dass sie die umgeschnallten Fallschirme, mit denen sie ein manövrierunfähiges Flugzeug über speziell für die Testflüge eingebaute Notrutschen zur Frachttüre vielleicht noch verlassen könnten, dabei nicht brauchen werden: Die Flugstabilität eines solchen Riesen lässt sich am besten überprüfen, wenn er langsam fliegt. Deshalb wird Lelaie den A380 zunächst auf 648 Stundenkilometer bringen und dann den Schub zurücknehmen: „Dabei kontrollieren wir, ob sich das Flugzeug normal verhält. Erst dann gehen wir auf Maximalgeschwindigkeit.“

560 Tonnen. Sobald der Riese wieder sicher gelandet ist, beginnt das längste und aufwändigste Zulassungsverfahren, das je ein Verkehrsflugzeug durchlaufen musste, denn der A380 stellt alles in den Schatten, was bisher zur Verwirklichung des Traums vom Fliegen unternommen wurde. 73 Meter ist er lang, seine Spannweite beträgt 80 Meter, und wenn er startet, erheben sich bis zu 560 Tonnen in die Luft.
Mehr als 60 Firmen aus vier Kontinenten liefern Teile für den in der Grundausstattung 240 Millionen Euro teuren A380. Zusammengebaut werden sie in Hamburg und Toulouse – ein mühsam errungener Kompromiss, der, ganz nebenbei, viel über das vereinte Europa erzählt und zudem eine neue Epoche in der Geschichte der Transportlogistik einleitete. Weil selbst der Airbus-eigene Flugtransporter Beluga für die Riesenteile zu klein ist, musste der Konzern in China ein 154 Meter langes Frachtschiff, die „Ville de Bordeaux“, bauen lassen, das zwischen Deutschland, England, Spanien und Frankreich kreuzt und Triebwerke, Rumpfstücke und sonstiges sperriges Material nach Paulliac an die französische Westküste bringt. Dort versperrt eine alte Steinbrücke den Weg, weshalb riesige Transportlaster die Airbus-Fragmente über eine eigens ausgebaute, 250 Kilometer lange Straße nach Toulouse bringen müssen. Läuft der Betrieb erst einmal richtig an, werden sich mehrmals wöchentlich Hochsicherheitskonvois im Schneckentempo von 20 Stundenkilometern durch südfranzösische Dörfer bewegen. Den heftigen Widerstand der Bevölkerung überwand Airbus in Frankreich – und auch in Hamburg, wo Bürgerinitiativen gegen eine neue Startbahn protestierten – mithilfe der Politik.
Übereinstimmend befinden distanzierte Beobachter, dass das europäische Renommierprodukt wohl nie einen Schönheitspreis gewinnen werde. Als „fliegende Leberwurst“ verhöhnte etwa die „Süddeutsche Zeitung“ den dicken Brummer, als Airbus-Chef Noël Forgeard Mitte Jänner in einer pompösen Inszenierung den Schleier über dem A380 lüftete. Sechs Eigenheime könnten auf den Tragflächen errichtet werden und zumindest noch ein einstöckiges Wohnhaus unter dem erst in sechs Meter Höhe beginnenden Rumpf. Die Radkästen für jedes der vier Hauptfahrwerke, die – auch das blieb nicht unerwähnt – jeweils das Gewicht von fünf Blauwalen aushalten, gingen als Garage durch, und in die Öffnungen der Triebwerke könnte man den Rumpf des älteren, aber kleineren Bruders A320 schieben, der immerhin auch 150 Passagiere befördert.
Mit dem A380, urteilt der Münchner Aeronautik-Professor Horst Baier, stoße Airbus „in neue physikalische Dimensionen“ vor. Seit 1996, dem offiziellen Start des A380-Programms, kämpfen hunderte Ingenieure mit den Tücken der Konstruktion, die 555 Passagiere samt Gepäck und bis zu 310.000 Liter Treibstoff transportieren soll. Eines der größten Probleme: die grundsätzliche Neigung solcher Großraumflugzeuge zur Fettleibigkeit.
Gewicht sei „ein Kampf, den man immer führt, aber nie gewinnt“, gesteht Charles Champion, Jürgen Thomas’ Nachfolger als Chefentwickler. Um den Zusagen über ökonomische Vorteile gerecht zu werden, hat sich Airbus gegenüber seinen Kunden zu einem Leergewicht von maximal 276,8 Tonnen verpflichtet. Schließlich kostet jedes Kilogramm Mehrgewicht zusätzliche hundert Treibstoff-Euro pro Jahr. Ende 2003 aber wogen die damals noch nicht zusammengebauten Teile bereits 290 Tonnen – trotz innovativer Materialien, die in noch nie gekanntem Ausmaß eingesetzt wurden. Allein durch die Verwendung von Glare, einem Verbundstoff aus Aluminium und Glasfaser, konnten 800 Kilogramm eingespart werden. Aber der Teufel steckt im Detail: Allein die Lackierung des A380 wiegt 700 Kilo. Laut offiziellen Bekundungen hat der Vogel nun aber ausreichend abgespeckt, um von den Käufern akzeptiert zu werden.

Handy im Klo. Dennoch: Es ist ein langer Weg bis zum ersten Linienflug, der bereits 2006 stattfinden könnte. Erst in den umfangreichen Testverfahren offenbaren sich alle Eigenschaften und Eigenheiten des A380. Dabei müssen die Flugzeugtechniker an alles denken, was sonst niemandem einfällt.
Was passiert etwa, wenn einem Passagier das Handy ins Klo fällt und die Leitungen zum Sanitärtank verstopft? Sowohl die Röhren als auch das Auffanggefäß wurden deshalb aus durchsichtigem Kunststoff gefertigt, um Ursachen für Verstopfungen und womöglich übel riechende Überschwemmungen in der Kabine besser orten zu können. Der Tank und sein Inhalt sind aber auch ein Stabilitätsfaktor. Mit Schwappexperimenten wurde daher festgestellt, wie sich die Masse aus 17 Flugzeugtoiletten auf das Gleichgewicht auswirkt. Zuvor wurden jede Menge aufgeweichte Hundekuchen weggespült – „der ideale Ersatz für menschliche Substanzen“, wie der Airbus-Physiker Thomas Rötger herausgefunden hat.
Ein weiteres Problem stellt die rasche Evakuierung von bis zu 555 Passagieren plus Crew dar. Der zweigeschoßige A380 muss innerhalb von 90 Sekunden über Notrutschen geleert werden können, und zwar auch, wenn die Hälfte der 18 Notausstiege blockiert ist. Die Zulassungsbehörden sind in dieser Frage besonders unnachgiebig. Tröstlich für Airbus: Für den Test, der noch heuer in der Hamburger Werft stattfinden soll, werden Mitarbeiter des Konzerns rekrutiert, die sicher gern, ohne Panik und im Geiste der Corporate Identity, aus dem A380 springen werden.
Bereits seit dem Vorjahr werden in Hamburg und Toulouse Teile oder ganze statische Zellen, wie die ausstattungslosen Hüllen des A380 genannt werden, gedrückt, gequetscht und vermessen. Um überhaupt zum Jungfernflug durchstarten zu können, führten Techniker des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Februar einen Standschwingungsversuch durch. Dabei testeten sie die „strukturdynamischen Eigenschaften“ (so DLR-Techniker Ulrich Füllekrug) des Flugzeugs. Was wenig spannend klingt, ist jedoch für einen Flieger dieser Größe existenziell.
Mit 800 Sensoren, an denen 25 Kilometer Kabel hingen, untersuchten Füllekrug und seine Kollegen, wie sich Schwingungen in der Konstruktion aus Aluminium, Kohle- und Glasfaser fortpflanzen. Überlappungen solcher minimaler Schwingungen können sich theoretisch bis zum Bruch des Materials aufschaukeln. Kaputt gemacht wurde in diesem Fall nichts. „Wir haben keine Kräfte bis zur Belastungsgrenze eingesetzt, sondern den Airbus nur ein wenig gekitzelt“, sagt Füllekrug.
Härter zur Sache gehen demnächst die Mitarbeiter der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IABG) in Dresden. In einer nur für den A380 konstruierten Riesenhalle soll der Flieger im Zeitraffer um 25 Jahre, bis zum Ende seiner Lebenserwartung, altern. Mit gewaltigen, ebenfalls nur für diesen Typ entwickelten Hydraulikzylindern rückt das Team von Projektleiter Klaus Woithe dem in ein 1800 Tonnen schweres Stahlgerüst eingeklemmten Airbus zu Leibe, verbiegt Rumpf und Flügel und sucht nach haarkleinen Rissen, die sich gefährlich fortpflanzen könnten. Am Ende wird der Flieger unbrauchbar sein (siehe Interview Seite 69). Ziel ist es dabei, auch herauszufinden, wie schadenstolerant der A380 tatsächlich ist. Woithe: „Bei diesem Flugzeug können theoretisch 1,20 Meter große Risse am Rumpf auftreten, ohne dass er aufplatzt.“

Daumenschrauben. Während der Airbus in Dresden langsam gefoltert wird, wollen es die Techniker in Toulouse in den nächsten Monaten ganz genau wissen. Sie verstärken die Daumenschrauben für den A380 so lange, bis er irgendwo auseinander bricht. Gute Arbeit haben die Techniker dann geleistet, wenn die tatsächliche Bruchlinie mit jener der Computersimulation übereinstimmt.
So üblich die diversen Testverfahren bei neuen Flugzeugtypen auch sein mögen – im Fall des A380 benötigen die Aeronautiker Kreativität und mitunter auch Improvisationstalent. Im Mai des Vorjahres mussten etwa die Triebwerke des Typs Rolls Royce Trent 900 ihre Flugtauglichkeit unter Beweis stellen – zu einem Zeitpunkt, als in Toulouse Techniker in der größten Industriehalle der Welt noch dabei waren, das erste Exemplar zusammenzubauen.
Airbus-Flugtestchef Jacky Joye ließ deshalb eines der vier Triebwerke des so genannten Erprobungsträgers vom Typ A340 durch ein Trent 900 ersetzen. Doch das ist sechs Tonnen schwerer als die A340-Motoren und reicht bis 40 Zentimeter über den Boden. Als Gewichtsausgleich füllten die Airbus-Leute einfach mehr Treibstoff in die andere Tragfläche, und um ein paar zusätzliche Zentimeter Bodenabstand zu gewinnen, erhöhten sie auf der Seite des neuen Triebwerks den Reifendruck. Joye: „So hat das Flugzeug am Boden zwar etwas Schlagseite, doch das erhöht die Flugsicherheit.“
Zehn Milliarden Euro verschlang die Entwicklung des A380 bisher. Oder vielleicht doch 1,45 Milliarden mehr? Darüber sind sich selbst der deutsche Boss der Konzernmutter EADS, Rainer Hertrich, und Airbus-Chef Forgeard nicht einig. Fest steht nur, dass sich das Projekt ab 250 verkauften Flugzeugen rechnen kann; etwa 150 Kaufverträge und Zusagen gibt es derzeit. Wie das größte Verkehrsflugzeug der Geschichte vom Publikum angenommen wird, hängt aber nicht allein von Airbus ab.

Verlockender Luxus. Die Airlines entscheiden über Ausstattungsdetails und Kapazitäten. Kaum einer der Käufer gedenkt derzeit, alle 555 Plätze einbauen zu lassen. Zu verlockend ist die Aussicht auf Luxus, High-Tech-Unterhaltung und Geräumigkeit an Bord, auch wenn Platz in einem Großraumflugzeug zum teuersten Raum gehört, der weltweit existiert. Laut einer Boeing-Studie muss ein Luxushotel pro Quadratmeter 15 Euro am Tag lukrieren, um gewinnträchtig zu operieren, ein Verkehrsflugzeug aber 1100 Euro. Welche Bordextravaganzen – Cocktailbar, Massagesalons, Fitnesscenter oder Restaurants – jeweils zu finden sein werden, will daher noch kaum eine Airline verraten.
Nur Virgin-Atlantic-Boss Richard Branson, der für seine Airline sechs A380 geordert hat, deutete bereits an, dass es bei ihm in Zukunft viel bequemer sein werde, Mitglied im elitären Mile High Club zu werden. In seinen Maschinen soll es Casinos geben – und Doppelbetten. Branson: „Zwei Möglichkeiten, an Bord glücklich zu werden.“

Von Klaus Kamolz