Das Universum als Baukasten

Lifestyle: Ein Hammer!

Millionen Männer finden im Heimwerken ihr Glück

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Der alte Mann konnte nicht mehr: Seiner Rückenschmerzen wegen zimmerte sich der Schriftsteller Ernest Hemingway im Jänner 1951 ein Stehpult, an dem er in knapp sechs Wochen „Der alte Mann und das Meer“ schrieb. Für die Erzählung sollte er zwei Jahre später den Pulitzerpreis erhalten.

So wie die Großwildjagd, die Hochseefischerei und den Alkoholismus betrieb der Parade-Macho auch das Heimwerken mit nachgerade obsessiver Gründlichkeit. Seine Wohnung in Paris renovierte Hemingway im Alleingang; sein Haus in Key West baute er eigenhändig. „Niemand weiß, was in ihm drinsteckt, solange er nicht versucht hat, es herauszufinden“, begründete Hemingway seine vielen Leidenschaften.

Selbst Hand anzulegen ist ein ganz besonderer Kitzel gerade für jene, die es sich durchaus leisten könnten, die mühselige Arbeit von anderen besorgen zu lassen. Das Mobiliar für sein Hollywood-Anwesen zimmerte Filmstar Brad Pitt großteils selbst. Auch sein Kollege Keanu Reeves erholt sich gern an der häuslichen Hobelbank von der Kino-Maschinerie.

Der berühmteste Tischler der Welt dürfte jedoch Harrison Ford sein. Der gelernte Handwerker wurde bei Sägearbeiten an Studiokulissen für die Filmindustrie entdeckt. Bis heute praktiziert er seinen angestammten Beruf „zwecks Kontemplation“ in der Freizeit.

Roland Düringer, Kabarettist mit Faible für Männerkarikaturen, setzte dem Heimwerker-Virus mit dem Film „Hinterholz 8“ ein satirisches Denkmal und bekennt sich dennoch bis heute zum Do-it-yourself-Trieb.

Düringer ist nicht allein. Aus der männlichen Lust, in Heim und Haus zu sägen, zu hämmern und zu bohren, hat sich in Österreich inzwischen ein Milliardengeschäft entwickelt. Die neun heimischen Baumarktgruppen erzielten in 369 Baumärkten auf 1,2 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche 2003 einen Umsatz von 2,1 Milliarden Euro.

Marktführer bauMax sicherte sich davon ein Viertel; ein Achtel des Gesamtumsatzes konnte die Raiffeisen-Ware Austria (RWA), die im zehnten Jahr ihres Bestehens vor OBI und Bauhaus die Nummer zwei wurde, für sich beanspruchen.

Ausbruch. „Jeder dritte Österreicher zwischen 30 und 50 Jahren ist Heimwerker“, so bauMax-Chef Martin Essl. Obgleich der Markt zu zwei Drittel von männlicher Kientel bestimmt wird, entscheiden laut Essl vor allem die Frauen, wie viel Geld die Herren für ihren Basteltrieb lockermachen müssen oder dürfen.

Das Fernsehen greift den Heimwerkern kräftig unter die Arme. Im Fahrwasser der längst zum Klassiker avancierten US-Sitcom „Hör mal, wer da hämmert“ entstanden eine Reihe von Ratgebersendungen und Doku-Soaps mit viel versprechenden Titeln wie „Einsatz in vier Wänden“ (RTL) oder „Die Häuslbauer“ auf ATV+ .

Warum finden Millionen von Männern beim Zimmern und Dübeln höchsten Lustgewinn? Die Mobilisierung der Do-it-yourself-Energien ausschließlich auf den Spargedanken zurückzuführen wäre zu schlicht. Möglicherweise gibt die Fachmesse „Tendence Lifestyle“, die kürzlich in Frankfurt stattfand, mit ihrem Werbeslogan „Lebe wie kein anderer“ die knappste aller möglichen Antworten. Die konkrete und höchstpersönliche Gestaltung des eigenen Mikrokosmos bietet eine willkommene Alternative zu den streng normierten Bewegungs- und Entfaltungsräumen des gesellschaftlichen Alltags.

Leise Verbesserer. Heimwerker sind, darin sind sich die Psychologen einig, sowohl beharrliche als auch rastlose Individualisten. Da es in der Natur ihrer Heimwerkerseele liegt, mit dem, was ist, nicht zufrieden zu sein, stellen sie eigenhändig her, was sein soll. Und wenn sie dabei zu einem Resultat gekommen sind, stellen sie, manisch getrieben, gleich wieder etwas Neues her.

Quer durch alle Gesellschaftsschichten fliegen die Späne, und für viele hat das manuelle Arbeiten oft eine nahezu psychohygienische Funktion. Klassische Heimwerker sind meistens keine lauten Rebellen, sondern leise Verbesserer ihrer Welt.

Der 35-jährige Wiener Finanz-Controller Tom Drescher baute sich aus dieser Motivation heraus ein eigenes Haus: „Es ist ein so genanntes Passiv-Haus, das mit natürlicher Energie auskommt und fast keine Heizung braucht. Ich wollte meinen Kindern demonstrieren, dass es an einem selbst liegt, ökologisch bewusst zu leben.“

Die Basis des Basteltriebs wird oft schon in der Kindheit gelegt. Als der Osttiroler Journalist Alois Vergeiner fünf Jahre alt war, starb sein Großvater und hinterließ eine geheimnisvolle Werkzeugkiste. Der Bub begann, im Bauernhaus „mit Opas Sachen alles zu reparieren, und dabei bin ich von der Oma dermaßen gelobt worden, dass das für mich der Auslöser war weiterzumachen“. Männer, auch darüber herrscht Konsens unter Freizeitforschern, sind bei der Ausübung ihrer Hobbys vor allem durch die angenehme Nebenwirkung Feedback zu Höchstleistungen anzuspornen.

Inzwischen ist Vergeiner „Universalspezialist“ und beherrscht von der Begradigung der Wände bis zum Möbelbau fast alle Raffinessen des Do-it-yourself-Repertoires: „Nur bei Strom, Gas und Wasser halt ich mich zurück, weil ich davor zu viel Respekt habe.“

Fast mitleidig schaut der 61-Jährige auf den bastelnden Nachwuchs herab, dem das Angebot der Baumärkte jeden Willen zur konstruktiven Improvisation raubt: „Heute gibt’s doch schon alles. Ich habe mir beim Fliesenfugen früher noch aus Zündhölzeln die Kreuzeln gebastelt. Heute werden die doch schon gleich mitgeliefert. Seinerzeit habe ich 1500 Kilo Gips in 50-Kilo-Sackeln in meine Wohnung geschleppt – heute kann man sich das liefern lassen.“

Soforterlebnis. Die Motivation für Vergeiners Bau- und Bastelwut war ursprünglich eine rein ökonomische: „Ich habe an Wareneinsatz und Arbeitszeit mindestens das Fünfzigfache eingespart.“ Inzwischen steht vor allem „die Befriedigung, mit eigenen Händen etwas geschaffen zu haben“, im Vordergrund seiner Heimwerker-Motivation.

Möglicherweise werden jene acht Prozent Österreicher, die bis Ende 2005 in eine der 500.000 neuen Wohnungen umziehen wollen, ähnliche Läuterungsprozesse durchleben.

Das männliche Bastel-Gen bietet ein reiches Betätigungsfeld für angewandte Psychologie, Soziologie und Evolutionsbiologie. In der Abhandlung „Why Do Men Barbecue?“ (Warum grillen Männer?) beruft sich der in Harvard lehrende Anthropologe Richard A. Shweder auf die These, „dass das Aufgreifen von Sitten aus Pioniertagen wie Feuermachen oder auch Zimmern und Bauen dem verunsicherten Mann die Illusion vermittelt, dass er noch immer im Besitz seiner angestammten Machtterritorien ist“.

Die Wiener Verhaltensforscherin Brigitte Rollett sieht „in der unmittelbaren Befriedigung“ durch die schnellen Resultate beim Basteln den psychologischen Ursprung des Booms, denn in der voll digitalisierten Arbeitswelt von heute mangle es an dem Luxus, „die Resultate seiner Bemühungen angreifen zu können“.

Der Wiener Psychoanalytiker und bekennende Heimwerker Thomas Stephenson erklärt den männlichen Gestaltungsdrang mit der generellen Sehnsucht nach Autonomie beim Mann: „Damit ist auch zu begründen, dass Männer sich im Gegensatz zu Frauen auch häufig weigern, jemanden um einen Weg zu fragen. Sie wollen das Ziel selbst und ohne fremde Hilfe finden.“

Stephenson selbst kennt das Hochgefühl der Selbstbestimmtheit nicht nur aus theoretischer Anschauung: „Ich habe ein Haus nach exakt meinen Wunschvorstellungen anfertigen lassen. Ich habe Fachkäfte mit hochwertigen Materialien arbeiten lassen, aber jede Schraube selbst ausgesucht. Ich war sozusagen Regisseur der Produktion und täglich auf dem Set.“

Die einstige Angst der potenziellen Wohnungsbastler und Häuslbauer, als pekuniäre Schwächlinge dazustehen, die sich hochklassige Qualität nicht leisten können, hat zweifellos das Möbelhaus Ikea mit seinem Demokratisierungs-Esprit vertrieben: Die schlaue Suggestion, jeder Mensch sei imstande, schickes Design eigenhändig zu installieren, machte das Anpacken wieder gesellschaftsfähig. Mitte der siebziger Jahre gehörte es geradezu zum guten Ton, die Wochenenden mit dem Verschrauben und Montieren von Schränken und Regalen zu verbringen.

Bastel-Höhle. Für veritable Heimwerker-Freaks hat diese Form der Selbstverwirklichung jedoch denselben Effekt wie Methadon für einen Heroinsüchtigen: Beides probiert – kein Vergleich! Echte Bastel-Junkies investieren tausende Euros, um etwa mit dem Porsche unter den Schlagbohrmaschinen, der „Hilti“, ihr Werkzeugarsenal zu krönen.

Georg Biron, Chefredakteur des österreichischen „Heimwerker-Magazins“, ortet im Rückzug in die „Bastel-Höhle“ oftmals eine willkommene männliche Ausrede, „um der Beziehungshölle zu entfliehen“.

Dass leidenschaftliche Bastler oft auch nur Refugien vor häuslichen Unbilden suchen, gesteht ein sicherheitshalber anonym bleiben wollender Heimwerker: „Es ist einfach leichter, zu einer klemmenden Kommodenlade ,Jetzt geh schon, blöder Trampel!‘ zu sagen als zu seiner eigenen Frau.“

Kritische Psychologen bezeichnen den Basteltrieb als Spielart eines verkappten Autismus. bauMax-Chef Martin Essl sieht das nicht ganz so drastisch: „Bastler sind eine Mischung aus Familienmenschen und Einzelgängern, aber natürlich sind zum Beispiel Hobbyköche die geselligeren Typen als passionierte Fliesenleger.“

Auf jeden Fall hat sich die Bau- und Heimwerkerbranche als einer der wenigen Wachstumsmärkte in der Rezession durchsetzen können. „Es ist ein Faktum, dass bei uns jede zweite Wohnung ohne Do-it-yourself-Verfahren nicht renoviert werden könnte. Von diesem Faktum leben wir“, sagt „Heimwerker-Magazin“-Chefredakteur Biron. In Deutschland existiert seit geraumer Zeit ein breites Fachmagazinangebot zum Thema („Heimwerker“, „Selber machen, „Selbst ist der Mann“), das österreichische „Heimwerker-Magazin“ existiert erst seit vergangenem März mit einer Auflage von beachtlichen 135.000 Stück.

Letzte Bastion. Der gelernte Wiener Fleischhauer Rudolf Filz, der sich auf dem zweiten Bildungsweg zum Psychotherapeuten ausbilden ließ, steht, was seine manuellen Autonomiebestrebungen betrifft, unter Rekordverdacht. Auf zehn Häuser aus „eigenen Händen“ kann der Mann inzwischen verweisen. Schon beim ersten Rohbau 1971 keimte eine unheilbare Leidenschaft: „Ich habe damals das erste Mal in meinem Leben das Gefühl verspürt, das Zentrum der Macht und Kompetenz zu verkörpern. Mein einziger Helfer war damals ein pensionierter Maurer mit Hörgerät. Es war eine Viechsmüh.“

Häuser für den Schwiegervater und diverse Freunde folgten. Inzwischen gönnt sich Filz den Luxus, „von einem Architekten zumindest den Grundriss zeichnen zu lassen“. Seine gestalterische Passion begründet der Ex-Fleischer mit dem Prinzip des Zen-Buddhismus, „der besagt, dass hinter dem Sichtbaren etwas Geistiges steht“.

Eine Geisteshaltung, die Filz mit der Salzburgerin Karin Inmann verbindet. Die ehemalige Geografielehrerin und Entwicklungshelferin gestaltet aus Schwemmholz Möbel und recycelt Blechlavoirs und Scheibtruhen zu Schalensitzen und Liegen: „Ich hasse alles, was von der Stange kommt, und möchte durch das kreative Eingreifen in dieser Welt aus Normen ausbrechen können.“

Noch reduziert das Gros der Frauen ihren Gestaltungswillen vorrangig auf Dekoration und Garten, doch angesichts der wachsenden Scheidungs- und Singlehaushalts-Ziffern wird der weibliche Wille zur Unabhängigkeit sich wohl bald auch im Bohren und Dübeln niederschlagen.

Die Wiener Baufirma Quester zeigte Pioniergeist, als sie vor einigen Jahren Heimwerker-Workshops speziell für Frauen ins Leben rief. Inzwischen wurde die Idee branchenweit kopiert.

Ausgerechnet die amerikanische Feministin Erica Jong wittert in den heimwerkerischen Ambitionen der Frauen ein Gefahrenmoment: „Wenn man Männern auch noch diese letzte Bastion aus Archaik, Folklore und Stereotypen raubt, werden sie wahrscheinlich mehr verunsichert als notwendig. Warum lassen wir ihnen nicht diese kleine Oase der Selbstverwirklichung?“