Die Affäre

Linzer Handgranate

Voest: Linzer Handgranate

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Die Mühlkreisautobahn nahe Linz gab am Freitagmorgen vergangener Woche die Kulisse für ein hitziges Spektakel. Durch den dichten Frühverkehr schoben sich dunkel verglaste schwere Limousinen, Stoßstange an Stoßstange, immer hart am Tempolimit. Ziel des rasenden Konvois: das Werksgelände der Linzer VoestAlpine AG.

Pünktlich um 9.30 Uhr traten im schmucklosen Gästehaus nahe der Generaldirektion in der VoestAlpine-Straße Nummer 1 die sechs Mitglieder des Vorstandes, zwölf Aufsichtsräte und drei Juristen zu einem der ungewöhnlichsten Meetings in der Geschichte des Stahlkonzerns zusammen. Eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung mit nur einem einzigen Tagesordnungspunkt: "Behandlung der Vorgänge im Zusammenhang mit den Insidervorwürfen gegen Generaldirektor Dkfm. Franz Struzl."

VoestAlpine-Chef Struzl selbst war es gewesen, der die Sitzung durch Präsident Rudolf Streicher einberufen hatte lassen. Der 61-jährige Manager wollte endlich seine Version einer Affäre darlegen, die ihn zuletzt in schwerste Bedrängnis gebracht hatte: die privaten Aktiengeschäfte aus dem Jahr 2002 (profil berichtete mehrfach).

Die anwesenden Journalisten mussten sich drei Stunden gedulden, ehe schließlichVoest-Präsident Rudolf Streicher eine dürre Mitteilung zur Verlesung brachte: "In der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung wurde Herrn Struzl nach ausführlicher Diskussion aller relevanten Rechtsprobleme einstimmig das Vertrauen ausgesprochen. " Nachsatz: "Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht."

Sprach's, bestieg seinen schwarzen Audi A8 und war dahin. Struzl selbst hatte die Begegnung mit den Medienvertretern gänzlich vermieden.
Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Vor allem Richard Schenz, Kapitalmarktbeauftragter der Bundesregierung und als langjähriger OMV-Generaldirektor versiert im Umgang mit internationalen Investoren, ließ in einer Stellungnahme keinen Zweifel daran, dass der Aufsichtsrat sowohl dem Unternehmen als auch der Wiener Börse schweren Schaden zugefügt habe. Schenz: "Der Beschluss war für Struzl, aber gegen den Kapitalmarkt. Das wird international einschlagen wie eine Handgranate."

Gehandelt und gelogen. Franz Struzl war im Herbst des Vorjahres von der Finanzmarktaufsicht bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt worden, weil er im Juli 2002 vertrauliche Informationen missbraucht und in Aktien der VoestAlpine- Tochter VAE AG (ehemals VA Eisenbahnsysteme) spekuliert hatte.

Franz Struzl konnte ein Strafverfahren vermeiden, weil er unbescholten, geständig und kooperativ war. Im Zuge eines von der Jusitz angebotenen außergerichtlichen Tatausgleichs (Diversion) musste Struzl heuer 50.000 Euro an den Bund bezahlen und den Gewinn in der Höhe von mehr als 200.000 Euro karitativen Einrichtungen spenden.

Franz Struzl schreckte schließlich auch nicht davor zurück, öffentlich mehrfach die Unwahrheit zu sagen - nachdem profil die Insideraffäre aufgedeckt und minutiös nachgezeichnet hatte (profil Nr. 32/03).

Franz Struzl darf nach dem Beschluss des Aufsichtsrates vom 8. August 2003 bis zum Auslaufen seines Vertrages im Sommer 2006 die Geschicke eines Konzerns mit 22.700 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt 4,39 Milliarden Euro bestimmen. Eines Konzerns, der neben der Verstaatlichtenholding ÖIAG (34,7 Prozent) eine Vielzahl privater und institutioneller Investoren aus dem In- und Ausland zu seinen Aktionären zählt.

Struzl selbst hatte bis zuletzt einen Rücktritt aus freien Stücken ausgeschlossen. Auch zahlreiche Aufsichtsräte von Präsident Streicher abwärts waren nicht müde geworden, die Affäre mit Äußerungen wie "Struzl ist weder angeklagt noch verurteilt worden" herunterzuspielen. Einzig der als Vertreter der Kleinaktionäre wirkende Wiener Notar Stefan Kralik hatte Kritik anklingen lassen: "Ich frage mich, was schlimmer ist: Struzl zu verlieren oder weiterhin mit diesen Vorwürfen zu leben?" Das war allerdings vor der Sitzung.

Befangene Aufsichtsräte. Drei Stunden dürften schließlich gereicht haben, um auch ihn davon zu überzeugen, dass es nachteilig wäre, Struzl abzuberufen. Was an diesem 8. August hinter verschlossenen Türen wirklich geschehen ist, wollte bislang keiner der Teilnehmer offenbaren. Streicher: "Wir haben Vertraulichkeit vereinbart. " Tatsache ist, dass die meisten der zwölf anwesenden Aufsichtsräte (drei waren entschuldigt) gute Gründe hatten, Struzl - Insiderhandel hin oder her - dort zu belassen, wo er ist.

Rudolf Streicher, ÖIAG-Vorstand Rainer Wieltsch und Personalvertreter Helmut Oberchristl hätten sich mit einer Abberufung Struzls gleichsam selbst belastet. Sie bilden das dreiköpfige Präsidium des Aufsichtsrates und waren bereits seit Ende Juli 2002 über die Insider-Troubles des Vorstandschefs informiert. Doch sie haben weder die Öffentlichkeit noch den restlichen Aufsichtsrat über die Vorfälle informiert. Aufsichtsrat Kralik: "Ich habe davon erst aus der Zeitung erfahren." Hätte das Präsidium nun für Struzls Abberufung votiert, hätten Streicher, Wieltsch und Oberchristl die unangenehme Frage beantworten müssen, warum sie nicht schon früher entsprechende Schritte gesetzt haben.

Den Belegschaftsvertretern, die Struzl in der Sitzung überschwänglich gelobt haben sollen, kommt ein geschwächter, aber dankbarer Vorstandschef durchaus zupass. Ihre Verhandlungsposition gegenüber dem nun zwangsläufig zu Dank verpflichteten VoestAlpine-Chef hat sich - etwa im Hinblick auf im Rahmen der Privatisierung möglicherweise notwendigen Personalma ßnahmen - deutlich verbessert.

Auch Ludwig Scharinger, Chef der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich (RLB), dürfte nicht ganz unvoreingenommen gewesen sein. Schließlich will die RLB, die schon jetzt sieben Prozent der VoestAlpine- Aktien hält, bei der bevorstehenden Privatisierung des Stahlkonzerns kräftig mitmischen.

Neue Ungereimtheiten. Ganz ausgestanden ist die Sache für Struzl auch nach dem Vertrauensvotum nicht.
profil liegen Hinweise vor, wonach der Voest-Chef entgegen aller Behauptungen doch Profit aus dem Insidergeschäft gezogen haben könnte. Am 26. Juli 2002 hatte er bei einem Notar zu Protokoll gegeben, zwischen 3. und 11. Juli vergangenen Jahres 2800 Aktien der VAE erworben zu haben. An diesem Tag trat er die Verfügungsgewalt über die Aktien an den Notar ab und ließ allfällige Gewinne karitativ zweckbinden. Der Notariatsakt war gleichsam die Grundlage für die spätere Einigung mit der Justiz. Struzl dürfte jedoch - das legen jedenfalls seine Wertpapierdepotauszüge nahe - nicht 2800, sondern exakt 3000 Aktien gekauft haben. Warum er dem Notar, der Öffentlichkeit und möglicherweise sogar der Justiz 200 VAE-Aktien - potenzieller Gewinn: immerhin 16.000 Euro - vorenthalten haben könnte, ist derzeit unklar.

Aufschluss gibt möglicherweise das im Jahresbericht 2002/2003 formulierte Selbstverständnis der VoestAlpine: "Versteckte Werte."