Die Prüfung des Abtrünnigen

Libyen: Die Prüfung des Abtrünnigen

Libyen. Die Hochschulerfahrungen von Saif Gaddafi an der Wiener Imadec University

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Wenn es eines letzten Beweises bedurfte, dass sich der Westen in Saif al-Islam Gaddafi getäuscht hat, dann ist es dieses Video von vergangener Woche, aufgenommen in der libyschen Hauptstadt Tripolis: Darin sieht man den zweitältesten Sohn des Langzeitdiktators Muammar al-Gaddafi mit einem Maschinengewehr bewaffnet auf einem Autodach stehen. Wie ein Feldherr stimmt er die regimetreuen Libyer auf die kommenden Gefechte ein. „Wir brauchen nur Gott und unseren Führer Gaddafi!“, brüllt der 38-jährige Ökonom, Architekt und Hobbymaler in die tobende Menge. Und: „Ich komme bald zurück, mit mehr Waffen und noch mehr Leuten.“

Dieser Propagandakrieger, der mit „Flüssen voll Blut“ droht, falls die Revolte gegen das Regime seines Vaters Muammar nicht beendet werde, und jeden Vermittlungsversuch aus dem Ausland ablehnt, war einmal die große Hoffnung auf eine Öffnung des nordafrikanischen Ölstaats Libyen.

Ein „Reformer mit demokratischen Ideen“ sei der Tyrannensohn, urteilte selbst der britische Geheimdienst MI6, einer, der das starre libysche System schrittweise umbauen will. „Ich hatte den Eindruck, dass seine Reformbestrebungen nicht nur Lippenbekenntnisse waren: Er wollte meiner Einschätzung nach wirklich etwas verändern, hatte ein Konzept und wirtschaftliche Ideen, an deren Umsetzung er auch interessiert war“, erinnert sich auch David Bachmann, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Tripolis.

Dieses Image hat sich der „libysche Dandy“ zunächst in der Hietzinger Hauptstraße 41 in Wien erarbeitet. An der ehemaligen Privatuniversität Imadec sollte der damals 23-Jährige eine fundierte Wirtschaftsausbildung bekommen. „Er hat viele Bücher über Demokratie und Privatwirtschaft gelesen, war wirklich interessiert an Menschenrechten und freier Marktwirtschaft“, sagt Imadec-Vorstand Christian Joksch, der 1999 für die Freiheitlichen als Europaabgeordneter kandidierte.

Gaddafis Masterarbeit aus dem Jahr 2000 trägt den Titel „Libyen und das 21. Jahrhundert“. Darin sinniert er über die Chance von Privatisierungen libyscher Staats­betriebe, über Tourismusprojekte und eine engere Partnerschaft mit der EU. Bei der Verteidigung seiner Thesen waren „einige Minister sowie der Präsident der libyschen Zentralbank anwesend“, sagt Joksch. „Er hat die Arbeit auch seinem Vater gezeigt und mit ihm darüber diskutiert.“

Wenig später ging Saif – mit einem „Master of Business Administration“-Titel in der Tasche – an die London School of Economics (LSE). Seine 2008 verfasste Doktor­arbeit steht mittlerweile unter Plagiatsverdacht. Besonders pikant: Die LSE akzeptierte nach Saifs Abgang eine Spende von 1,5 Millionen Pfund (knapp 1,8 Millionen Euro) von Saif Gaddafis „International Charity and Development Foundation“, der Vorstand des Instituts musste daraufhin zurücktreten.

„Wir haben keine Spenden bekommen, im Gegenteil: Wir mussten ihm immer wegen der Studiengebühren hinterherlaufen“, sagt hingegen Imadec-Chef Joksch.

Dass auch die Masterarbeit des Libyers an der einst schicken Uni in Wien ein Plagiat ist, scheint unwahrscheinlich. Gut möglich ist aber, dass er sich beim Verfassen der in perfektem Englisch verfassten Arbeit zumindest stilistisch helfen ließ. 1995 scheiterte Gaddafi an einem Englisch-Test, Aufnahmebedingung bei der Imadec University, ein Jahr später bestand er nur knapp.

Während Saifs Kommilitonen in London den introvertierten Libyer als „nicht besonders begabt“ und mit dem Unterricht „überfordert“ beschreiben, kommt Imadec-Vorstand Joksch zu einem anderen Urteil: „Saif war ein durchschnittlich begabter, aber vifer Student.“

Es war der 22. Februar 1999.
Der „freche Saif“, erzählt Joksch, legte sich damals mit einem seiner Professoren, dem kalifornischen Wirtschaftswissenschafter A. E. Cassuto, an. Der Student hätte die Chance gehabt, zu Hause eine Abschlussarbeit, ein so genanntes „turn paper“, über den Lehrstoff zu schreiben. Stattdessen entschied er sich für die schwierigere Variante: einen vierstündigen Test, bei dem er 15 wirtschaftsmathematische Aufgaben lösen musste.

profil liegt eine Kopie der eigens auf Saif Gaddafi zugeschnittenen Prüfung vor. Die Antworten sind kaum zu entziffern. Bei einigen Punkten schrieb sein Professor „nach dem Test hinzugefügt“, oder „Da musste ich helfen“ hinzu – dennoch bestand Saif den Test mit einem A-/B+, also gutem Erfolg.
Neben seinem Studium, der Malerei und Kontakten zur FPÖ dürfte sich Saif Gaddafi in Wien auch um das Familienvermögen gekümmert haben. Unbestätigten Gerüchten zufolge sollen über den libyschen Geschäftsmann und Gaddafi-Intimus Mustafa Zarti bis zu 30 Milliarden Euro der Gaddafi-Familie auf österreichische Konten geflossen sein. Vergangenen Donnerstag wurden die Konten eingefroren.