Und wenn der Irre nicht aufgibt?

Libyen: Und wenn der Irre nicht aufgibt?

Libyen. Der Allianz droht ein Fiasko

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Wo sind eigentlich die Pazifisten? Die größte Friedensdemonstration der vergangenen Woche fand auf dem Pariser Platz in Berlin Mitte statt. Die Teilnehmer schwenkten „Peace“-Fahnen, auf dem Transparent eines jungen Mannes stand: „Stoppt Luftangriffe auf libysche Frauen und Kinder!“ Auf dem Höhepunkt der Kundgebung vom Donnerstagnachmittag reichte es für 48 Friedensbewegte, die meisten von ihnen Gaddafi-treue Libyer.

Wenn der Westen irgendwo in der Welt militärisch intervenierte, dann gingen in den europäischen Metropolen traditionell Hunderttausende gegen die angebliche imperialistische Aggression auf die Straße. Das war beim Irak-Krieg so, bei Afghanistan, beim Kosovo und bei Bosnien. Diesmal sind sich selbst hartgesottene Freunde des Weltfriedens einig: Der Feldzug gegen Muammar al-Gaddafi ist gerecht. Der Diktator soll weg. Es gilt, das libysche Volk vor dem Tyrannen zu retten. Alle halten die Operation „Odyssey Dawn“ für legitim.

Zunächst, weil sie, wie kaum eine Militäraktion der vergangenen Jahrzehnte, international einhellig abgesegnet ist: Die unter Beschuss geratenen Rebellen haben um Hilfe gebeten; die Arabische Liga hat nach längerem Zögern einer Intervention zugestimmt; erst dann beschloss der UN-Sicherheitsrat eine multilaterale Intervention gegen den Irren von Tripolis. Die Resolution mit der Nummer 1973 geht so weit wie keine andere der Vereinten Nationen bisher: Sie gibt eine Carte Blanche nicht nur für eine Flugverbotszone, sondern auch für alle „notwendigen Maßnahmen, um Zivilisten und von Zivilisten bewohnte Gebiete zu schützen“.

Die Rechnung der Alliierten, wonach Gaddafi unter dem Eindruck der Luftangriffe rasch aufgibt und die Freiheitskämpfer einen Sieg über die seit 40 Jahren währende Diktatur feiern, ist noch nicht aufgegangen. Zwar wurde Gaddafis Soldateska daran gehindert, die Rebellen-Hochburg Benghazi einzunehmen und dort gegen die Bevölkerung zu wüten, der furchtbare Oberst konnte aber keineswegs in die Knie gezwungen werden.

Er scheint sogar neue Kraft zu schöpfen:
Von den Rebellen eingenommene Städte werden von ihm zurückerobert oder zumindest belagert. Und offenbar sind zu wenige Armeesoldaten zu den Aufständischen übergelaufen, als dass diese dem Ansturm der Gaddafi-treuen Truppen Paroli bieten könnten. Nach Angaben aus Benghazi haben die Freiheitskämpfer 17.000 Mann unter Waffen, darunter aber nur etwa 1000 ausgebildete Militärs.

Der anfängliche Enthusiasmus der Alliierten ist bereits verflogen. Die Sorge wächst, die als Blitzaktion geplante Intervention könnte sich in die Länge ziehen und schließlich in einer Niederlage enden. Selbst Frankreichs Außenminister Alain Juppé, zuletzt noch voller Optimismus, räumte Donnerstag vergangener Woche ein, der Militäreinsatz dürfte „wohl mehrere Wochen dauern“.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Gaddafi in den kommenden Tagen doch noch aufgibt oder von vermeintlichen Getreuen beseitigt wird. Sollte der alliierte Waffengang in dieser Weise erfolgreich sein, wäre das jedenfalls die Renaissance eines seit der Irak-Invasion von 2003 diskreditierten Instruments der internationalen Politik: der so genannten „humanitären Intervention“. Seit 1945 hat sich das Völkerrecht grundlegend gewandelt.

Die Souveränität der Staaten wurde mit der stärkeren Betonung der Menschenrechte immer mehr aufgeweicht, das Dogma der Nichteinmischung, das seit dem Westfälischen Frieden 1648 Geltung hatte, zusehends obsolet. Das Recht, mitunter sogar die Pflicht der internationalen Gemeinschaft einzugreifen, wenn in einem Land Menschenrechte flagrant verletzt werden, wurde festgeschrieben.

Die Praxis der „humanitären Intervention“ erwies sich jedoch als äußerst zwiespältig. In Somalia endete die Militäraktion der Amerikaner 1994 in einem Desaster: Beschämt zogen die US-Truppen ab und ließen das Land im Chaos zurück. Den Massenmord der Hutus an den Tutsis im ostafrikanischen Ruanda im selben Jahr ließ die Welt geschehen, ohne einzugreifen. In Bosnien 1992 und Kosovo 1999 wurde lange gezögert, dann aber das Ärgste verhindert. Zugleich wurden internationale Gerichte installiert, die Gewaltherrscher wie Slobodan Milosevic oder Charles Taylor zur Rechenschaft ziehen können.

Unklarheiten.
Die Errungenschaften der jüngeren Geschichte schienen jedoch mit einem Schlag hinfällig zu sein, als die USA unter George W. Bush in den Krieg gegen Saddam Hussein zogen – unter dem Vorwand, dass Saddam Massenvernichtungswaffen besitze. Seit damals standen Interventionen des Westens prinzipiell im Verdacht, nur aus geopolitischen Interessen und Gier nach Rohstoffen geführt zu werden. Das hat sich mit dem Fall Libyen schlagartig geändert. So günstig die Voraussetzungen auf der diplomatischen Ebene auch sein mochten – von Anfang an war die Militäraktion aber mit mehreren Problemen und Unklarheiten belastet.

• Eine Reihe von Militärstrategen hatte bereits vor Wochen gewarnt: Eine Flugverbotszone ist die untauglichste Antwort auf die Aggressionen der Gaddafi-Schergen. Die Bedrohung der Rebellen kommt nicht aus der Luft; ernsthaft gefährlich für sie wären Bodentruppen mit schweren Geschützen. Statt einer No-Fly-Zone müsste, so analysiert der britische „Guardian“, viel mehr eine „No-Drive-Zone“ errichtet werden.

• Der Schutz von Zivilisten ist ein hehres Kriegsziel, allein: Sind es wirklich Zivilisten, gegen die Gaddafi kämpft, oder sind es nicht eher bewaffnete Rebellen, die ihrerseits Krieg gegen den Tyrannen führen? „Kämpfende Aufständische, und wären sie Stunden zuvor noch Bäcker, Schuster und Lehrer gewesen, sind nun einmal keine Zivilisten“, schreibt der Hamburger Rechtstheoretiker Reinhard Merkel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: In diesem Sinne wäre die Rede vom „Schutz der Zivilisten“ reine Fiktion, die Intervention eine militärische Parteinahme in einem beginnenden Bürgerkrieg.

• Schließlich bleibt das Ziel des Libyen-Feldzugs weitgehend unklar: „Gaddafi muss abtreten“, sagte sogar der überaus vorsichtig agierende Barack Obama. Auch sonst wird von mehreren britischen und französischen Politikern kein Hehl daraus gemacht, das eigentliche Ziel des Militärschlags sei ein Regimewechsel. Das Mandat für einen Sturz des libyschen Diktators haben die Vereinten Nationen mit der Resolution 1973 aber nicht erteilt.
Im Spannungsverhältnis dieser Unwägbarkeiten und Widersprüche bewegen sich die Akteure. Die Einigkeit der Alliierten, die sie im New Yorker UN-Glaspalast anfangs noch demonstrierten, ist schnell verflogen.

Die Arabische Liga kritisiert mittlerweile, die Luftangriffe gingen viel zu weit, weil sie zum Tod von Zivilisten führten. Von „unüberlegter Gewalt“ spricht auch der russische Premier Wladimir Putin. „Es gibt dort einen Bürgerkrieg, es gab den Vorschlag zu einer Flugverbotszone, um zu verhindern, dass Gaddafi seine Gegner angreift. Das Ziel war fair, doch was sehen wir heute? Angriffe auf das Territorium des gesamten Landes.“ Präsident Dmitri Medwedew widersprach seinem Vorgänger; Russland hatte sich im Sicherheitsrat der Stimme enthalten.

Auch die Regierung in Peking, die hartnäckig am Prinzip der Nichteinmischung festhält, konnte sich nicht für eine Zustimmung zum Militärschlag durchringen und fordert nun ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen. Deutschland verweigerte ebenfalls die Zustimmung zur Resolution 1973 und bildet nun eine seltsame Allianz mit Russland und China.

Innerhalb der Koalition der an den Kampfhandlungen beteiligten Länder herrscht dicke Luft. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Amerika spektakulär mit seiner Rolle bricht, die es bisher in solchen Kriegssituationen übernahm. „Über Jahrzehnte haben US-Präsidenten im Alleingang Krisenherde identifiziert, Aktionen vorgegeben und dann versucht, Länder durch Überredung, Drohungen und Bestechungen dazu zu bringen, an der ,gemeinsamen Aktion‘ teilzunehmen“, schreibt der renommierte Publizist Fareed Zakaria. „Die USA inszenierten das Kriegsspektakel, ohne von anderen dabei gestört zu werden, trugen aber auch die Lasten und Kosten.“ George W. Bush war darin ein Meister.

Eskalation.
Barack Obama, der von seinem Vorgänger zwei Kriege in muslimischen Ländern geerbt hat, will die Rolle des großen Feldherrn nicht spielen. Von Anfang an machte die US-Administration klar, dass sie keineswegs enthusiastisch auf eine militärische Intervention hinsteuere und unter keinen Umständen ohne Mandat der Vereinten Nationen und der Zustimmung der arabischen Länder in Aktion treten werde. Nachdem die libysche Luftwaffe und Luftabwehr weitgehend ausgeschaltet sind, will Washington nun in die zweite Reihe treten, die militärische Logistik zwar zur Verfügung stellen, das Kommando aber den Europäern und Arabern überlassen. Ein absolutes Novum. Und das verwirrt Europa.

Einer kann es gar nicht erwarten, in dieses von Washington produzierte Vakuum vorzustoßen, endlich wieder einmal weltpolitisch die Pole-Position zu übernehmen und damit die „gloire française“ zu mehren: Nicolas Sarkozy, der monatelang von der internationalen Bildfläche verschwunden war, wittert in der Libyen-Frage die Chance auf ein großes Comeback. Er war von Anfang an vorgeprescht, verbündete sich mit den militärisch gleichermaßen starken Briten und beansprucht das Oberkommando. Was bei ihm zu Hause auf allgemeine Zustimmung stieß, erregte im übrigen Europa Misstrauen. Angesichts des penetranten martialischen Eifers der Franzosen plädieren die Deutschen, vor allem aber die Türken dafür, dass die NATO die Führung des Libyen-Feldzugs übernehmen soll.

Vergangenen Freitag konnte ein PR-Desaster vorerst abgewendet werden: Die NATO übernahm offiziell das militärische Kommando, die teilnehmenden arabischen Länder sind an den politischen Entscheidungen beteiligt. Die Konflikte sind damit freilich nicht aus dem Weg geräumt.

Diese Risse in der Allianz könnten sich verheerend auf die Effizienz der Kriegsführung auswirken. Was, wenn die Bombardements der libyschen Luftstützpunkte und der vorrückenden Panzer auch langfristig keine Wirkung zeigen? Dann wären Bodentruppen erforderlich. „Wenn die Alliierten aber über das UN-Mandat hinausgehen und Bodentruppen einsetzen, würde diese Aktion bestenfalls von einzelnen Staaten und sicher nicht von den USA übernommen werden“, sagt Heinz Gärtner vom Österreichischen Institut für Internationale Politik. Es droht die Gefahr eines „Mission Creep“: Dieses Schlagwort, das erstmals im Zusammenhang mit der UN-Friedensmission in Somalia geprägt wurde, beschreibt die schleichende Ausdehnung einer Militäraktion über die ursprünglichen Ziele hinaus.

Sollte sich Gaddafi für längere Zeit an der Macht halten, große Teile des Landes weiter kontrollieren und auch militärisch gegenüber den Rebellen die Oberhand behalten, müssten die Allianz den Libyen-Krieg eskalieren lassen. Das ist die Logik des aktuellen Geschehens. Die bittere Alternative: Die Alliierten stellen die Kriegshandlungen ein, mit der wahrscheinlichen Konsequenz eines Bürgerkriegs. In diesem Fall „hieße das historische Narrativ: Die Alliierten haben verloren“, sagt Gärtner.

Aber es gibt noch ein drittes Szenario zwischen Eskalation und Niederlage. Eine Exit-Strategie ist denkbar, meint Fareed Zakaria. Es wurden zwar nicht alle, aber immerhin zwei der wichtigen Ziele der Militäraktion erreicht: Die Eroberung von Benghazi durch die Truppen Gaddafis – der „von Haus zu Haus säubern“ und „die Ratten“ niedermetzeln wollte – wurde verhindert, ein Blutbad also abgewendet. Und die Luftabwehr des Regimes ist zerstört. Die Alliierten könnten der fatalen Dynamik des Mission Creep entkommen und es, ohne großen Gesichtsverlust, bei dem Erreichten belassen, unter Aufrechterhaltung der Flugverbotszone. „Gleichzeitig müsste Gaddafi in noch verschärfter Weise isoliert und unter Quarantäne gestellt werden – bis er aufgibt“, so Zakaria.

Oder die Alliierten haben Glück und Gaddafi wirft in den kommenden Tagen doch noch das Handtuch. Glück ist aber bekanntlich keine Strategie.

Lesen Sie im profil 13/2011 ein Interview mit Heinz Gärtner, Experte für Sicherheitsfragen am Österreichischen Institut für internationale Politik, über einen möglichen Misserfolg des alliierten Libyen-Kriegs

Georg Hoffmann-Ostenhof