Phantomschmerzen

Wiener Festwochen: Resümee der Ära Luc Bondy

Theater. Resümee der Festwochen-Ära Luc Bondy

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Es muss im Frühjahr 2001 gewesen sein, als der Schweizer Starregisseur Luc Bondy, damals noch nicht Intendant, sondern Schauspielchef der Wiener Festwochen, eine folgenschwere Entdeckung machte. Seine Kollegin Hortensia Völckers, für Tanz und Sonderprojekte zuständig, stemmte eine Art Festival im Festival. "Du bist die Welt“ war eine überbordende Mischung aus Performance, Ausstellung, Film und Symposion: ein Diskursfestival als der ehrgeizige Versuch, das Zeitgenössische in der aktuellen Kunstproduktion spartenübergreifend aufzuspüren und zur Diskussion zu stellen. Selbst wenn dem ästhetisch eher konservativen Bondy ein Großteil der gezeigten Arbeiten vermutlich nicht gefallen haben sollte (falls er sie überhaupt gesehen hat), so musste er doch darüber begeistert gewesen sein, wie produktiv Völckers ans Werk gegangen war.

Ein Jahr später wurde Luc Bondy Intendant der Festwochen und blieb in Sachen Arbeitsteilung seinem Frauentyp treu: Für das Schauspielprogramm sollten stets weibliche Kuratorinnen zuständig sein, die, anders als Bondy, nicht nur ihre längst international abgesicherten Regiefreunde einluden. Das Prinzip Fleiß wurde ausgelagert: Die jeweiligen Bereichsleiterinnen reisten unermüdlich um die Welt, um entlegene Produktionen zu finden, entfachten intellektuelle Diskurse und waren in der Stadt präsenter als Bondy selbst, der in der Festwochenzentrale in der Wiener Lehárgasse nicht einmal ein eigenes Büro hat. Bondy blieb in Wien ein Phantom, das außerhalb der Festwochenzeit höchst selten zu sehen war und auch während des Festivals seine Repräsentationspflichten nicht sonderlich ernst nahm. Bondy verkörperte selbst als Intendant vor allem den freigeistigen Künstler, der die Festwochen jedes Jahr mit eigenen Regie-Arbeiten bestückte und lästigen Intendantenpflichten so weit wie möglich aus dem Weg ging. Das eigentliche Herzstück des Festivals, das umfangreiche Schauspielprogramm, übernahmen ambitionierte Kuratorinnen wie Marie Zimmermann (von 2002 bis 2007) und Stefanie Carp (2005 interimsmäßig, seit 2008 fix).

+++ Kommunen, Kulturzentren und Komik: Highlights des Festwochen-Programms vom 10. Mai bis zum 16. Juni. +++

Das Resümee der Ära Bondy muss deshalb durchwachsen ausfallen. Den Luxus, sich einen teuren Intendanten zu leisten (die Stadt Wien legte das Gehalt Bondys nie offen), der im Grunde nur als Regisseur präsent ist, scheint ohnehin ein Auslaufmodell zu sein. Erstaunlich, dass es so lange gehalten hat. Bondys Nachfolger Markus Hinterhäuser, unterstützt von der erfahrenen belgischen Kuratorin Frie Leysen, wird das Festival sicher stärker selbst mitgestalten wollen. Im kommenden Jahr wird Hinterhäuser sein erstes Programm vorlegen, aber auch sonst soll sich einiges ändern. Im Moment wird eine neue Corporate Identity für die Festwochen entworfen, ein grafischer Relaunch und eine neue Plakat-serie ist in Planung.

Ästhetisch war die Ära Bondy dennoch überaus spannend:
Dank ihrer engagierten Schauspielchefinnen vermochten die Festwochen aktuelle Theaterdebatten abzubilden. Wien konnte in den vergangenen Jahrzehnten fast jede Richtung im postdramatischen Theater kennenlernen, die Festwochen waren stets ein verlässliches Fenster zur Welt. Leicht machten es die Schauspielchefinnen ihren Besuchern dabei allerdings nicht, wie auch das heurige Programm beweist. Stefanie Carp glaubt an die Widerstandskraft der Kunst, schnell Konsumierbarem gilt ihre Begeisterung nicht. So ist ihr Abschiedsprogramm komplexer und überfordernder denn je. Und konsequenterweise schlägt es sogar eine Brücke zum Beginn der Ära Bondy. Der diesjährige Programmschwerpunkt "Unruhe der Form“ (11. Mai bis 16. Juni) ist ähnlich wie das einstige Festival "Du bist die Welt“ eine grenzüberschreitende Erkundung aktueller Kunstformen.

"Ich wollte an die Tradition der großen Festwochen-Ausstellungen von früher anknüpfen“, erklärt Stefanie Carp im Gespräch mit profil: "allerdings in einer zeitgemäßen Art“. Eigentlich hatte Carp ihren Fokus heuer auf Theater zum Arabischen Frühling legen wollen. Da dieses Thema aber von anderen Festivals bereits ausgeschöpft worden war, entstand der Parcours "Unruhe der Form“, der nun versucht, eine Brücke zwischen Theater, Performance und bildender Kunst zu schlagen. Theoretischer Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sowohl im Theater als auch in der bildenden Kunst derzeit die Sehnsucht zu beobachten ist, den engen Grenzen des jeweils eigenen Genres zu entkommen. Viele Theatermacher arbeiten verstärkt im Kunstbereich, werden zu Biennalen oder Kunstgroßereignissen wie der documenta eingeladen. Umgekehrt entdeckt aber auch die bildende Kunst gerade verstärkt die Performance und deren historische Dimension. Renommierte Museen wie das New Yorker Museum of Modern Art arbeiten an Möglichkeiten, die per se flüchtige Performance-Kunst zu archivieren.

"Wichtig war uns aber auch die Suche nach einer politischen Stimme“, sagt Georg Schöllhammer, "Unruhe“-Mit-Kurator und Herausgeber der Kunstzeitschrift "Springerin“, der schon bei "Du bist die Welt“ dabei war. "Es geht nicht um Interdisziplinarität, sondern um die Frage, ob an den Rändern der beiden Bereiche neue Produktionsgemeinschaften entstehen.“ Dabei zeigen sich aber auch interessante Unterschiede, denn jede Disziplin bringt ihre eigene Geschichte mit - und hat ihre Vorurteile anderen Sparten gegenüber. "Eine Tasse auf dem Tisch ist in einer Theaterinszenierung ein Requisit, mit dem hantiert wird. In einer Kunstarbeit ist sie meist ein Verweisobjekt“, sagt Schöllhammer.

Für Carp war es wichtig, "starke Stimmen“ zu finden, die sich "sowohl politisch als auch künstlerisch radikal artikulieren“. An die 40 Künstler (unter ihnen Venedig-Biennale-Teilnehmer Hassan Khan, Tim Etchells von Forced Entertainment, der Hamburger Musiker und Theatermacher Schorsch Kamerun sowie der südkoreanische Künstler Sung Hwan Kim) werden bei den Festwochen in drei Räumen (in der Secession, wo sich der eher klassische Ausstellungsbereich finden wird, in der Akademie der bildenden Künste und im Museumsquartier) ihre Arbeiten zeigen und dabei den Versuch unternehmen, sich als politische Subjekte zu positionieren. "Das Programm liest sich kompliziert, aber es erschließt sich viel einfacher“, beruhigt Schöllhammer. Ein Teil des Festivals, kuratiert von dem Dramaturgen Karl Baratta, besteht aus eigens verfassten Reden zur politischen Gegenwart: aus zehn polemisch, dramatisch oder lyrisch konfigurierten Texten heimischer Autorinnen und Autoren, die von ihnen selbst, teilweise auch von SchauspielerInnen in der Secession vorgetragen werden. profil veröffentlicht auf den vorhergehenden Seiten Auszüge aus drei Texten.