Libanon & Syrien: Der Beirut-Effekt

Libanon: Der Beirut-Effekt

Trägt die amerikanische Domino-Theorie Früchte?

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Bis vor Kurzem war Walid Jumblatt, der Führer der libanesischen Drusen, den USA durchaus feindlich gesonnen. „Schade“, lautete sein Kommentar, als US-Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, der Falke im Pentagon, am 26. Oktober des vergangenen Jahres in Bagdad nur knapp einem Attentat entgangen war. Jumblatt fügte hinzu: „Ich hoffe, dass ihn die Rakete das nächste Mal erwischt.“ Prompt verweigerten die USA dem libanesischen Politiker daraufhin die Einreise. Jumblatt galt als Persona non grata mit Sympathien für antiamerikanische Terroristen.

Doch die Feindschaft währte nicht lange. Heute übt sich Jumblatt in Selbstkritik und findet freundliche Worte für die eben noch verhasste Außenpolitik der Amerikaner: „Es ist seltsam, wenn ich das sage, aber der Wandel in der Region hat begonnen, weil die Amerikaner die Invasion im Irak unternommen haben“, erklärte er Mitte vergangener Woche und begründete damit auch sein Umdenken: „Was den Irak betrifft, war ich zynisch. Aber als ich sah, wie das irakische Volk zur Wahl ging, da wusste ich: Das ist der Beginn einer neuen arabischen Welt. Das syrische Volk, das ägyptische Volk, alle spüren, dass sich etwas ändert, dass etwas in Bewegung gekommen ist.“ Salbungsvoller Nachsatz: „Die Berliner Mauer ist gefallen.“

Das Pathos kommt nicht von ungefähr. Jumblatt durfte als einer der Anführer der libanesischen Opposition Anfang vergangener Woche erleben, wie die prosyrische Regierung in Beirut von den Protesten hinweggefegt wurde. 50.000 Menschen waren am 1. März trotz offiziellen Verbots auf den Platz der Märtyrer im Zentrum der libanesischen Hauptstadt geströmt und hatten unter einem Wald von Zedern-Flaggen den Rücktritt der prosyrischen Regierung und den Abzug der 14.000 syrischen Soldaten aus dem Land gefordert. Und tatsächlich: Die Regierung warf das Handtuch.

Souveränität. Die antisyrischen Abgeordneten jubelten: „Aus der Parlamentsdebatte ist unter dem Druck des Volkes und der Opposition etwas anderes geworden: Wir haben dem libanesischen Polizeiregime und seinen syrischen Herren den Prozess gemacht.“ Die Menschen vor dem Parlamentsgebäude konnten das Schauspiel live über riesige Videowände mitverfolgen. Frenetisch fiel der Beifall aus, als ein Demonstrant ins Megafon rief: „Wir werden jeden Tag hier sein, bis der letzte syrische Soldat unser Land verlassen hat.“ Dann wurde „Freiheit, Souveränität, Unabhängigkeit“ skandiert und ein Chor angestimmt: „Wir alle, Moslems und Christen, gegen die Syrer.“

Alles scheint möglich in der neuen arabischen Welt. Das libanesische Volk nimmt sein Schicksal selbst in die Hand und wirft die Syrer aus dem Land. Dabei waren diese in den siebziger Jahren geholt worden, um dem im Bürgerkrieg versinkenden Land Stabilität zu bringen. Wohlgelitten waren sie auch als militärisches Gegengewicht gegen Israel, das 1982 die Libanon-Invasion startete und danach einen kleinen Teil des Südens besetzt hielt. Spätestens ab dem Jahr 2000, als die Israelis abzogen, mutierten die syrischen Truppen aber mehr und mehr von der gerade noch akzeptierten Schutzmacht zur verhassten Besatzung. Nichts geschah im Libanon ohne die Zustimmung Syriens, die Regierung in Beirut war faktisch eine von Damaskus eingesetzte Clique, unterstützt von mächtigen Geheimdiensten.

Der Unmut der Libanesen über die Fremdherrschaft wuchs. Am 14. Februar schließlich schlug er in blanke Wut um. Eine Bombe auf der eleganten Mittelmeerpromenade von Beirut erschütterte das Vielvölkerland der sunnitischen und schiitischen Araber, der Christen und Drusen. Der Anschlag galt Rafik Hariri, dem sehr populären Premier der neunziger Jahre, der, nachdem er sich zusehends von Damaskus distanziert hatte, im vergangenen Jahr als Regierungschef abserviert worden war. Hariri überlebte das Attentat nicht, und obwohl es keine eindeutigen Hinweise gab, nahmen die meisten Libanesen an, dass Damaskus es in Auftrag gegeben hatte: „Im Libanon war der Schock durch die Hariri-Ermordung vergleichbar mit jenem, den der 11. September in den USA und der Tod von Prinzessin Diana in England ausgelöst hat“, diagnostiziert Marwan Mallouf, ein Studentenführer der St. Joseph’s University, in einer Beiruter Zeitung. „Es war ein absolutes Tabu, Opposition zu Syrien offen auszudrücken. Dieses Tabu ist gebrochen. Der Hariri-Mord hat die Schleusen geöffnet.“

Intifada der Unabhängigkeit. Was im Libanon passiert, wird auch in Washington aufmerksam verfolgt – und gemäß den eigenen Vorstellungen interpretiert. Geradezu triumphalistisch deutet Paula Dobriansky, Unterstaatssekretärin im US-Außenministerium, die Ereignisse: Die Welt erlebe eine „Ära des monumentalen Forschritts für Menschenrechte und Demokratie“. Nach der „Rosenrevolution“ in Georgien und der „orangen Revolution“ in der Ukraine sei die Welt nun Zeuge der „Zedern-Revolution“ im Libanon. Dass die Revolutionäre in Beiruts Straßen ihre Bewegung ganz anders nennen, nämlich „Intifada der Unabhängigkeit“, wird in Washington verdrängt, wo man keine Parallelen zur palästinensischen Intifada gegen Isreal sehen will.

Die Freude über die Zedern-Revolution ist in Washington jedenfalls groß, scheint diese doch die Irak-Politik der USA zu legitimieren: „Absolut niemand hätte einen solchen Dominoeffekt nach den irakischen Wahlen erwartet“, schreibt die „Washington Post“: „Zwar glauben nur wenige, dass die Wahlen im Irak rasch zu einer wirklichen Demokratisierung in Ägypten, im Libanon oder in Syrien führen würden. Aber es ist eine historische Tatsache, dass der Sturz von korrupten politischen Systemen im Allgemeinen sehr schnell geht und die Mehrheit der Experten meist überrascht.“

Vor allem die Neokonservativen in den USA fühlen sich – nach ihren zahlreichen Irrtümern im Irak – bestätigt in ihrer geostrategischen Vision, wonach der ganze Nahe Osten demokratisch umgewälzt werden müsse – und ein demokratisierter Irak die Initialzündung dafür sein werde: „Amerika hat seine Gabe, sich neue Welten vorzustellen, genutzt“, meint der Journalist David Brooks. Und selbst die sonst eher Bush-kritische „New York Times“ rechnet der US-Regierung hoch an, „dass sie Demokratie für den Nahen Osten zu einem Zeitpunkt proklamiert hat, als sonst nur sehr wenige im Westen dachten, dass Demokratie in der Region eine realistische Chance hätte“.

Wind der Demokratie. Tatsächlich weht in der Region seit einigen Monaten der Wind der Demokratie:

Nach dem Tod Jassir Arafats wurde sein Nachfolger im Jänner in freien und fairen Wahlen gekürt. Der neue palästinensische Präsident Mahmud Abbas scheint gewillt, seine demokratische Legitimation zu nutzen, um die Politik der Palästinenser von Grund auf zu erneuern. Der Druck der Amerikaner auf den 76-jährigen Hosni Mubarak, der Ägypten seit 24 Jahren autoritär regiert, zeigt Wirkung. George Bush hatte am 2. Februar diplomatisch verbrämt, aber unmissverständlich erklärt: „Ägypten, diese stolze große Nation, die den Weg des Friedens gewiesen hat, wird sich nicht davor fürchten, jetzt dem Nahen Osten den Weg der Demokratie zu weisen.“ Zwar ließ Mubarak kurz darauf noch einen Oppositionsführer in den Kerker werfen (was ihm prompt scharfe Kritik aus Amerika und Europa einbrachte), doch wenig später verkündete er, dass die Verfassung geändert werde: Demnächst soll der Präsident direkt vom Volk gewählt werden, und erstmals, so das Versprechen, sollen mehrere Kandidaten antreten dürfen. Der Autokrat Mubarak selbst wertet dies als „einen Schritt in die Richtung eines offeneren politischen Systems“. Selbst im totalitärsten arabischen Staat, in der wahabitischen Ölmonarchie Saudi-Arabien, der ideologischen Brutstätte des Bin-Laden-Terrorismus, gibt es positive Anzeichen. Jahrzehntelang verteufelte das Herrscherhaus in Riad die Demokratie als antiislamische Erfindung des Westens, mittlerweile vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht seinen Willen zu demokratischen Reformen betont. Erstmals durften die Saudis heuer zu den Urnen gehen. Zwar waren zur Wahl im Februar nur Männer zugelassen, und gewählt wurden nur die Gemeinderäte, von denen wiederum die Hälfte nach wie vor vom Palast bestimmt wird – aber ein erster Lichtblick war es immerhin.

Wie sehr die Nahost-Demokratie-Offensive Amerikas für die jüngsten Entwicklungen in der arabischen Welt verantwortlich ist und wie stark das Vorbild der mutig zu den Urnen strömenden Iraker tatsächlich wirkt, ist noch nicht absehbar. Neben der US-Politik müssen jedenfalls auch andere Faktoren berücksichtigt werden: Der arabische Frühling verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass seit wenigen Jahren unabhängige arabische Fernsehstationen wie Al-Jazeera das Monopol der Hofberichterstattungsmedien durchbrochen haben. Die neuen Fernsehstationen berichten nämlich nicht nur palästinenserfreundlich über den Nahostkonflikt oder strahlen Al-Qa’ida-Videos aus (was Washington mehrfach zu erbosten Demarchen veranlasste), sie informieren die arabische Bevölkerung vor allem auch über die Dinge, die ihren Herrschern höchst unangenehm sind.

So verschwiegen die offiziellen syrischen Medien zwar nicht die Ermordung Hariris, doch die libanesische Protestbewegung kam in den syrischen Zeitungen und Fernsehsendern nicht vor. Das syrische Volk erfuhr von der „Intifada der Unabhängigkeit“ via Al-Jazeera.

Isoliertes Damaskus. Syriens Präsident Bashar al-Assad steht unter mehrfachem Druck. Nicht nur wird Syrien seit einiger Zeit von der Bush-Regierung zum Schurkenstaat Nummer eins aufgebaut, der den internationalen Terror schüre, unterstütze und finanziere; nicht nur hat der UN-Sicherheitsrat auf Initiative der USA und Frankreichs schon vergangenes Jahr in der Resolution 1559 den Rückzug aus dem Libanon verlangt – nun rebellieren auch die Menschen im benachbarten Vasallen-Staat gegen die Besatzung, und die Zedern-Revolution findet weltweite Unterstützung. Damaskus ist isoliert, und Präsident Assad lenkt bereits ein: Der Abzug der Truppen „sollte sehr bald erfolgen, vielleicht in den nächsten Monaten“, ließ er verlauten.

Den Libanesen, die im Frühjahr ein neues Parlament wählen, ist das jedoch zu vage, und es ist gut möglich, dass sie die syrischen Soldaten schon früher loswerden. Denn auch Ägypten und Saudi-Arabien drängen Syrien zum Handeln: Um eine ernsthafte Konfrontation mit der internationalen Gemeinschaft zu vermeiden, sollte Assad seine Soldaten bis April abgezogen haben, befinden Riad und Kairo. Offenbar fürchten sie, dass sich der demokratische Bazillus, der gerade im Libanon grassiert, im Falle eines eskalierenden Konfliktes allzu schnell und unkontrolliert verbreiten könnte. Die Angst ist berechtigt.