Linz 2009 und der Kulturgenerator

Linz09 und der Kulturgenerator: Intendant Martin Heller lässt sich nicht beirren

Intendant Martin Heller lässt sich nicht beirren

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Der Zeitpunkt war äußerst ungünstig, schließlich darf sich Linz schon in wenigen Tagen mit dem glamourösen Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ schmücken. Doch vergangene Woche führte ausgerechnet der Linzer Bürgermeister Franz Dobusch vor, wie leicht man sich mit Kunst blamieren kann. Am Tag der Übergabe des Linzer Weihnachtsbaums fiel der Blick des obersten Stadtpolitikers auf die Krippe, die heuer in seinem Rathaus aufgebaut worden war: Josef und Maria warteten nicht in einem Stall, sondern in einer Miniatur-Baracke aus Plastikverpackungen auf die Ankunft des Messias. Irritiert ließ Dobusch das seltsame Objekt entfernen – nicht ahnend, dass die Müllkrippe Teil einer Ausstellung war. Kunst ist eine Frage der Definition, und wie unterschiedlich die Antworten darauf ausfallen können, dürfte Linz im kommenden Jahr wohl nachhaltig beschäftigen, wenn 300 Künstler aus 40 Ländern an die Donau reisen werden, um nicht nur angestammte Territorien wie das Lentos Museum oder das Landestheater in Beschlag zu nehmen: Selbst die Dächer von Linz sollen mit Kunstwerken bestückt werden (in der vom 29. Mai bis 27. September laufenden Programmschiene „Höhenrausch“).

Befremdet könnten die angereisten VIPs beispielsweise auf die Eröffnungsfeierlichkeiten in der Silvesternacht reagieren. Anstatt die 300 Politiker und Wirtschaftskapitäne zu einem luxuriösen Galadiner einzuladen, will Intendant Martin Heller die prominenten Besucher im Rahmen des Projekts „Linz Zuhause“ auf rund 70 Wohnungen verteilen, wo sie privat bekocht und anschließend von ihren Gastgebern ins Brucknerhaus zu den Eröffnungsfeierlichkeiten begleitet werden. Wie lernt man eine Stadt am besten kennen? Bekanntlich über ihre Bewohner.

Dabei hat sich die Stadtregierung finanziell nicht lumpen lassen: Stolze 250 Millionen Euro investierte die lokale Politik in die Innenstadtsanierung, Tiefgaragen und gläserne Prestigebauten wie das Ars Elec­tronica Center oder den neuen Südflügel des Linzer Schlosses. Weitere 65 Millionen Euro machten Bund, Land und Stadt für Hellers Programm locker: Luxemburg, als Gesamtregion zur Europäischen Kulturhauptstadt 2007 erklärt, stellte seinem Intendanten bei einem Einzugsbereich von 30 Millionen Menschen gerade mal 45 Millionen Euro Spielgeld zur Verfügung.

„Früher rauchten in Linz die Schlote, jetzt rauchen die Köpfe“, erklärt Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer euphorisch. Wer kann, lobt und preist in Linz die Kultur – und erhofft sich von ihr eine entsprechende Umwegrentabilität: Die Auslastung der Hotels, die Umsätze der Restaurants, die Bilanzen des Einzelhandels – alle wirtschaftlichen Kennziffern sollen 2009 um bis zu 15 Prozent nach oben schnellen, wenn es nach den Prognosen von ÖVP-Kulturstadtrat Erich Watzl geht.
„Wir brauchen das Grazer, Salzburger und Wiener Publikum“, sagt Heller, der in der Bundeshauptstadt bislang vorwiegend mit Negativschlagzeilen von sich reden machte. Während die Wiener Presse die Absage von Bernhard Langs Oper „Monte­zumas Rache“ zum Skandal ausbaute und Hellers stolzes Jahresgehalt von 183.000 Euro diskutierte, zerpflückten die „Oberösterreichischen Nachrichten“ bereits im März das Gesamtprogramm: „Die Projekte wirken unkonkret, nicht greifbar und abgehoben.“ Tatsächlich verzichtet Linz09 fast vollständig auf europäische Regiestars, nicht einmal die deutschsprachige Theaterelite wurde zur Anreise gebeten: Weder der Österreicher Martin Kusej noch der Deutsche Andreas Kriegenburg oder die Schweizerin Barbara Frey werden in Linz zu Gast sein. Stattdessen setzt Schauspielchef Airan Berg auf Produktionen aus fast allen Kontinenten: Oft sind die von weit her kommenden Gastspiele nur an ein oder zwei Abenden zu sehen.

„Ich finde das Blockbuster-Denken falsch“, verteidigt Heller seinen Schauspieldirektor. „Die Leute entscheiden sich nicht wegen eines Einzelevents für einen Linz-Besuch. Die Dichte des Programms ist der Blockbuster, der die Menschen aus Wien anlocken soll.“ Berg ergänzt: „Leute wie die Theatermacher Faustin Linyekula oder Li Liuyi sind Stars. Bloß kennt man sie hier noch nicht.“

Migration. Das erste von drei Theaterfestivals zündet Berg Mitte Jänner: Krieg, Verfolgung und Migration sind die schwergewichtigen Themen der kleinen Produktionen. Linz ist eine Stadt der Zuwanderer: Insgesamt werden hier 81 Sprachen gesprochen, der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund beträgt 25 Prozent. Wie reagiert Linz09 auf das soziale Gefüge? Eine dunkelhäutige Ausländerin, ein Punk-Girl und eine Wirtschaftsfrau werden ab 2. Jänner als (un-)heilige „Drei Königinnen“ von Wohnung zu Wohnung ziehen, um die Linzer auf ihre Gastfreundlichkeit hin zu überprüfen. Es scheint kaum Grenzen dafür zu geben, was Intendant Heller unter Kultur versteht. Das 287 Seiten dicke Programmbuch führt den Bau einer Tiefgarage ebenso als Projekt von Linz09 an wie die Verlängerung der Pöstlingbergbahn, das neue Besucherzentrum der Voest und die Neugestaltung der Promenade. „Eine Kulturhauptstadt ist keine Kunsthauptstadt“, betont Musikdirektor Peter Androsch, der keinesfalls Opernaufführungen, sondern ein politisches Anliegen ins Zentrum seines Interesses rückte: Linz zu einer akus­tischen Musterstadt zu machen („Hör­stadt“).

„Die Linzer Stadtplanung der vergangenen drei Jahre ist bemerkenswert“, untermauert Heller seinen breiten Kulturbegriff und erklärt Linz09 zum Stadtentwicklungsprogramm: „Europäische Kulturhauptstadt zu werden bietet einem Ort die Chance, Dinge zu tun, die man sonst nur in einem größeren Zeitraum machen kann. Unser Programm ist eine Auseinandersetzung der Stadt mit sich selbst. Den anderen Pol von Linz09 bilden Europa und die Welt. Es ist ein deklariertes Ziel meines Verständnisses von Kulturhauptstadt, Linz kulturell internationaler zu machen.“

Heiterkeit. Heller, geboren 1952 in der Schweiz, ist ein Kunsttheoretiker von hohen Graden. Gekonnt parliert der einstige künstlerische Direktor der Expo 2002 in Hannover über die Vorteile der Postmoderne, parfümiert seinen Diskurs mit eleganten Formulierungen – und sorgt mitunter auch für Heiterkeit in der Linzer Kulturszene, wenn er sich verbal versteigt und etwa die Linzertorte angesichts einer entsprechenden Projektidee zur „Integrationsfläche“ der Kulturen erklärt. Heller und sein Leitungsteam vereint die durchaus gesunde Hybris, eine ganze Stadt nachhaltig prägen und verändern zu wollen. Linz09 sei keinesfalls eine Belohnung, die sich die Industriemetropole für die wirtschaftlichen und kulturellen Anstrengungen der vergangenen Jahre verdient habe: Mit dem Lentos etwa leistete sich Linz vor knapp sechs Jahren einen der wichtigsten Museumsneubauten Österreichs. Linz09, so Heller, sei „eine Art Arbeitsstipendium“: auf in die Zukunft, freilich unter seiner Anleitung.

Wie gut Heller die Stadt, für die er arbeitet, überblickt und begreift, sorgte jedoch seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren durchaus für Kontroversen. Dass er etwa die Linzer Kultband Attwenger nicht kannte, trug ihm in der Szene ebenso Häme ein wie die Statements seines Stellvertreters Ulrich Fuchs, eines Bremer Kulturmanagers, der Journalisten erklärte: „Ich hatte noch keine Ahnung von Linz und dachte mir, da fährst du jetzt einfach mal hin. Es war sehr schönes Wetter, sehr heiß. Ich bin dann auch mit dieser gelben Bimmelbahn durch die Stadt gefahren, und es war sofort eine Sympathie da.“

Die Kritik spitzte sich zu, als Heller den 500 Meter hohen Pöstlingberg zum „Heiligen Berg“ und neuen Wahrzeichen von Linz erklärte. SPÖ-Finanzstadtrat Johann Mayr kommentierte 2007 offen, dass der „Heilige Berg“ „sicherlich mit der Identität der Stadt nichts zu tun“ habe, und auch Michael John, führender Sozial- und Geschichtswissenschafter an der Uni Linz, meint: „Den Linzern würden wohl andere Dinge als der Pöstlingberg einfallen. Heller ist sicherlich kein Linz-Kenner, aber er tut sein Bestes.“ Namhafte Protagonisten der freien Kulturszene kündigten Heller wütend die Zusammenarbeit auf. Der Ausstellungskurator Gottfried Hattinger beschimpfte Heller als „Wand aus Eis“, Autor Kurt Palm verhöhnte den Schweizer mit einem Thea­terstück („Der Zwerg ruft“), Sven Hartberger wiederum, der angriffslustige Chef des Wiener Klangforums, warf Heller im Zusammenhang mit der Absage von „Montezumas Rache“ gar „Unfähigkeit“ und „unehrenhaftes“ Verhalten vor.

„Die Kritik an den Programmmachern von Linz09 war stärker, als viele erwartet hätten“, meint Conrad Lienhardt, Organisator einer eigens im Internet eingerich­teten Protestplattform (www.linz09.info). „Hellers Versuche, mit lokalen Künstlern in Kontakt zu treten, waren oftmals von unzulänglicher Kommunikation und mangelnder Wertschätzung geprägt. Bulletins, Monologe und Roadshows ersetzten das Gespräch.“ Harald Gebhartl vom Phönix Theater sekundiert: „Von Linz09 wird die lokale Szene, abgesehen von einigen finanziellen Zuwendungen, so gut wie nicht wahrgenommen. Ich unterstelle dem 09-Team eine gewisse regionale Künstlerfeindlichkeit.“

Versöhnung. Während Heller vor Monaten noch monierte, der Widerstand komme „aus Kreisen, die sich gewisse Hoffnungen auf Geld“ gemacht hätten, schlägt er inzwischen versöhnlichere Töne an. „Natürlich hat es bei 1700 Einreichungen eine Vielzahl von Projekten gegeben, die wir absagen mussten. Da bleibt ein gewisser Frust hängen, das verstehe ich. Wir waren auch nicht perfekt in allen Abläufen, manche Entscheidungen haben lange gedauert, und in Einzelfällen sind Dinge nicht gut gelaufen.“

Je näher die Eröffnungsparty in der Silvesternacht mit der Uraufführung der „Raketensymphonie“ durch 500 Chorsänger rückt, desto enger rückt auch Linz zusammen. Die Kritiker geben sich inzwischen deutlich milder, bereits angelaufene Projekte haben sich als wahre Publikumsmagneten erwiesen. Als etwa Linzer Kaufhäuser ihre Schaufenster im Juni 2007 für Kunstwerke ausräumten („Schaurausch“), erntete Heller euphorische Reaktionen; die nachfolgende Ausstellung „Tiefenrausch“ im Mai 2008 lockte 20.000 Besucher an; zuletzt wurden in nur vier Tagen von der neu aufgelegten „Insidercard“ 1400 Stück verkauft: Mit ihr erhalten ­Linzer Rabatt auf sämtliche Eintrittspreise.

Wie die Kunst ist auch ihr Erfolg eine Frage der Definition: Das Programm von Linz09 ist inhaltlich scharf konturiert, der Kunstanspruch von Uraufführungen wie der experimentellen „Landschaftsoper“ von Peter Ablinger denkbar avanciert, und mit der Ausstellung „Kulturhauptstadt des Führers“ legt Heller seinen Finger auf die Wunden der Stadt. „Ich will nicht, dass Kultur für alle heißt, es darf ruhig ein wenig billiger und populärer sein“, formuliert Heller sein Credo. „Ich vertrete genau das Gegenteil und plädiere für eine sinnvolle Überforderung der Menschen.“ Mit 220 Projekten ist ihm das zumindest quantitativ bereits gelungen.

Von Peter Schneeberger
Mitarbeit: Wolfgang Paterno

Fotos: Michael Rausch-Schott